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Nach einer Weile trat die Frau mit dem Mondgesicht und der karierten Schürze aus der Küche. »Oh«, sagte sie. »Sie sind also wieder zurück.«

Mit heiserer Stimme fragte Lansing: »War eine junge Frau hier? Gestern oder vorgestern?« »O ja, sie war da.« »Und wo ist sie jetzt?«

»Sie hat das Gasthaus heute morgen schon sehr zeitig verlassen.«

»Haben Sie bemerkt, wohin sie gegangen ist? Welche Richtung sie eingeschlagen hat?«

»Nein, mein Herr, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war anderweitig beschäftigt, als sie ging.«

»Hat sie Ihnen nichts hinterlassen? Keine Nachricht, keinen Brief?«

»Ich glaube schon, mein Herr«, antwortete die Frau. »Ich habe den Zettel weggelegt, ich gehe sofort und hole ihn.« Geschäftig eilte sie davon, Lansing wartete. Nach einer Weile kam sie zurück. Sie hatte eine Flasche und einen Krug dabei, die sie vor Lansing auf den Tisch stellte.

»Ich weiß nicht, was passiert ist«, sagte sie, »aber ich kann den Zettel nicht finden. Ich muß ihn verlegt haben.«

Mit einem Satz war Lansing aufgesprungen und brüllte sie an:

»Wie können Sie einen Brief verlegen? Einen Brief, der Ihnen erst heute morgen ausgehändigt worden ist?«

»Ich weiß selbst nicht, wie es geschehen konnte, mein Herr.

Aber offensichtlich habe ich es getan.«

»Dann sehen Sie noch einmal nach.«

»Ich habe schon überall gesucht«, sagte sie. »Er ist nicht dort, wo ich dachte. Und anderswo ist er auch nicht.«

Lansing ließ sich in den Sessel fallen. Die Wirtin schenkte von dem Getränk ein und reichte ihm den Krug. »Ich werde Feuer machen, damit Sie sich ein wenig aufwärmen können«, sagte sie. »Dann koche ich Ihnen etwas zu essen. Sie sind sicher hungrig.«

»Ja, das bin ich«, brummte Lansing.

»Die Dame«, begann die Frau, »hatte kein Geld.«

»Verdammt!« schrie Lansing. »Ich werde ihre Rechnung schon bezahlen. Was diesen Brief angeht, sind Sie ganz sicher, daß er nicht mehr da ist?«

»Ganz sicher, mein Herr.«

Lansing saß niedergeschlagen im Sessel, trank und beobachtete die Wirtin beim Feuermachen.

»Werden Sie über Nacht bleiben?« fragte sie.

»Ja, das habe ich vor«, erwiderte er. »Morgen früh reise ich wieder ab.«

Wohin konnte Mary gegangen sein, fragte er sich. Zurück zum singenden Turm, um dort auf ihn zu warten? Oder quer durch die Badlands wieder zur Stadt? Nein, nicht zur Stadt, dachte er, dorthin sicher nicht. Obwohl, ganz unmöglich war auch das nicht.

Nein, es war sogar recht gut möglich. Vielleicht hatte sie sich an etwas erinnert, das wert war, näher untersucht zu werden. Irgendein Aspekt, der beim erstenmal übersehen worden war. Die Frage war nur, warum sie nicht hier auf ihn gewartet hatte. Sie mußte doch wissen, daß er ihr folgen würde.

Er saß grübelnd am Feuer und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Als die Wirtin hereinkam und ihm sein Abendbrot brachte, hatte er seine Entscheidung gefällt. Zunächst würde er zum singenden Turm zurückgehen, und wenn Mary nicht dort war, würde er wieder von vorn anfangen - vom Turm zurück zum Gasthaus und dann zur Stadt. Wenn Mary auch dort nicht war, dann weiter zurück bis zum Würfel. Ihm war eingefallen, daß Mary immer gedacht hatte, die Antwort müsse beim Würfel zu finden sein.

28

Lansing war nur noch ein paar Stunden vom Turm entfernt, als ihm die anderen beiden, Jorgenson und Melissa, auf dem Pfad entgegenkamen.

»Mein Gott«, sagte Jorgenson, »bin ich froh, daß wir Sie treffen. Beim Turm war niemand.«

»Niemand außer Sandra, und die war tot«, sagte Melissa. »Wo sind die anderen beiden?« fragte Jorgenson. »Jürgens ist im Chaos verschwunden«, berichtete Lansing, »und wo Mary ist, weiß ich selbst nicht. Sie haben auch kein Anzeichen von ihr entdeckt?«

»Nein, absolut nichts«, erwiderte Jorgenson. »Wo, glauben Sie denn, könnte sie sein?«

»Sie ist im Gasthaus gewesen. Ich dachte, sie würde vielleicht zum Turm zurückkehren. Da sie das offensichtlich nicht getan hat, nehme ich an, sie ist zur Stadt aufgebrochen.« »Sie müßte doch eine Nachricht für Sie hinterlassen haben«, warf Melissa ein. »Sie beide sind ja eng befreundet.« »Sie hat auch einen Brief hinterlassen«, sagte Lansing. »Aber er ist verschwunden. Die Wirtin kann ihn nicht mehr finden. Ich habe ihr, bevor ich aufgebrochen bin, noch suchen geholfen.« »Sonderbar«, meinte Jorgenson.

»Ja, sehr sonderbar. Hier scheint sich alles gegen uns verschworen zu haben.«

»Was ist mit Jürgens geschehen?« fragte Melissa. »Ich konnte ihn gut leiden. Er war eine gute Seele.«

Lansing erzählte es ihnen knapp, dann fragte er: »Was ist im Westen? Haben Sie dort irgend etwas gefunden?« »Wir haben nichts entdeckt«, sagte Jorgenson. »Wir sind ein paar Tage länger geblieben, als wir ursprünglich vorhatten, weil wir hofften, doch noch etwas zu finden. Das Land dort ist sehr karg, keine echte Wüste, aber fast eine. Wir hatten Sorgen wegen des Wassers, sind aber zurechtgekommen.« »Nur leeres Land«, sagte Melissa. »Sie können meilenweit schauen, aber es ist nichts zu sehen.«

»Schließlich kamen wir an den Rand der Hochebene, durch die wir gereist waren«, begann Jorgenson von neuem. »Wir wußten natürlich nicht, daß wir eine Hochebene überquerten. Aber dann fiel das Land steil ab, und dort unten war Wüste, wirkliche Wüste. Sand, sonst nichts. Sie erstreckte sich, so weit das Auge reichte, und war, falls das möglich ist, leerer als das Land, das wir vorher durchquert hatten. Also sind wir umgekehrt.«

»Chaos im Norden und nichts im Westen«, faßte Lansing zusammen. »Bleibt noch der Süden. Aber ich werde nicht nach Süden gehen. Ich gehe in die Stadt zurück, ich glaube, daß Mary dort ist.«

»Es ist schon fast Abend«, sagte Jorgenson. »Sollten wir nicht lieber ein Lager aufschlagen? Wir brechen morgen auf, und heute abend entscheiden wir in Ruhe, was wir tun wollen.« »Meinetwegen«, erwiderte Lansing. »Zum Turm zurückzukehren hat keinen Sinn, weil Sie ja gerade von dort kommen. Erzählen Sie mir von Sandra. Haben Sie sie begraben?« Melissa schüttelte den Kopf. »Wir haben darüber gesprochen, aber wir konnten es nicht. Es erschien uns nicht richtig. Wir beschlossen, sie nicht anzurühren. Sie sieht fast aus wie eine Mumie. Ich glaube, sie ist so gestorben, wie sie es sich gewünscht hat. Wir hielten es für das beste, sie so zu lassen, wie sie war.«

Lansing nickte. »Ich habe fast die gleichen Überlegungen angestellt. Ich habe mich sogar gefragt, ob sie überhaupt gestorben ist, denn als ich sie ansah, schien es mir beinahe so, als ob sie nur fortgegangen sei, als ob ihr Geist und ihre Lebenskraft an einen anderen Ort gezogen wären und den Körper als wertlose Hülle zurückgelassen hätten.«

»Ich glaube, Sie haben recht«, sagte Melissa. »Sandra war anders als wir, sie war keine von uns. Was für uns richtig ist, mußte für sie nicht richtig sein.«

Sie machten Feuer, kochten Kaffee und etwas zu essen und verzehrten es am Feuer hockend. Der Mond ging auf, die Sterne funkelten, und die Nacht war einsam.

Lansing hielt seinen Becher in beiden Händen, nippte von Zeit zu Zeit und dachte an Chaos und an Jürgens, besonders an Jürgens. Hatte es wirklich keine Möglichkeit gegeben, den Roboter zu retten, fragte er sich. Hätte es nicht doch einen Weg gegeben, wenn er nur schnell genug reagiert hätte? Vielleicht hätte er seinen Freund noch erreichen und auf sicheren Grund zerren können? Aber Lansing wußte keine Antwort auf diese Frage, wußte nicht, wie er sich hätte verhalten sollen. Dennoch konnte er sich nicht dagegen wehren, daß sich ein Schuldgefühl seiner bemächtigte und ihn zu quälen begann: Er war dabeigewesen, als Jürgens verunglückte, und sicherlich hätte er irgend etwas dagegen unternehmen können. Er hatte sich natürlich Mühe gegeben, er hatte sich auf den unsicheren Hang gewagt, aber das war eben nicht das richtige gewesen. Es hatte nicht gereicht. Er hatte versucht, Jürgens zu helfen, und war gescheitert. Und Scheitern war mit Schuld schon nahe verwandt.