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In solchen Augenblicken trat im Gesundheitszustand der Patienten eine leichte und vorübergehende Besserung ein, und das brachte Lioren auf die Frage, ob nicht eines Tages ihr heftiges Verlangen nach der Gefahr und der emotionalen Erregung des Krieges und des Zweikampfs durch die vielen und noch schwierigeren Herausforderungen des Friedens gestillt werden könnte. Aber die DCSLs weigerten sich — oder waren vielleicht aufgrund ihrer durch die Kultur bedingten geistig-seelischen Ausrichtung nicht dazu in der Lage — , persönliche Informationen über ihr Sozialverhalten, ihren Sittencodex oder ihre Ansichten zu irgendeinem Thema preiszugeben, es sei denn, der betreffende Patient war, wie im gegenwärtigen Fall, schwer erkrankt und verfügte nur noch über geringe geistige Widerstandskraft.

Die Wahrheit war, daß Lioren keine Ahnung hatte, was die Patienten empfanden, weder in bezug auf sich selbst noch auf jemanden anderen oder sonst irgend etwas, und die Standardfrage des behandelnden Arztes „Wie geht es Ihnen heute?“ wurde nie beantwortet.

In zwei Tagen wurde das Eintreffen der Rhabwar erwartet, und Lioren entschied, daß der Patient, mit dem er das persönliche Gespräch geführt hatte, zu denjenigen gehörte, die mit dem Ambulanzschiff zur Untersuchung und Behandlung ins Orbit Hospital geflogen werden sollten.

Als die Rhabwar schließlich eintraf, bat er den ranghöchsten medizinischen Offizier des Schiffs um eine Unterredung. Dabei handelte es sich um einen gewissen Doktor Prilicla, einen Cinrussker, der als Mitglied der einzigen empathischen Spezies der Föderation die Gefühle all der Wesen kannte, die sich in seiner näheren Umgebung aufhielten.

Sowohl aus praktischen als auch aus persönlichen Gründen wollte Lioren Prilicla nicht in das überfüllte Schiffslazarett der Vespasian kommen lassen, sondern bat darum, die Besprechung auf dem Unfalldeck der Rhabwar abzuhalten. Denn auf der Vespasian war die allgemeine emotionale Ausstrahlung durch die Patienten viel stärker und hätte dem Besucher zweifellos zu schaffen gemacht — einem Fachkollegen gegenüber rücksichtsvoll zu sein konnte ja nicht schaden. Außerdem bestand auf dem Ambulanzschiff eine geringere Wahrscheinlichkeit, daß Liorens Untergebene seine eigene Unsicherheit gegenüber den Cromsaggi bemerkten. Nach der festen Überzeugung des Oberstabsarztes mußte man nämlich in leitender Stellung stets einen sicheren und überzeugenden Eindruck machen, wenn einem die Untergebenen Respekt und unbedingten Gehorsam entgegenbringen sollten.

Vielleicht teilte der Empath diese Ansicht, aber es war wahrscheinlicher, daß Prilicla selbst aus der Ferne Liorens emotionale Ausstrahlung wahrgenommen und richtig gedeutet hatte und ihm deshalb versicherte, ihre Besprechung werde rein privat sein. Dafür war ihm der Oberstabsarzt zwar dankbar, aber es überraschte ihn nicht. Schließlich lag es im eigenen Interesse des kleinen Empathen, die Ausstrahlung unangenehmer Emotionen um sich herum auf ein Mindestmaß zu reduzieren, da er sich selbst sonst genauso starken Unannehmlichkeiten ausgesetzt hätte.

Der Cinrussker, ein riesiges, ungeheuer zerbrechlich wirkendes Fluginsekt, das erst durch Liorens noch gewaltigere Körpergröße klein erschien, flog über einen der Behandlungstische und schwebte dann in Augenhöhe darüber. An seinem röhrenförmigen Körper mit Ektoskelett befanden sich sechs bleistiftdünne Beine, vier noch feiner gebaute Greiforgane und zwei breite, schimmernde und fast durchsichtige Flügelpaare, mit denen er langsam schlug, um mit Hilfe des G-Gürtels, den er umgeschnallt hatte, ruhig in der Luft zu schweben. Nur auf seinem Heimatplaneten Cinruss, der eine dichte Atmosphäre besaß und auf dem weniger als ein Achtel der Erdanziehungskraft herrschte, hatte eine Insektenspezies Intelligenz, eine Zivilisation und die Fähigkeit zu Raumflügen entwickeln können, und Lioren kannte in der ganzen Föderation keine Spezies, die die Cinrussker nicht für die schönste aller intelligenten Lebensformen hielt.

Aus einer der engen Öffnungen im Kopf Priliclas, der — bildlich gesprochen — eine feine, spiralförmig gewundene Eierschale war, drang eine Folge von melodischen, rollenden Schnalzlauten, die der Translator als „Danke für die schmeichelhaften Ansichten, die Sie mir gegenüber hegen, Freund Lioren. Es ist mir ein Vergnügen, Sie endlich einmal persönlich kennenzulernen“ übersetzte. „Die Emotionen, die ich außerdem noch wahrnehme, deuten darauf hin, daß unser Treffen weniger ein geselliges Beisammensein darstellen soll, sondern vielmehr berufliche Gründe hat und überaus dringend ist.

Allerdings bin ich ein Empath, kein Telepath“, schloß er die Begrüßung freundlich. „Deshalb müssen Sie mir schon erzählen, was Sie beunruhigt, Freund Lioren.“

Über den dauernden Gebrauch des Wortes ̃̄„Freund“ durch seinen Gesprächspartner empfand Lioren auf einmal eine gewisse Verärgerung. Immerhin war er der medizinische und verwaltungstechnische Leiter des Einsatzes zur Katastrophenhilfe auf Cromsag und ein Oberstabsarzt im Monitorkorps, während Prilicla nur den zivilen Rang eines Chefarztes am Orbit Hospital bekleidete. Sein Ärger brachte den gesamten Körper des Empathen zum Zittern und ließ dessen Schwebeflug weniger ruhig und gleichmäßig werden. Plötzlich wurde Lioren bewußt, daß er soeben ein anderes Lebewesen mit einer Waffe, nämlich mit seinen Empfindungen, angegriffen hatte, gegen die es sich nicht schützen konnte.

Selbst die krankhaft kriegerischen Cromsaggi hätten es verschmäht, einen derart schwachen und schutzlosen Feind anzugreifen.

Folglich verwandelte sich Liorens Verärgerung rasch in Scham. Dies war einmal eine Gelegenheit, den berechtigten Stolz auf seinen hohen Rang, den er sich aufgrund seiner enormen fachlichen Fertigkeiten redlich verdient hatte, zu vergessen. So, wie er es in der Vergangenheit schon oft getan hatte, sollte er nun lieber versuchen, die eigenen Empfindungen unter Kontrolle zu bringen, um sich die Fähigkeiten eines Untergebenen, dessen Gefühle leicht verletzt werden konnten, möglichst wirkungsvoll zunutze zu machen.

„Danke für die innerliche Selbstdisziplin, die Sie gerade bewiesen haben, Freund Lioren“, fuhr Prilicla fort, bevor Lioren etwas sagen konnte. Dann ließ sich der Empath, der jetzt nicht mehr zitterte, wie eine Feder auf dem Untersuchungstisch nieder und fügte hinzu: „Aber ich nehme bei Ihnen noch weitere starke Emotionen im Hintergrund wahr, die Sie nicht so leicht unterdrücken können und die, da bin ich mir sicher, die Cromsaggi betreffen. Über die hiesige Lage bin auch ich höchst besorgt, vielleicht ebensosehr wie Sie, und Empfindungen gegenüber Lebewesen oder Situationen, die ich mit jemand anderem teile, bereiten mir sehr viel weniger Unbehagen. Falls es also eine Möglichkeit gibt, wie ich Ihnen helfen kann, dann zögern Sie nicht, mich davon in Kenntnis zu setzen.“

Erneut ärgerte sich Lioren, diesmal darüber, die Erlaubnis erhalten zu haben, über die Cromsaggi sprechen zu dürfen, wo gerade das ohnehin den einzigen Zweck seines Besuchs auf der Rhabwar darstellte, aber der Ärger war nur gering und verflog rasch. Als er zu sprechen begann, war dem Oberstabsarzt zwar klar, daß er nur eine kurze Zusammenfassung seines letzten Berichts vortrug, den er bereits für seine Vorgesetzten beim Monitorkorps und für Prilicla selbst vervielfältigt hatte und den die Rhabwar auch für Thornnastor mitnehmen würde, dennoch war es notwendig, den Empathen schon jetzt mit der gegenwärtigen Lage vertraut zu machen, wenn dieser die Bedeutung der späteren Fragen verstehen sollte.

Lioren berichtete von den ständig ausgeweiteten Untersuchungen der unbewohnten Gebiete des Planeten, die Ergebnisse geliefert hatten, die sich allenfalls für Industriearchäologen eigneten. Spuren von Leben, die aus jüngerer Zeit stammten, gab es nicht. Viele der verlassenen Städte, Bergwerksbetriebe und Produktionskomplexe in den klimatisch gemäßigten Zonen des Nordens und Südens waren viele Jahrhunderte alt und so gut gebaut, daß nur geringe Anstrengungen unternommen werden müßten, um sie wieder instand zu setzen; zumal dies lohnenswert wäre, da die großen Mineralvorkommen des Planeten noch lange nicht erschöpft waren. Aber diese Mühe hatten sich die Cromsaggi nie gemacht, weil sich diese Spezies mit ihrer ganzen Energie auf die Kämpfe konzentrierte, und zwar in einem Ausmaß, daß viele DCSLs keine Nahrungsmittel mehr angebaut oder nicht mehr die Kraft gehabt hatten, nach dem zu suchen, was wild wuchs. Zu guter Letzt hatte sich die zusammengeschrumpfte Bevölkerung in einer einzigen Region versammelt, damit man dort weiterkämpfen konnte, ohne erst weite Reisen unternehmen zu müssen, bevor man auf einen Gegner traf.