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»Dieses Foto in deiner Tasche«, sagte sie. »Ist das jemand aus deiner Vergangenheit?«

Jason wich zurück.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Geht mich nichts an. Vergiss es.«

»Nein – ist schon gut.« Sein Gesicht entspannte sich wieder. »Ich versuche nur, das alles zu durchschauen. Sie heißt Thalia. Sie ist meine Schwester. Ich kann mich an keine Details erinnern. Ich weiß nicht einmal sicher, woher ich das weiß, aber – äh, wieso lächelst du?«

»Ach, nichts.« Piper versuchte, ihr Grinsen zu unterdrücken. Keine frühere Freundin also. Sie war lächerlich glücklich. »Äh, das ist – super, dass du dich erinnert hast. Annabeth hat mir erzählt, dass Thalia zu den Jägerinnen der Artemis gegangen ist.«

Jason nickte. »Ich habe das Gefühl, dass ich sie suchen sollte. Hera hat mir diese Erinnerung nicht ohne Grund gelassen. Es hat etwas mit diesem Auftrag zu tun. Aber … ich habe auch das Gefühl, dass es gefährlich sein könnte. Ich bin nicht sicher, ob ich die Wahrheit wirklich wissen will. Ist das nicht verrückt?«

»Nein«, sagte Piper. »Überhaupt nicht.«

Sie starrte das Logo an der Wand an: MONOCLE MOTORS, daneben ein einzelnes rotes Auge. Irgendwas an dem Logo gefiel ihr nicht.

Vielleicht war es die Vorstellung, dass Enceladus sie beobachtete und ihren Vater als Geisel festhielt. Sie musste ihren Dad retten, aber wie konnte sie ihre Freunde verraten?

»Jason«, sagte sie. »Wo hier schon von der Wahrheit die Rede ist, ich muss dir etwas sagen – etwas über meinen Dad …«

Aber dazu kam sie nicht mehr. Irgendwo unter ihnen klirrte Metall gegen Metall, wie eine ins Schloss fallende Tür. Der Lärm hallte im Lagerhaus wider.

Jason sprang auf. Er zog seine Münze aus der Tasche, warf sie in die Luft und fing sein goldenes Schwert auf. Er lugte über das Geländer. »Leo?«, fragte er.

Keine Antwort.

Er ging neben Piper in die Hocke. »Das hier gefällt mir nicht.«

»Vielleicht hat er Probleme«, sagte Piper »Geh mal nachsehen.«

»Ich kann dich doch nicht allein lassen.«

»Es geht schon.« Sie hatte schreckliche Angst, wollte das aber nicht zugeben. Sie zog den Dolch Katoptris und versuchte, ein zuversichtliches Gesicht zu machen. »Wer mir zu nahe kommt, wird aufgespießt.«

Jason zögerte. »Ich lasse den Rucksack hier. Wenn ich in fünf Minuten nicht zurück bin …«

» … kriege ich Panik?«, schlug sie vor.

Ihm gelang ein Lächeln. »Gut, dass du wieder normal bist. Das Make-up und dieses Kleid waren viel einschüchternder als der Dolch.«

»Los jetzt, Fünkchen, sonst spieße ich dich auf.«

»Fünkchen?«

Sogar, wenn er beleidigt war, sah Jason umwerfend aus. Es war nicht fair. Dann stieg er die Treppe hinunter und verschwand in der Dunkelheit.

Piper zählte ihre Atemzüge und versuchte zu berechnen, wie viel Zeit vergangen war. So ungefähr bei dreiundvierzig verlor sie den Überblick. Dann hörte sie irgendwo im Lagerhaus einen Knall.

Das Echo verhallte. Pipers Herz hämmerte, aber sie schrie nicht. Ihr Instinkt sagte ihr, dass das vielleicht keine gute Idee wäre.

Sie starrte ihren geschienten Knöchel an. Ich kann ja sowieso nicht weglaufen. Dann schaute sie wieder zum Logo von Monocle Motors hoch. Eine kleine Stimme in ihrem Kopf setzte ihr zu, warnte sie vor irgendeiner Gefahr. Etwas aus der griechischen Mythologie …

Sie fasste in den Rucksack und nahm die Ambrosia-Krümel heraus. Zu viele davon würden sie verbrennen, aber würde vielleicht ein bisschen mehr ihren Knöchel heilen?

Bumm. Der Knall war diesmal näher, direkt unter ihr. Sie zog einen ganzen Ambrosiariegel hervor und stopfte ihn sich in den Mund. Ihr Herz hämmerte noch wilder. Ihre Haut fühlte sich fieberheiß an.

Zögernd bewegte sie ihren Knöchel. Keine Schmerzen, keine Steifheit. Sie zerschnitt das Isolierband mit ihrem Dolch und hörte schwere Schritte auf der Treppe – wie mit Stiefeln aus Metall.

Waren schon fünf Minuten vergangen? Mehr? Die Schritte klangen nicht nach Jason, aber vielleicht trug er Leo. Endlich konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie packte den Dolch und rief: »Jason?«

»Ja«, hörte sie aus der Dunkelheit. »Auf dem Weg nach oben.«

Einwandfrei Jasons Stimme. Aber warum sagte ihr Instinkt, sie sollte weglaufen?

Mühsam kam sie auf die Beine.

Die Schritte kamen näher.

»Alles in Ordnung«, verhieß Jasons Stimme.

An der Treppe tauchte aus der Dunkelheit ein Gesicht auf – ein furchtbares schwarzes Grinsen, eine eingeschlagene Nase und ein einziges blutunterlaufenes Auge mitten auf der Stirn.

»Alles bestens«, sagte der Zyklop in einer perfekten Imitation von Jasons Stimme. »Du bist gerade rechtzeitig zum Abendessen.«

XXIII

Leo

Leo wünschte, der Drache wäre nicht auf den Toiletten gelandet.

Es gab so viele Orte, wo man abstürzen könnte, da wäre eine Reihe von Dixi-Klos nicht Leos erste Wahl gewesen. Ein Dutzend dieser blauen Kunststoffhäuschen war auf dem Fabrikhof aufgestellt worden und Festus hatte sie alle plattgemacht. Zum Glück waren sie schon lange nicht mehr benutzt worden und die Feuerkugel, die beim Aufprall entstanden war, hatte ihren Inhalt größtenteils eingeäschert, aber noch immer sickerten ziemlich üble Chemikalien aus den Wracks. Leo musste darüber hinwegsteigen und versuchen, nicht durch die Nase zu atmen. Der Schnee fiel jetzt sehr dicht, aber die Drachenoberfläche war noch immer dampfend heiß. Natürlich machte das Leo nichts aus.

Nachdem Leo einige Minuten auf Festus’ leblosem Rumpf herumgeklettert war, fing er an, sich zu ärgern. Der Drache sah unversehrt aus. Er war zwar vom Himmel gefallen und mit lautem Krach gelandet, aber sein Rumpf wies nicht einmal Beulen auf. Die Feuerkugel war offenbar aus Gasen entstanden, die sich in den Toiletten angesammelt hatten, und nicht im Drachen selbst. Festus’ Flügel waren unversehrt. Nichts schien gebrochen zu sein. Es gab keinen Grund, warum er nicht mehr funktionieren sollte.

»Nicht meine Schuld«, murmelte Leo. »Festus, du rückst mich in ein schlechtes Licht.«

Dann öffnete er die Kontrollleiste am Kopf des Drachen und sein Herz wurde schwer. »Oh, Festus, was ist denn hier los?«

Die Drähte waren vereist. Leo wusste, dass am Vortag noch alles in Ordnung gewesen war. Er hatte sich solche Mühe gegeben, die korrodierten Drähte zu reparieren, aber etwas hatte im Drachenkopf einen plötzlichen Frost erzeugt, und dabei müsste es dort so heiß sein, dass sich kein Eis bilden könnte. Durch das Eis waren die Drähte überlastet worden und die Festplatte war verkohlt. Leo konnte nicht begreifen, wie das passieren konnte. Klar, der Drache war alt, aber es ergab trotzdem keinen Sinn.

Er konnte die Drähte erneuern. Das war nicht das Problem. Aber die angekokelte Festplatte taugte nichts mehr. Die griechischen Buchstaben und die am Rand eingeritzten Bilder, die vermutlich allerlei Magie enthielten, waren undeutlich und verrußt.

Das einzige Stück Hardware, das Leo nicht ersetzen konnte – und es war beschädigt. Schon wieder.

Er glaubte die Stimme seiner Mom zu hören: Die meisten Probleme sehen schlimmer aus, als sie sind, Mijo. Alles kann repariert werden.

Seine Mom hatte das auch immer geschafft, aber Leo war sich ziemlich sicher, dass sie ihr Glück nie an einem fünfzig Jahre alten magischen Metalldrachen versucht hatte.

Er biss die Zähne zusammen und beschloss, einen Versuch zu machen. Er würde nicht in einem Schneesturm zu Fuß von Detroit nach Chicago gehen und er wollte auch nicht dafür verantwortlich sein, dass seine Freunde nicht weiterkamen.

»Also«, murmelte er und wischte sich den Schnee von den Schultern. »Gib mir eine biegsame kleine Nylonbürste, ein Paar Nitrilhandschuhe und vielleicht eine Büchse von dieser Aerosol-Reinigungslösung.« Der Werkzeuggürtel gehorchte. Leo musste lächeln, als er die Sachen herauszog. Die Taschen des Gürtels hatten ihre Grenzen. Sie würden ihm nichts Magisches geben, wie Jasons Schwert, und nichts Großes, wie eine Kettensäge. Er hatte es mit beidem versucht. Und wenn er zu viel auf einmal verlangte, musste der Gürtel sich erst einmal abkühlen, ehe er wieder funktionierte. Je komplizierter die Bitte war, umso länger dauerte das Abkühlen. Aber alles, was klein und gewöhnlich war und in eine Werkstatt gehörte – danach brauchte Leo nur zu fragen.