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»Und doch ist es so«, beharrte Illinois. »Ein Schatten ist in meinem Beruf jemand, der einem den Rücken freihält. Der dafür sorgt, daß man kein Messer und keine Kugel in den Rücken bekommt. Und dafür, daß einem keiner über die Schulter sieht, der anderen etwas verraten könnte, was sie nicht wissen sollen.«

»Das hört sich nach einem sehr gefährlichen Beruf an«, stellte Irene fest. »Welchen üben Sie aus, Mr. Devlin?«

»Ich bin ein Spieler.«

Die Auswanderer starrten ihn für Sekunden sprachlos an.

»Sie sind... ein... Spieler?« wiederholte Irene dann. »So ein Mensch wie dieser Mann am Hafen, der Martin das Geld aus den Taschen gezogen hat?«

Devliri schüttelte ernst den Kopf. »Mit dieser Ratte lasse ich mich nicht vergleichen, Ma'am, und das aus mehreren Gründen. Zum einen spiele ich nicht um solche geringen Beträge, wie sie üblicherweise beim Three Card Monte gesetzt werden. Zum anderen war der Kerl am Hafen kein Spieler, sondern ein mieser Betrüger. Ich dagegen ziehe es vor, mein Geld durch ehrliches Spiel zu gewinnen. Und Jim sorgt dafür, daß meine Mitspieler nicht zu unehrlich werden.« Seine Züge verdüsterten sich. »Ich hasse Betrug. Leider hängen diesem Laster viel zu viele Menschen an, die sich an den Spieltisch setzen.«

»Was war mit dem Mann am Hafen?« griff Martin das Thema auf. »Wie haben Sie gemerkt, daß er die Karten vertauscht hat?«

»Ich habe es gesehen, weil ich in jeder Sekunde auf die Karten und die Hände dieser Ratte geschaut habe und mich nicht durch seine Kulleraugen ablenken ließ. Meine eigenen Augen sind in solchen Dingen geschult.«

»Und woher wußten Sie, daß der Bärtige zu ihm gehörte? Ich hielt ihn für einen unschuldigen Farmer.«

»Diesen Eindruck hat er absichtlich erweckt. Aber wenn Sie genauer auf seine Hände gesehen hätten, hätten Sie schnell gemerkt, daß sie nicht an die harte Farmarbeit gewöhnt sind.

Der Mann war ein Lockvogel, der dem Publikum zeigen sollte, wie einfach man beim Three Card Monte gewinnen kann. Das ist bei diesem Spiel so üblich. Er und die Ratte haben sich durch kleine Gesten verständigt, die außer Jim und mir wahrscheinlich niemand bemerkt hat.«

Devlin erzählte mehr über seine Arbeit. Er fuhr auf den großen Flußdampfern den Mississippi hinauf und hinunter, um in den großen Spielsalons an Bord sein Geld mit Spielen zu verdienen, deren Namen den Auswanderern zum größten Teil unbekannt waren. Namen wie Cassino, Crown & Anchor, Faro oder auch Poker, mit dem sie auf ihrer Reise immerhin schon in Berührung gekommen waren.

»Ich habe keine Erfahrung mit dem Glücksspiel«, gestand Irene. »Aber was Sie erzählen, klingt sehr interessant, Mr. Devlin.«

»Das ist es auch.«

»Ich würde Ihnen gern einmal bei Ihrer Arbeit zuschauen -falls es Mr. Illinois gestattet. Haben Sie eine Passage auf der QUEEN OF NEW ORLEANS gebucht?«

In Devlins grünen Augen blitzte es auf. »Das hatte ich vor, Ma'am, aber ich kam zu spät. Ich konnte nur noch eine Passage auf der QUEEN OF ST. LOUIS bekommen.«

»Wie ich gehört habe, ist das Schiff genauso groß wie die QUEEN OF NEW ORLEANS. Also dürfte es für Sie gleich sein, auf welchem Schiff Sie fahren.«

»Ist es aber nicht. Auf der QUEEN OF NEW ORLEANS fährt jemand mit, mit dem ich sehr gern gepokert hätte. Deshalb bedauere ich es über alle Maßen, keine Passage mehr auf dem Schiff bekommen zu haben. Sie wären nicht zufällig bereit, Jim und mir Ihre Fahrkarten zu überlassen?«

Die drei Freunde verständigten sich durch Blicke, und dann sagte Jacob: »Wir sind Ihnen und Mr. Illinois für Ihr Eingreifen sehr dankbar, Mr. Devlin. Hätten wir es nicht so eilig, würden wir Ihnen gern unsere Plätze auf dem Schiff überlassen.« Er erzählte von ihrem Vorhaben, sich einem Oregon-Treck anzuschließen. »Und da wegen des Winters in wenigen Wochen keine Trecks mehr aufbrechen, müssen wir möglichst rasch an unser Ziel kommen.«

»Ich verstehe«, meinte Devlin und gab sich äußerlich gelassen.

Aber Irene, die ihn genau ansah, las eine große Enttäuschung in seinen Zügen. Und auch Jim Illinois blickte betreten drein.

*

Nachdem sie sich von Devlin und Illinois verabschiedet hatten, gingen die Auswanderer zu ihrem Hotel, um ihr spärliches Gepäck auf die QUEEN OF NEW ORLEANS zu schaffen. Es war das teuerste Hotel in der Stadt, aber das hatte Jacob, Martin und Irene keine Sorgen bereitet; auch ihre Unterkunft wurde von der Regierung bezahlt.

Unterwegs war Irene sehr still und hing ihren Gedanken nach, die um den Spieler kreisten. Aber sie dachte nicht in erster Linie an ihn, weil er so gutaussehend und charmant war, sondern weil sie spürte, daß ihn ein Geheimnis umgab. Obwohl sich Beauregard Devlin sehr aufgeräumt gegeben hatte, glaubte Irene eine Art Melancholie oder Tragik zu spüren, die ihn umgab. Die Heftigkeit, mit der er den spitzgesichtigen Falschspieler wegen dessen Betrügereien haßte, schien etwas damit zu tun haben. Und auch Devlins drängender Wunsch, eine Passage auf der QUEEN OF NEW ORLEANS zu ergattern.

Sie hatte keine Beweise dafür, spürte es einfach nur. Devlin strahlte etwas aus, das nicht greifbar war und doch von ihr empfangen wurde. Eine der Nonnen in dem Kloster, in dem Irene aufgewachsen war, hatte ihr erzählt, daß es Menschen gab, zwischen denen ein unsichtbares Band bestand, obgleich sie vielleicht gar nicht voneinander wußten und über Hunderte oder Tausende von Meilen voneinander getrennt lebten. Ob solch ein Band zwischen ihr und dem Spieler bestand?

Als sie zur Anlegestelle der QUEEN OF NEW ORLEANS zurückkehrten, wurde Irene vom allgemeinen Trubel abgelenkt. Drei etwa fünfzehn Fuß lange und zehn Fuß breite Holzkisten mit starken Eisenverschlägen, die mit größter Vorsicht an Bord des Dampfers und dort in einen Laderaum auf dem Vorschiff gehievt wurden, zogen große Aufmerksamkeit auf sich. Ein knollennasiger Mittfünfziger, offenbar der Besitzer der Kisten, überwachte den Verladevorgang mit Argusaugen, schrie immer wieder erregt Anweisungen, wenn eine der Kisten auch nur ein wenig am Davit schaukelte, und wischte sich mit einem großen, schmutzigen Tuch den Schweißfilm von Stirn und Wangen, sobald eine Kiste sicher im Laderaum abgesetzt war. Auch die Matrosen, die mit dem Verstauen der Kisten beschäftigt waren, schienen äußerst angespannt zu sein.

»Was ist in den Kisten?« fragte Jacob einen der umstehenden Männer. »Etwa Gold?«

»Gold?« Der Mann lachte glucksend. »Der Inhalt der Kisten ist vielleicht nicht so wertvoll, aber viel gefährlicher als Gold.«

»Was ist es denn?« hakte Jacob nach.

»Alligatoren.«

Jacob und seine Freunde starrten den Mann ungläubig an.

»Auf dem Schiff werden Alligatoren transportiert?« fragte der junge Zimmermann schließlich.

»Etwa lebende?« fügte Irene hinzu.

Der Mann nickte und zeigte auf den Knollennasigen. »Mr. Travers besitzt einen Wanderzirkus oben im Norden und will die hübschen Tiere in seine Schau eingliedern.«

»Wo hat er die her?« fragte Martin.

»Ein Alligator-Jäger unten in den Sümpfen von Louisiana soll sie gefangen haben.«

»Was es doch für Berufe gibt«, meinte Irene kopfschüttelnd und dachte unwillkürlich wieder an den Spieler Beauregard Devlin.

»Möchte nur wissen«, fuhr der fremde Mann fort, »wie Travers die Tiere den Fluß heraufgeschafft hat, am belagerten Vicksburg vorbei.«

Die Auswanderer betraten das Schiff und fragten einen schwarzen, in eine blütenweiße Uniform gekleideten Steward, der sich mit dem Namen Jonas vorstellte, nach ihren Kabinen. Als er sie auf die oberen Decks führte, sahen sie den Kapitän mit auf dem Rücken verschränkten Händen ganz oben neben dem Ruderhaus stehen und mit sorgenvoller Miene hinaus auf den breiten Strom starren.

»Der Kapitän sieht aus, als erwarte er jeden Moment die Ankunft eines feindlichen Kriegsschiffes, das seinen Dampfer versenken will«, bemerkte Martin.