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War es ein Unfall gewesen, fragte er sich. Ihm fiel nun wieder ein, wie gebannt und hingebungsvoll Jürgens vor der schrecklichen, donnernden Finsternis gestanden hatte - genauso wie Sandra vor dem singenden Turm. Und dann entsann er sich auch, daß Jürgens den ersten Schritt getan hatte, obwohl er wissen mußte, daß er die äußerste Grenze des sicheren Bodens erreicht hatte. Dennoch hatte er einen Schritt nach vorn gemacht, nur um der faszinierenden Schwärze etwas näher zu sein.

War Jürgens genauso wie Sandra irgendeinem Zauber erlegen? Hatte der Vorhang aus Finsternis eine Saite seines Wesens zum Schwingen gebracht? Hatte er diesen ersten Schritt mit Absicht getan, zwar nicht in der Absicht, den Hang hinabzugleiten, aber doch einem unbewußten, alles umfassenden inneren Drang gehorchend!

Lansing schüttelte den Kopf. Er würde es niemals erfahren. Aber wenn seine Überlegungen richtig waren, dann hatte der Roboter Jürgens zuletzt doch eigenständig gehandelt, hatte sein eigenes Schicksal in die Hand genommen und nicht das der ihm anvertrauten Menschen. Er hatte so gehandelt, wie er es wollte, und nicht, wie die Loyalität den Menschen gegenüber es ihm diktierte. Zu guter Letzt hatte Jürgens also doch die Freiheit erlangt, nach der er sich immer gesehnt hatte. Langsam stand Lansing auf. Er löste das Seil von dem Stein und begann es sorgfältig aufzuwickeln. Es gab keinen Grund, es aufzurollen; er hätte es dort liegen lassen können, wo es war. Aber das Wickeln war wenigstens eine Beschäftigung. Nachdem er damit fertig war, legte er das Seil auf den Boden und schaute sich nach allen Seiten um, ob nicht irgendwo die Kartenspieler auszumachen wären. Aber sie waren nirgends zu sehen. Es gab auch kein Anzeichen dafür, daß sie sich jemals in dieser Gegend aufgehalten hatten. Lansing beschloß, sich über die vier nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Dazu würde er später noch Zeit genug haben. Jetzt mußte er seine Aufgabe zu Ende bringen, und zwar schnell.

Er mußte zum singenden Turm zurückkehren, wo Mary noch immer bei der entrückten Sandra Wache hielt.

26

Lansing eilte nach Süden, mehr stolpernd als gehend. Er folgte der Spur, die er und Jürgens auf dem Hinweg hinterlassen hatten. An vielen Stellen war sie schon vom Treibsand verdeckt, aber er war doch immer wieder in der Lage, sie ein paar Meter weiter wieder aufzunehmen. Und immer noch hörte er das Donnergrollen im Rücken, den allmählich schwächer werdenden Klang von Chaos. Was war dieses Chaos, fragte er sich, während er sich durch den Sand quälte. Nicht, daß es jetzt noch von Bedeutung gewesen wäre. Nichts war mehr wichtig, nur noch die Rückkehr zu Mary.

Die Nacht brach herein, und der Mond ging auf, ein riesiger bleicher Ball, der von Osten herüberschwamm. Die ersten Sterne begannen zu funkeln. Aber Lansing stapfte verbissen weiter. Eigentlich hätte das Gehen ihm jetzt leichter fallen müssen als am Vormittag, denn schließlich führte der Weg nun bergab. Es kam ihm jedoch eher mühseliger vor.

Schließlich brach er zusammen, fiel in den Sand, unfähig, sich wieder zu erheben und weiterzugehen. Mühsam wälzte er sich auf den Rücken und suchte nach seiner Feldflasche. Mitten in der Bewegung wurde er vom Schlaf übermannt.

Ein Sonnenstrahl weckte ihn. Einen Moment lang wußte Lansing nicht, wo er sich befand. Er richtete sich auf den Ellbogen auf, um sich zu orientieren, aber es gab weit und breit nichts zu sehen als den im Sonnenlicht blendend weißen Sand. Während er sich die Augen rieb, fiel ihm ein, wo er war und daß er weiterziehen mußte.

Schwankend erhob er sich und schüttelte seine Glieder. Noch halb benommen vom Schlaf zog er die Wasserflasche zu sich heran und trank von der abgestandenen Flüssigkeit. Während er die Flasche verschloß, machte er schon die ersten Schritte, folgte wieder seiner eigenen Spur. Er fischte sich Nahrung aus dem Rucksack und stopfte sich das erstbeste, auf das seine suchenden Finger stießen, in den Mund. Nichts durfte ihn jetzt mehr auf seinem Weg nach Süden aufhalten. Seine Beine, noch steif vom Schlafen, wehrten sich schmerzhaft gegen die Bewegung. Aber er trieb sie weiter voran, und allmählich wurden sie wieder zu brauchbaren Werkzeugen. Seine Kehle verlangte nach Wasser, aber Lansing trank nicht. Es war nur noch wenig Wasser in der Feldflasche, das er sich einteilen wollte. (Stunden später fiel ihm ein, daß noch eine zweite, volle Flasche im Rucksack steckte.) Der Sand vor ihm flimmerte und vibrierte im Sonnenglast. Lansing machte sich Vorwürfe, daß er zu lange geschlafen und dadurch wertvolle Zeit verloren hatte. Dieser Gedanke trieb ihn weiter.

Hin und wieder dachte er an Jürgens, aber nicht allzuoft oder sehr lange. Auch das konnte er auf später verschieben. Er versuchte sich ganz auf den Gedanken an Mary zu konzentrieren, wie sie beim singenden Turm auf ihn wartete. Aber sogar der Gedanke an Mary entglitt ihm von Zeit zu Zeit, dann fiel er in ein Vakuum und wußte nur noch eines: Er mußte zum singenden Turm.

Lansing erreichte das Ende der Dünenregion. Der Boden war immer noch sandig; so konnte er seine Spur weiter zurückverfolgen, obwohl sie inzwischen schwächer geworden war. Die Sonne erreichte den Zenit und wandte sich nach Westen. Er versuchte, ein schnelleres Tempo anzuschlagen, weil das Gelände nun ebener und angenehmer war, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Mehr als ein gleichmäßiges Marschieren konnte er ihnen nicht abverlangen. Sein Verstand sagte ihm, daß er nach drei Tagen ununterbrochenen Wanderns nicht mehr erwarten konnte. Dennoch war er wütend auf sich, weil er nicht schneller vorankam.

Die Sonne ging unter, im Osten begannen die ersten Sterne zu funkeln, und der Himmel erhellte sich, als der Mond aufging. Lansing zwang sich zum Weitergehen. Wenn er durchhalten würde, wenn er es schaffte, die ganze Nacht hindurch zu marschieren, dann konnte er den singenden Turm bei Tagesanbruch erreichen.

Aber sein Körper ließ ihn im Stich. Irgendwann wurden seine Beine so schwer, daß er eine Pause einlegen mußte. Er schleppte sich zur Lee-Seite einer kleinen Düne, um vor dem Wind geschützt zu sein, dann streifte er seinen Rucksack von den Schultern. Seine Hand stieß auf die zweite Wasserflasche, und er trank so viel, wie sein Körper brauchte, achtete aber darauf, nicht zu schnell zu trinken. Er fand ein paar trockene Wurstscheiben und etwas glasigen Käse und schlang sie gierig hinunter.

Er würde nur ein Weilchen hier sitzen bleiben und sich ausruhen, nahm Lansing sich vor. In einer Stunde etwa würde er weiterziehen. Aber er nickte ein. Als er aufwachte, verblaßten die Sterne schon im ersten Tageslicht.

Über die eigene Schwäche fluchend, rappelte er sich hoch, schulterte den Rucksack und setzte seinen Weg in Richtung Süden fort. Er hatte Mary versprochen, nicht länger als vier Tage fortzubleiben, dieses Versprechen würde er auch halten. Am Horizont erschien ein Dünenfeld, damit war die angenehme Wegstrecke zu Ende. Das Gelände bis dorthin wollte Lansing so schnell wie möglich überwinden, denn er wußte, die Dünen würden ihn viel Zeit kosten.

Warum war er nur so verbissen, fragte er sich. So eilig hatte er es doch gar nicht. Mary ging es gut. Sie wartete auf ihn, und es ging ihr gut. Aber sooft er diesen Gedanken auch wiederholte, er verschaffte ihm keine Beruhigung.

Um die Mittagszeit erreichte Lansing die Düne, wo sie die zerstörte Gehmaschine entdeckt hatten. Der Totenschädel mit seinem glitzernden Goldzahn grinste ihn idiotisch an. Ohne anzuhalten ging Lansing weiter.

Und dann lag das Dünenfeld vor ihm. Wie ein Berserker kämpfte sich Lansing durch den Sand. Nur noch ein paar Stunden, sagte er sich. Noch vor Sonnenuntergang würde er den Turm erreicht haben und Mary in die Arme schließen. Nach einer Stunde sah er zum erstenmal den Turm vom Gipfel einer Düne. Der Anblick spornte ihn zu noch größerer Eile an. Während der ganzen quälenden Wanderung durch die Wüste hatte Lansing eine etwas nebelhafte Vision in seinem Geiste genährt: Mary, wie sie mit ausgestreckten Armen und fröhlich rufend auf ihn zulief, während er den letzten Hügel zum Lager hinabstieg. Aber das geschah nicht. Mary kam ihm nicht entgegengerannt. Nichts deutete auf ihre Anwesenheit hin. Kein Rauch kräuselte sich vom Lagerfeuer empor. Es war niemand dort, auch Sandra nicht.