Die Prinzessin lachte. »Eine Dame sollte diese Frage niemals stellen oder beantworten. Sagen wir einfach, der, ähm, Einwanderungsprozess in euer Land hat eine ganze Weile gedauert. Meine Beschützerin hat mich schließlich hergebracht. Sie hat das hier ermöglicht.« Die Prinzessin ließ ihre Hand durch das Kaufhaus schweifen.
Pipers Mund schmeckte nach Metall. »Ihre Beschützerin …«
»Genau. Sie holt nicht alle ins Land, weißt du – nur die mit besonderen Begabungen, so wie ich. Und wirklich, sie verlangt so wenig – einen Eingang zum Kaufhaus, der unter der Erde ist, damit sie, äh, meine Kundschaft überwachen kann, und ab und zu einen Gefallen. Im Austausch gegen ein neues Leben? Wirklich, das war der beste Handel, den ich in vielen Jahrhunderten gemacht habe.«
Weg hier, dachte Piper. Wir müssen weg hier.
Aber ehe sie ihre Gedanken in Worte fassen konnte, rief Jason: »He, seht euch das mal an!«
Von einem Ständer mit dem Schild »Strapazierte Kleidung« hob er ein lila T-Shirt hoch, wie er es auf dem Schulausflug getragen hatte – nur sah dieses aus wie von Tigern zerfetzt.
Jason runzelte die Stirn. »Warum kommt mir das so bekannt vor?«
»Jason, das sieht aus wie deins«, sagte Piper. »Und jetzt müssen wir wirklich los.« Aber sie war nicht sicher, ob er sie durch den Zauber der Prinzessin hindurch überhaupt hören konnte.
»Unsinn«, sagte die Prinzessin. »Die Jungs sind noch gar nicht fertig, oder? Richtig, mein Lieber, diese Hemden sind sehr beliebt – frühere Kunden haben sie eingetauscht. Steht dir gut.«
Leo hob ein oranges Camp-Half-Blood-T-Shirt mit einem Loch in der Mitte hoch, es sah aus wie von einem Wurfspeer getroffen. Daneben lagen ein verbeulter bronzener Brustpanzer, der überall angefressen wirkte – von Säure vielleicht? – und eine römische Toga, in Fetzen geschnitten und mit etwas befleckt, das beunruhigend nach Blut aussah.
»Eure Hoheit«, sagte Piper und versuchte, nicht hysterisch zu klingen. »Warum erzählen Sie den Jungs nicht, wie Sie Ihre Familie verraten haben? Ich bin sicher, sie würden die Geschichte gern hören.«
Ihre Worte hatten keinerlei Wirkung auf die Prinzessin, aber die Jungen drehten sich um und wirkten plötzlich interessiert.
»Noch mehr Geschichten?«, fragte Leo.
»Gerne mehr Geschichten«, stimmte Jason zu.
Die Prinzessin warf Piper einen gereizten Blick zu. »Ach, aus Liebe tut man doch seltsame Dinge, Piper. Du müsstest das wissen. Ich habe mich in diesen jungen Helden übrigens verliebt, weil deine Mutter Aphrodite mir einen Zauber auferlegt hatte. Ohne sie – aber einer Göttin kann man nichts übel nehmen, oder?«
Der Tonfall der Prinzessin machte klar, was sie damit sagen wollte. Ich könnte mich durchaus an dir rächen.
»Aber der Held hat Sie mitgenommen, als er von Kolchis geflohen ist«, erinnerte sich Piper. »Oder nicht, Eure Hoheit? Er hat Sie geheiratet, wie er es versprochen hatte.«
Der Blick der Prinzessin hätte Piper fast dazu gebracht, sich zu entschuldigen, aber sie gab sich nicht geschlagen.
»Zuerst«, gab Ihre Hoheit zu, »da sah es aus, als ob er sein Wort halten würde. Aber sogar nachdem ich ihm geholfen hatte, den Schatz meines Vaters zu stehlen, brauchte er noch meine Hilfe. Die Flotte meines Bruders verfolgte uns, als wir flohen. Seine Kriegsschiffe überholten uns. Er hätte uns vernichtet, aber ich konnte meinen Bruder dazu überreden, unter weißer Flagge zu Verhandlungen zu uns an Bord zu kommen. Er hatte Vertrauen zu mir.«
»Und Sie haben Ihren eigenen Bruder ermordet«, sagte Piper, und die schreckliche Geschichte fiel ihr jetzt wieder ein, zusammen mit einem Namen – einem berüchtigten Namen, der mit dem Buchstaben M anfing.
»Was?« Jason fuhr hoch. Für einen Moment sah er fast normal aus. »Ihren eigenen Bru…«
»Nein«, fauchte die Prinzessin. »Das sind nur Lügen. Mein neuer Gatte und seine Männer haben meinen Bruder ermordet, auch wenn sie das ohne meine Lüge nicht geschafft hätten. Sie warfen seinen Leichnam ins Meer und die Flotte, die uns verfolgte, musste haltmachen und ihn suchen, um ihn gebührend bestatten zu können. Das gab uns Zeit zum Entkommen. Das alles tat ich für meinen Gatten. Aber er vergaß unsere Abmachung. Am Ende hat er mich verraten.«
Jason sah noch immer unbehaglich aus. »Was hat er getan?«
Die Prinzessin hielt Jason die zerfetzte Toga vor die Brust, als wolle sie an ihm für einen Meuchelmord Maß nehmen. »Kennst du die Geschichte nicht, mein Junge? Gerade du solltest sie doch kennen. Du bist nach ihm benannt.«
»Jason«, sagte Piper. »Der eigentliche Jason. Aber dann sind Sie – dann müssten Sie tot sein!«
Die Prinzessin lächelte. »Wie gesagt, ein neues Leben in einem neuen Land. Natürlich habe ich Fehler gemacht. Ich habe meinem eigenen Volk den Rücken gekehrt. Ich wurde Verräterin genannt, Diebin, Lügnerin, Mörderin. Aber ich habe es aus Liebe getan.« Sie drehte sich zu den Jungen um, sah sie mitleidheischend an und klimperte mit den Wimpern. Piper konnte spüren, wie der Zauber bei ihnen seine Wirkung tat und sie fester im Griff hatte denn je zuvor. »Würdet ihr das nicht auch tun für die, die ihr liebt, meine Guten?«
»Aber sicher doch«, sagte Jason.
»Klar«, sagte Leo.
»Jungs!« Piper knirschte vor Frust mit den Zähnen. »Seht ihr nicht, wer sie ist? Könnt ihr nicht …«
»Lasst uns doch weitergehen, ja?«, schlug die Prinzessin munter vor. »Ich glaube, ihr wolltet über den Preis der Sturmgeister reden – und über den eures Satyrn.«
Leo wurde im zweiten Stock von den technischen Geräten abgelenkt. »Wahnsinn«, sagte er. »Ist das eine Rüstungsschmiede?«
Ehe Piper ihn aufhalten konnte, sprang er von der Rolltreppe und rannte zu einem riesigen ovalen Ofen, der aussah wie ein Grill auf Steroiden.
Als sie ihn einholten, sagte die Prinzessin: »Du hast einen guten Geschmack. Das ist der H-2000, entworfen von Hephaistos persönlich. Heiß genug, um himmlische Bronze oder kaiserliches Gold zu schmelzen.«
Jason zuckte zusammen, als ob dieser Begriff ihm bekannt sei. »Kaiserliches Gold?«
Die Prinzessin nickte. »Ja, mein Lieber. Wie diese Waffe, die sich so geschickt in deiner Tasche versteckt. Um richtig geschmiedet werden zu können, musste kaiserliches Gold im Tempel des Jupiter auf dem Kapitol in Rom geweiht werden. Ein überaus mächtiges und seltenes Metall, aber wie die römischen Kaiser sehr flüchtig. Pass auf, dass du diese Klinge niemals brichst …« Sie lächelte liebenswürdig. »Rom war natürlich nach meiner Zeit, aber ich höre so dies und das. Und seht mal, hier drüben – dieser goldene Thron gehört zu meinen exklusivsten Luxusartikeln. Hephaistos hat ihn als Strafe für seine Mutter Hera geschmiedet. Wer sich hineinsetzt, ist sofort gefangen.«
Leo fasste das offenbar als Befehl auf. Er ging wie in Trance auf den Thron zu.
»Leo, nicht!«, warnte Piper.
Er blinzelte. »Wie viel für beides?«
»Ach, den Thron könnte ich dir für fünf große Taten lassen. Die Schmiede für sieben Jahre Knechtschaft. Und für nur einen kleinen Teil deiner Kraft …« Sie führte Leo zu einem Ausstellungstresen und nannte die Preise verschiedener Artikel.
Piper wollte ihn eigentlich nicht mit ihr allein lassen, aber sie musste versuchen, Jason zur Vernunft zu bringen. Sie zog ihn zur Seite und schlug ihm energisch ins Gesicht.
»Au«, murmelte er schläfrig. »Was sollte das denn?«
»Komm zu dir!«, fauchte Piper.
»Was meinst du?«
»Sie hat dich mit Charme-Sprech eingewickelt. Spürst du das nicht?«
Er runzelte die Stirn. »Sie scheint in Ordnung zu sein.«
»Sie ist nicht in Ordnung! Sie dürfte gar nicht am Leben sein! Sie war vor dreitausend Jahren mit Jason verheiratet – dem anderen Jason. Weißt du noch, was Boreas gesagt hat – dass die Seelen nicht mehr im Hades bleiben müssen? Nicht nur Monster können untot werden. Sie ist aus der Unterwelt zurückgekehrt.«