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Die Nacht war schön, schön auf eine kalte, gläserne Weise. Nackter Sand und ein aufgehender Mond. Ungetrübt durch den weißen Glanz des Mondes strahlten die Sterne mit grausamer Intensität.

Lansing gab sich ganz der harten, klassischen Schönheit der Nacht hin. Irgendwann hörte er ein Geräusch, das wie fernes Heulen klang. Es erinnerte ihn an das Geheul des großen einsamen Tieres, das sie in der Stadt und später während der Nacht in den Badlands vernommen hatten. Das Geräusch war von Süden gekommen. Lansing lauschte intensiv, weil er sich nicht sicher war, aber er hörte nichts mehr. »Haben Sie auch etwas gehört?« fragte er Jürgens. Aber Jürgens verneinte.

Am nächsten Morgen weckte der Roboter Lansing noch vor Tagesanbruch. Der Mond hing tief über dem westlichen Horizont, im Osten verblaßten die Sterne.

»Essen Sie ein wenig«, sagte Jürgens. »Danach brechen wir auf.«

»Nein, jetzt nicht«, erwiderte Lansing. »Ich möchte nur einen Schluck Wasser. Ich werde unterwegs essen.« Zu Beginn war das Gehen einfach, aber gegen Mittag erreichten sie wieder ein Dünengebiet. Niedrige Sandhügel zunächst, doch je weiter sie nach Norden zogen, desto größer wurden die Dünen. Sie wanderten durch eine Welt aus gelbem Treibsand, die der blaßblaue Himmel wie eine Kuppel einschloß. Das Land vor ihnen stieg allmählich immer stärker an, bis es schien, als ob sie direkt in den blauen Himmel hineinwanderten. Am nördlichen Horizont erschien ein schmaler Streifen; das Blau des Himmels hatte dort einen etwas dunkleren Ton angenommen. Während sie sich ihren Weg durch den trügerischen Sand bahnten, stieg der Streifen immer weiter am Himmel empor. Das Dunkelblau an seiner Oberkante wurde weiter unten zu Schwarz.

Ein schwaches, undeutliches Murmeln erklang von Norden her. Je weiter sie sich nach Norden vorkämpften, desto lauter wurde das Geräusch.

Auf dem Gipfel einer hohen Düne hielt Jürgens an und wartete, daß Lansing zu ihm aufschloß. Lansing erreichte ihn, vom Anstieg völlig außer Atem.

»Das klingt wie Donnergrollen da vorn«, sagte Jürgens. »Vielleicht kommt ein Gewitter auf.«

»Die Farbe des Himmels stimmt«, erwiderte Lansing, »aber die Form ist sonderbar. Ich habe noch nie eine Gewitterwolke gesehen, die oben so gerade abschließt. Und normalerweise kann man auch die Luftbewegung erkennen, wo die Wolkenfronten aufeinanderprallen.«

»Eben glaubte ich einen Blitz gesehen zu haben«, sagte Jürgens. »Nicht den Strahl selbst, sondern nur ein kurzes Aufflammen. Wie eine Reflexion.«

»Wetterleuchten«, erklärte ihm Lansing. »Das sind sehr weit entfernte Blitze, die von Wolkenbänken reflektiert werden.« »Nun, bald werden wir ja wissen, worum es sich handelt«, sagte Jürgens. »Sind Sie bereit zum Weitermarschieren, oder sollen wir noch ein wenig rasten?«

»Gehen Sie nur. Ich sage Ihnen schon, wenn ich eine Pause brauche.«

Bis zum Nachmittag war die große schwarze Wolke schon weit über den Horizont heraufgestiegen. An manchen Stellen hatte sie einen dunklen Purpurton und war, alles in allem, eine furchteinflößende Erscheinung. Sie schien völlig unbeweglich am Himmel zu stehen. Dennoch glaubte Lansing eine fast nicht wahrnehmbare Abwärtsbewegung zu bemerken, so als ob irgendeine Substanz wie ein dünner Film an der Schwärze hinabliefe. Eine schreckliche Kraft schien der Wolke innezuwohnen wie die geballte Macht einer immerwährenden Gewitterdrohung, und doch waren keine äußeren Anzeichen der Gewalt wahrzunehmen. Nur hin und wieder zuckten gigantische Lichtblitze über das Antlitz aus Dunkelheit. Das Donnergrollen war jetzt laut und anhaltend. »Höchst ungewöhnlich«, sagte Jürgens. »Etwas Ähnliches habe ich noch nie gesehen.«

»Chaos?« fragte Lansing. Und während er die Frage aussprach, erinnerte er sich an das Chaos - oder vielmehr die Empfindung von Chaos (denn inzwischen bezweifelte er, daß er es wirklich gesehen hatte), die er für einen kurzen Augenblick gespürt hatte, als er auf dem Sternenberg hoch über dem Universum stand. Aber was er dort gefühlt hatte, dieses universelle Chaos, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem, was er vor sich sah, obschon er seine damalige Wahrnehmung nicht beschreiben konnte.

»Vielleicht«, sagte Jürgens. »Doch nun frage ich Sie: Was ist >Chaos<?«

Lansing gab keine Antwort.

Sie stiegen weiter, und nun war der Weg steiler als jemals zuvor. Sie schleppten sich eine Serie von immer höheren Dünen entlang. Vor ihnen krümmte sich der Horizont zu beiden Seiten nach außen, so daß es schien, als erstiegen sie nur eine einzige gigantische Düne, deren Kamm einen Halbkreis bildete und deren Seiten direkt auf die Schwärze am Himmel zielten. Am Spätnachmittag erreichten sie den Gipfel der Dünenkette, Lansing ließ sich erschöpft in den Sand fallen und lehnte sich an einen großen Stein. Ein Stein, fragte er sich. Hier, wo sie nichts angetroffen hatten, das größer als ein Sandkorn war? Er war verwirrt. Mühsam kämpfte er sich noch einmal auf die Beine. Aber der Stein war da, und nicht nur einer, sondern ein ganzer Haufen. Sie steckten unterhalb des Gipfels im Sand, so als ob jemand sie dort, vielleicht schon vor Urzeiten, sorgfältig plaziert hätte.

Jürgens stand auf dem Gipfel der Düne, die Beine gespreizt und die Krücke tief in den Sand gebohrt, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Denn vor ihm brach die Düne scharf ab und bildete einen ununterbrochenen Abhang, bis sie den Grund der mächtigen Wolke erreichte, die drohend vor ihnen aufragte. Bei genauerer Betrachtung stellte Lansing fest, daß die Wolke keine Wolke war, obwohl er nicht wußte, was es sonst hätte sein können. Es war eine massive Wand von äußerster Schwärze. Von dort, wo sie sich mit dem sandigen Abhang vereinigte, erhob sie sich weit in den Himmel hinauf, so hoch, daß Lansing den Kopf weit in den Nacken legen mußte, um ihre Oberkante sehen zu können.

Immer noch zuckten 'Lichtblitze von verheerender Stärke über ihre Oberfläche, die Donner krachten und grollten. Lansing erkannte, oder glaubte zu erkennen, daß die Wand ein monströser Damm war. Und über seine Kante ergoß sich etwas: ein gigantischer Wasserfall aus Schwärze, aber es war kein Wasser. Die schwarze Flut stürzte an der Wand entlang in die Tiefe, so dicht und ununterbrochen, daß Lansing ihr Fallen nicht eigentlich sah, sondern, auf gleichsam hypnotische Weise, ein Gefühl von Fallen empfand. Während er das Phänomen betrachtete, wurde ihm klar, daß der Lärm nicht nur von Donnergrollen herrührte: In das Donnern mischte sich das schreckliche Tosen des Falles, der sich über die Kante des Dammes ergoß, der Niagaraklang von etwas, das aus großer Höhe fällt, vom Unbekannten ins Unbekannte stürzt. Es schien Lansing, als lasse das Tosen den Boden unter seinen Füßen erbeben. Er wandte sich zu Jürgens um, aber dieser beachtete ihn nicht. Der Roboter stützte sich schwer auf seine Krücke und starrte wie hypnotisiert ins Schwarze, selbstvergessen und ganz der Beobachtung hingegeben.

Auch Lansing richtete seinen Blick wieder auf die schwarze Wand. Deutlicher als je zuvor hatte er das Gefühl, vor einem Damm zu stehen, doch Sekunden später war diese Gewißheit wieder verflogen. Erst hatte er das Gebilde für eine Wolke gehalten, jetzt erschien es ihm wie ein Damm, aber was mochte es wirklich sein?

Nur eine Gewißheit hatte er: Dies war nicht die Antwort, nach der sie suchten, nicht einmal ein kleiner Hinweis, der sich mit der Zeit in eine Antwort verwandeln würde. Genauso wie der Würfel, die Türen, die Apparatur in der Stadt und der singende Turm gab es keine Aufschlüsse. Vielleicht war es nicht völlig bedeutungslos, aber ihm, den anderen Menschen und Jürgens konnte es nichts vermitteln. Es entzog sich ihrer Intelligenz und ihrem Wahrnehmungsvermögen.

»Das Ende der Welt«, murmelte Jürgens, und seine Stimme hatte einen sonderbaren Beiklang.

»Das Ende dieser Welt?« sagte Lansing fragend. Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da bereute er ihn schon wieder, denn es war eine alberne Bemerkung.