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Damit hatte ich nicht gerechnet, dachte Lioren hilflos. Oder vielleicht doch?

„Ich bin froh, daß Sie meine Lage verstehen, Sir“, sagte der Wächter plötzlich. „Auf Wiedersehen, Sir.“

Einige Sekunden später stampfte er mit den Füßen auf und schritt langsam den Korridor entlang, als ob er seine Langeweile vertreiben oder den steifen Beinmuskeln Bewegung verschaffen wollte. Wäre Lioren nicht schnell zur Seite getreten, wäre der Wächter direkt in ihn hineingelaufen.

Danke, Hellishomar, dachte Lioren erleichtert und betrat die Station.

Es handelte sich um einen langen Saal mit hoher Decke, in dem sich vierzig Betten in zwei Reihen gegenüberstanden. In der Mitte erhob sich das Schwesternzimmer wie eine mit Glaswänden versehene Insel aus dem Boden. Die Techniker für Umweltbedingungssysteme hatten das sandfarbene gelbe Licht der Sonne von Cromsag reproduziert und die baulich bedingten Ecken und Winkel mit einheimischen Pflanzen und Wandbehängen entschärft, so daß die Umgebung völlig realistisch aussah. Die Patienten saßen oder standen in kleinen Gruppen um vier der Betten und unterhielten sich leise, während eine weitere Gruppe einen Bildschirm betrachtete, auf dem ein Kontaktspezialist vom Monitorkorps die langfristigen Pläne der Föderation zur Wiederherstellung der cromsaggischen technischen Zivilisation und zur Rehabilitation der Cromsaggi erklärte. Eine der diensthabenden orligianischen Schwestern benutzte gerade den Kommunikator, und der behaarte Kopf der zweiten drehte sich langsam von der einen Seite zur anderen, während sie die Station der Länge nach mit den Augen absuchte. Es war klar, daß die beiden Lioren nicht sahen und Hellishomar — wie schon zuvor bei dem vor der Station postierten Wächter — mit ihrem Verstand in Berührung getreten war, um sie partiell erblinden zu lassen.

Ob Liorens Entscheidung nun richtig war oder nicht, Hellishomar hatte ihm versprochen, er könne sie ungestört in die Tat umsetzen.

Indem er versuchte, weder Eile noch Unschlüssigkeit an den Tag zu legen, schritt Lioren in gefaßtem Schweigen die Station hinab. Kurz blickte er die sitzenden oder liegenden Patienten an, als er an ihnen vorbeikam, und sie starrten zurück. Cromsaggische Gesichtsausdrücke zu lesen, hatte er nie gelernt, so daß er nicht die geringste Ahnung hatte, was sie gerade von ihm dachten. Als er die größte Patientengruppe erreichte, blieb er stehen.

„Ich bin Lioren“, stellte er sich vor.

Ganz offensichtlich wußte bereits alle, wer und was er war. Die Patienten, die auf den Betten in der Nähe gesessen oder gelegen hatten, sprangen auf die Beine und scharten sich um ihn, und diejenigen, die sich weiter hinten auf der Station befanden, eilten zu den anderen herüber, bis Lioren ganz und gar von schweigenden, reglosen Cromsaggi eingekreist war.

Plötzlich erinnerte er sich klar und deutlich an seine erste Begegnung mit einem dieser Wesen, nämlich mit einer weiblichen Cromsaggi. Sie hatte ihn angegriffen, weil sie ihre schlafenden Kinder verteidigen wollte, die sie in einem anderen Teil ihres Hauses bedroht sah, und obwohl an ihrem Körper die auf Krankheit und Unterernährung zurückzuführende Verfärbung und der Muskelschwund festzustellen gewesen waren, hätte sie ihm beinahe lebensgefährliche Verletzungen beigebracht. Jetzt war er von mehr als dreißig Cromsaggi umgeben, deren Körper und Gliedmaßen sehr muskulös und kerngesund waren. Die Wunden, die diese hornigen Füße mit den langen Nägeln und die harten mittleren Hände reißen konnten, kannte er sehr gut, weil er die Cromsaggi fast bis auf den Tod gegeneinander hatte kämpfen sehen.

Auf Cromsag hatten diese Wesen zwar wild, aber mit totaler Selbstkontrolle und mit denn einzigen Ziel gegeneinander gekämpft, dem Gegner größtmöglichen Schaden zuzufügen, ohne ihn zu töten. Der Kampf diente einzig und allein dem Zweck, das fast verkümmerte innere Sekretionssystem zu einer ausreichenden Tätigkeit anzuregen, damit es den Cromsaggi möglich war, sich fortzupflanzen und als Spezies zu überleben. Doch war Lioren weder ein Cromsaggi, noch verspürte er das Verlangen, Partner bei einem Geschlechtsakt zu sein; bei ihm handelte es sich um jenes Wesen, das für unzählige Tausende von Todesfällen unter den Cromsaggi und fast für die Vernichtung der gesamten Spezies verantwortlich war. Möglicherweise wollten die Cromsaggi den Haß, den sie auf ihn haben mußten, oder den Drang, ihn in Stücke zu reißen, nicht unter Kontrolle bringen.

Lioren fragte sich, ob der sich in der Ferne aufhaltende Hellishomar immer noch den Verstand des Wächters und der beiden Schwestern beeinflußte, denn normalerweise hätten sie die Menge, die sich um ihn zusammenzog, gar nicht übersehen können und einen Rettungsversuch gestartet. Er hoffte, daß die Kontrolle des Groalterris über den Verstand der Schwestern und des Wärters nicht so meisterhaft war, denn auf einmal wollte er sein Leben weder auf diese noch auf eine andere Weise beenden lassen. Und dann wurde ihm bewußt, daß Hellishomar in seinen Gedanken wie in einem offenen Buch lesen konnte, und da schämte er sich noch mehr.

Das, was er jetzt sagen und tun wollte, war bereits schmachvoll genug, ohne auch noch die Schande persönlicher Feigheit hinzufügen zu müssen.

Langsam blickte er jedem einzelnen Cromsaggi, die rings um ihn standen, ins Gesicht und begann zu sprechen.

„Ich bin Lioren“, sagte er. „Wie Sie wissen, bin ich derjenige, der für den Tod vieler Tausende Ihrer Mitwesen verantwortlich ist. Das war ein Verbrechen, das zu schwer ist, um es zu sühnen, und es ist nur gerecht, wenn die Bestrafung in Ihren Händen liegt. Doch bevor Sie die Strafe vollziehen, möchte ich Ihnen noch sagen, daß mir das, was ich getan habe, wirklich leid tut, und ich bitte Sie demütig um Verzeihung.“

Die Scham über das, was er gerade getan hatte, war nicht so heftig, wie er erwartet hatte, dachte Lioren, während er auf den Angriff der Cromsaggi wartete. Im Grunde fühlte er sich sogar sehr erleichtert und ausgesprochen wohl.

27. Kapitel

„Der Wächter vom Monitorkorps behauptet beharrlich, nicht gesehen zu haben, wie Sie in die Station hineingegangen sind, und die Schwestern haben nicht gewußt, daß Sie da waren, bis die Cromsaggi auf einmal um sie herumgestanden und Sie angebrüllt haben“, sagte der Chefpsychologe mit leiser, aber äußerst zorniger Stimme. „Als der Wächter hineingegangen ist, um nachzusehen, haben Sie ihm gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen, die Cromsaggi führten nur ein religiöses Streitgespräch, an dem er sich gerne beteiligen könne, obwohl er behauptet, leisere Tumulte gehört zu haben. Da Tarlaner weder für ihren Sarkasmus noch für ihren Humor bekannt sind, muß ich annehmen, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Was ist auf der Station passiert, verdammt noch mal? Oder haben Sie sich einen erneuten Eid zur Geheimhaltung auferlegt?“

„Nein, Sir“, antwortete Lioren. „Die Gespräche sind öffentlich gewesen, und um Vertraulichkeit hat niemand gebeten oder etwas Derartiges durchblicken lassen. Als Sie mich rufen ließen, war ich gerade dabei, für Sie einen ausführlichen Bericht über die ganze.“

„Fassen Sie ihn kurz zusammen“, forderte ihn O'Mara in scharfem Ton auf.

„Ja, Sir“, sagte Lioren und versuchte, einen Mittelweg zwischen Genauigkeit und Kürze zu finden, als er fortfuhr: „Nachdem ich mich vorgestellt, entschuldigt und um Verzeihung für das große Unrecht gebeten hatte, das den Cromsaggi von mir angetan worden war.“