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»Echt?«, fragte Leo.

»Leo, sie lügt«, sagte Piper. »Sie hat den Trick schon mal angewendet – bei einem König. Sie hat seine Tochter überredet, ihn in Stücke zu hacken, damit er jung und gesund aus dem Brunnen steigen könnte. Aber es hat ihn umgebracht.«

»Lächerlich«, sagte Medea und Piper konnte hören, wie ihre Macht jede Silbe auflud. »Leo, Jason, mein Preis ist so gering. Warum kämpft ihr zwei nicht einfach gegeneinander? Wenn ihr verletzt werdet oder sogar umgebracht, kein Problem. Dann werfen wir euch in den Brunnen und ihr seid wieder wie neu. Ihr wollt doch kämpfen, oder? Ihr könnt euch nicht ausstehen.«

»Jungs, nein«, sagte Piper. Aber die beiden starrten einander schon wütend an, als ob ihnen plötzlich ihre wahren Empfindungen aufgingen.

Piper hatte sich niemals hilfloser gefühlt. Jetzt begriff sie, wie wahre Zauberei aussah. Sie hatte immer gedacht, Magie hätte etwas mit Zauberstäben und Feuerkugeln zu tun, aber das hier war viel schlimmer. Medea setzte nicht nur Gifte und Elixiere ein, ihre mächtigste Waffe war ihre Stimme.

Leo runzelte die Stirn. »Jason ist immer der Star. Immer kriegt er alle Aufmerksamkeit und hält meine Anwesenheit für selbstverständlich.«

»Du nervst, Leo«, sagte Jason. »Du nimmst nichts ernst. Du kannst nicht mal einen Drachen reparieren.«

»Hört auf!«, flehte Piper, aber beide zogen ihre Waffen – Jason sein goldenes Schwert und Leo einen Hammer aus dem Werkzeuggürtel.

»Lass sie doch, Piper«, sagte Medea. »Ich tue dir einen Gefallen. Wenn es jetzt passiert, wird das deine Entscheidung so viel leichter machen. Enceladus wird zufrieden sein. Du bekommst vielleicht noch heute deinen Vater zurück.«

Medeas Charme-Sprech hatte keine Wirkung auf Piper, aber ihre Stimme war dennoch überzeugend. Ihren Vater noch heute zurückzubekommen? Trotz ihrer guten Vorsätze wünschte Piper sich das. Sie sehnte sich so sehr nach ihrem Vater, dass es wehtat.

»Sie arbeiten für Enceladus«, sagte sie.

Medea lachte. »Einem Riesen dienen? Nein. Aber wir alle dienen einer größeren Sache, einer Beschützerin, die du lieber nicht herausfordern solltest. Geh jetzt, Kind der Aphrodite. Das hier muss nicht auch dein Tod sein. Rette dich und dein Vater kommt frei.«

Leo und Jason starrten einander immer noch kampfbereit an, aber sie sahen unsicher und verwirrt aus – sie warteten auf einen weiteren Befehl. Ein Teil von ihnen wehrte sich, das hoffte Piper zumindest. Das hier war doch total wider ihre Natur.

»Hör auf mich, Mädchen.« Medea pflückte einen Diamanten von ihrem Armband und warf ihn in die Gischt des Brunnens. Als der Diamant das vielfarbige Licht durchschnitt, sagte Medea: »Oh, Iris, Göttin des Regenbogens, zeig mir das Büro von Tristan McLean.«

Der Nebel schimmerte und Piper sah das Büro ihres Vaters. Hinter seinem Schreibtisch, das Telefon in der Hand, saß seine Assistentin Jane in ihrem dunklen Kostüm, die Haare zu einem festen Knoten gedreht.

»Hallo, Jane«, sagte Medea. Jane legte gelassen auf. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Ma’am? Hallo, Piper.«

»Du …« Piper war so wütend, dass sie kaum ein Wort herausbrachte.

»Ja, Kind«, sagte Medea. »Die Assistentin deines Vaters. Sehr leicht zu manipulieren. Für eine Sterbliche sehr gut organisiert, aber unvorstellbar schwach.«

»Danke, Ma’am«, sagte Jane.

»Keine Ursache«, sagte Medea. »Ich wollte dir nur gratulieren, Jane. Mr McLean dazu zu bringen, so plötzlich die Stadt zu verlassen, mit dem Flugzeug nach Oakland zu fliegen, ohne Presse oder Polizei zu verständigen, und dabei keine Aufmerksamkeit zu erregen – gut gemacht. Offenbar weiß niemand, wo er steckt. Und ihm zu erzählen, das Leben seiner Tochter stehe auf dem Spiel – das war eine gute Idee, um ihn gefügig zu machen.«

»Ja«, stimmte Jane tonlos zu, wie eine Schlafwandlerin. »Er war absolut kooperativ, sobald er glaubte, Piper sei in Gefahr.«

Piper starrte ihren Dolch an. Die Klinge zitterte in ihrer Hand. Sie konnte nicht besser mit der Waffe umgehen als die schöne Helena, aber der Dolch war immer noch ein Spiegel, und was sie darin sah, war ein verängstigtes Mädchen, das nicht gewinnen konnte.

»Ich habe vielleicht neue Befehle für dich, Jane«, sagte Medea. »Wenn das Mädchen mitmacht, ist es möglicherweise Zeit für Mr McLean, nach Haus zu kommen. Würdest du für den Fall eine passende Coverstory für die Presse erfinden? Und ich vermute, der arme Mann wird einige Zeit in einer psychiatrischen Klinik brauchen.«

»Ja, Ma’am. Ich kümmere mich um alles.«

Das Bild verblasste und Medea drehte sich zu Piper um. »Also, verstehst du jetzt?«

»Sie haben meinen Dad in eine Falle gelockt«, sagte Piper. »Sie haben dem Riesen geholfen …«

»Aber bitte, meine Liebe! Jetzt nicht zu emotional werden. Ich bereite mich seit Jahren auf diesen Krieg vor, schon ehe ich ins Leben zurückgebracht worden bin. Ich bin Seherin, wie gesagt. Ich kann die Zukunft genauso gut vorhersagen wie euer kleines Orakel. Vor Jahren, als ich noch auf den Feldern der Verdammnis schmachtete, hatte ich eine Vision der Sieben aus eurer sogenannten Großen Weissagung. Ich sah deinen Freund Leo, sah, dass er eines Tages ein wichtiger Feind sein würde. Ich berührte das Bewusstsein meiner Beschützerin und gab ihr diese Information, und sie konnte ein mehr aufwachen – gerade genug, um ihn zu besuchen.«

»Leos Mutter«, sagte Piper. »Leo, hör dir das an! Sie war am Tod deiner Mutter beteiligt.«

»Aha«, murmelte Leo benommen. Er betrachtete stirnrunzelnd seinen Hammer. »Also … ich greife Jason einfach an. In Ordnung?«

»Perfekt«, versprach Medea. »Und Jason, schlag richtig zu. Zeig mir, dass du deinen Namen zu Recht trägst.«

»Nein!«, befahl Piper. Sie wusste, dass das ihre letzte Chance war. »Jason, Leo – sie beeinflusst euch. Legt eure Waffen weg.«

Die Zauberin verdrehte die Augen. »Bitte, Kleine. Du kannst es nicht mit mir aufnehmen. Ich bin von meiner Tante ausgebildet worden, der unsterblichen Circe. Ich kann Männer mit meiner Stimme in den Wahnsinn treiben oder heilen. Was haben diese mickerigen jungen Helden da für eine Chance gegen mich? Los, los, Jungs, jetzt bringt euch schon gegenseitig um.«

»Jason, Leo, hört mir zu.« Piper legte all ihr Gefühl in ihre Stimme. Seit Jahren versuchte sie, sich zu beherrschen und keine Schwäche zu zeigen, aber jetzt ließ sie alles in ihre Worte einfließen – ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihre Wut. Sie wusste, dass sie hier vielleicht gerade das Todesurteil ihres Vaters unterschrieb, aber sie konnte nicht zulassen, dass ihre Freunde sich gegenseitig umbrachten, dazu waren sie ihr zu wichtig. »Medea verzaubert euch. Das gehört zu ihrer Magie. Ihr seid die besten Freunde. Kämpft nicht gegeneinander. Kämpft gegen sie!«

Sie zögerten und Piper spürte, wie der Zauber sich löste.

Jason blinzelte. »Leo, wollte ich dich gerade erstechen?«

»Irgendwas war mit meiner Mutter …« Leo runzelte die Stirn, dann drehte er sich zu Medea um. »Sie arbeiten für die Erdfrau. Sie haben sie in die Werkstatt geschickt.« Er hob den Arm. »Gute Frau, ich habe hier einen Drei-Pfund-Hammer in der Hand, auf dem Ihr Name steht.«

»Pah«, fauchte Medea. »Dann hole ich mir die Bezahlung eben auf andere Weise.«

Sie drückte auf einen Mosaikstein im Boden und das Gebäude dröhnte. Jason holt mit dem Schwert aus, aber Medea löste sich in Rauch auf und erschien unten an der Rolltreppe wieder.

»Du bist zu langsam, Held«, lachte sie. »Ihr könnt euren Frust an meinen Kuscheltieren auslassen.« Ehe Jason sie verfolgen konnte, öffneten sich die riesigen Bronzesonnenuhren an den Seiten des Springbrunnens. Zwei fauchende goldene Bestien – geflügelte Drachen aus Fleisch und Blut – krochen aus der Grube darunter. Jeder war so groß wie ein Wohnwagen, vielleicht nicht so groß wie Festus, aber es reichte.

»Das ist also in den Zwingern«, sagte Leo kleinlaut.

Die Drachen breiteten die Flügel aus und fauchten. Piper konnte die Hitze ihrer funkelnden Haut spüren. Einer richtete wütende orangefarbene Augen auf sie.

»Schau ihm ja nicht in die Augen!«, warnte Jason. »Das würde dich lähmen.«

»Allerdings!« Medea fuhr gelassen mit der Rolltreppe nach oben, sie lehnte am Geländer und sah sich den Spaß an. »Diese beiden Süßen sind schon lange in meinem Besitz: Sonnendrachen, Geschenke meines Großvaters Helios. Sie haben meinen Wagen gezogen, als ich Korinth verlassen habe, und jetzt werden sie euer Ende sein. Also los.«

Die Drachen schossen vor. Leo und Jason warfen sich ihnen entgegen. Piper war überrascht, wie furchtlos die Jungen sie angriffen – sie arbeiteten wie ein Team, das seit Jahren gemeinsam trainierte hatte.

Medea hatte fast den zweiten Stock erreicht, wo sie die Wahl zwischen allerlei tödlichem Zubehör hätte.

»Oh nein«, knurrte Piper und rannte hinter ihr her.

Als Medea Piper entdeckte, lief sie die Treppe hoch. Dafür, dass sie dreitausend Jahre alt war, war sie ziemlich flink. Piper lief, so schnell sie konnte, und nahm immer drei Stufen auf einmal, konnte Medea aber trotzdem nicht einholen. Medea hielt beim zweiten Stock nicht an. Sie sprang auf die nächste Rolltreppe und rannte immer weiter nach oben.

Die Elixiere, dachte Piper. Natürlich wollte sie zu denen. Sie war berühmt für ihre Elixiere.

Unter sich hörte Piper Kampfgeräusche. Leo stieß schrille Pfiffe aus und Jason brüllte, um die Aufmerksamkeit der Drachen abzulenken. Piper wagte nicht, nach unten zu schauen – nicht, solange sie mit einem Dolch in der Hand rannte. Sie sah schon, wie sie stolperte und sich in die Nase stach. Das wäre eine tolle Heldentat.

Sie entriss einer Schaufensterpuppe mit Rüstung im dritten Stock einen Schild und fuhr weiter nach oben. Sie stellte sich vor, dass Trainer Hedge sie anschrie, wie im Sportunterricht an der Wüstenschule: Bewegung, McLean! Nennst du das etwa Rolltreppensteigen?

Keuchend kam sie im obersten Stock an, aber sie war zu spät: Medea hatte den Tresen mit den Elixieren bereits erreicht.

Die Zauberin packte eine schwanenförmige Phiole – die blaue, die schmerzhaften Tod verursachte – und Piper tat das Einzige, was ihr einfiel – sie schleuderte den Schild.

Medea drehte sich gerade im richtigen Moment triumphierend zu ihr, um von einer fünfzig Pfund schweren metallischen Frisbeescheibe an der Brust getroffen zu werden. Sie taumelte rückwärts, fiel auf den Tresen mit den Elixieren, zerbrach Phiolen und riss Regale um. Als die Zauberin sich aus den Trümmern erhob, war ihr Kleid mit einem Dutzend verschiedenfarbiger Flüssigkeiten bekleckert. Viele der Flecken schwelten und glühten.

»Idiotin!« heulte Medea. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was so viele Elixiere anrichten können, wenn man sie mischt?«

»Sie umbringen?«, fragte Piper hoffnungsvoll.

Der Teppichboden um Medeas Füße begann zu dampfen. Medea hustete und ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz – oder täuschte sie das nur vor?

Unten rief Leo: »Jason, Hilfe!«

Piper warf einen raschen Blick übers Geländer und hätte vor Verzweiflung fast aufgeschluchzt. Einer der Drachen presste Leo zu Boden und bleckte die Hauzähne, bereit zum Zuschnappen. Jason war auf der anderen Seite des Raumes, er kämpfte gegen den anderen Drachen und war viel zu weit weg, um Leo zu helfen.

»Du hast uns alle dem Untergang geweiht!«, kreischte Medea. Rauch wälzte sich über den Teppichboden, als der Farbfleck sich ausbreitete, er ließ Funken aufstieben und zündete Kleiderständer an. »Euch bleiben nur noch Sekunden, ehe diese Mischung alles verzehrt und das Gebäude zerstört. Wir haben keine Zeit …«

KRACH! Die bunte Glasdecke zersplitterte zu einem Regen aus knallbunten Scherben und Festus der Bronzedrache ließ sich ins Warenhaus fallen.

Er warf sich in den Kampf und schnappte sich mit jeder Pranke einen Sonnendrachen. Erst jetzt sah Piper so richtig, wie groß und stark ihr metallischer Freund war.

»Ja, guter Junge!«, rief Leo.

Festus stieg auf halbe Höhe des Innenhofs, dann schleuderte er die Sonnendrachen in die Gruben, aus denen sie gekommen waren. Leo rannte zum Brunnen und drückte auf die Marmorplatte, wodurch er die Sonnenuhren schloss. Die Marmorfliesen bebten, als die Drachen sich dagegen warfen, aber für den Moment saßen die Untiere fest.

Medea fluchte in irgendeiner antiken Sprache. Der gesamte vierte Stock brannte. Giftige Gase füllten die Luft. Sogar mit offenem Dach spürte Piper, wie es immer heißer wurde. Sie wich zum Geländer zurück und hielt dabei den Dolch die ganze Zeit auf Medea gerichtet.

»Ich will nicht noch einmal verlassen werden!« Die Zauberin kniete nieder und schnappte sich die rote Heilmixtur, die irgendwie den Absturz überlebt hatte. »Willst du, dass dein Freund seine Erinnerung zurückerlangt? Dann nehmt mich mit!«

Piper schaute sich um. Leo und Jason saßen auf Festus’ Rücken. Der Bronzedrache schlug mit seinen mächtigen Flügeln, schnappte sich die beiden Käfige mit dem Satyrn und den Sturmgeistern und begann den Aufstieg.

Das Gebäude dröhnte. Feuer und Rauch züngelten an den Wänden hoch, ließen die Geländer schmelzen und verwandelten die Luft in Säure. »Ohne mich könnt ihr euren Einsatz niemals überleben!«, jammerte Medea. »Dein kleiner Held wird für immer unwissend bleiben und dein Vater wird sterben. Nehmt mich mit!«

Für einen Herzschlag fühlte Piper sich versucht. Dann sah sie Medeas verschlagenes Lächeln. Die Zauberin war von ihrer Überredungskunst überzeugt, überzeugt davon, dass sie immer einen Handel abschließen könnte, immer entkommen und am Ende den Sieg davontragen würde.

»Heute nicht, Hexe.« Piper sprang von der Galerie. Sie fiel nur für eine Sekunde, dann hatten Leo und Jason sie aufgefangen und zogen sie auf den Drachen.

Sie hörten Medea vor Wut kreischen, als sie durch das zerstörte Dach und über die Innenstadt von Chicago jagten. Dann explodierte das Warenhaus hinter ihnen.