»Du bist total unterkühlt«, sagte Jason. »Wir haben so viel Nektar genommen, wie wir uns getraut haben. Trainer Hedge hat ein bisschen Naturmagie versucht …«
»Sportmedizin.« Das hässliche Gesicht des Trainers tauchte über ihr auf. »So eine Art Hobby von mir. Dein Atem riecht jetzt vielleicht ein paar Tage nach wilden Pilzen und Gatorade, aber das geht vorüber. Vermutlich wirst du nicht sterben. Vermutlich.«
»Danke«, sagte Piper mit schwacher Stimme. »Wie habt ihr Midas besiegt?«
Jason erzählte ihr alles und schrieb das meiste dem puren Glück zu.
Der Trainer schnaubte. »Der Kleine ist zu bescheiden. Du hättest ihn mal sehen sollen! Heija! Pariert! Drauf mit dem Blitz!«
»Trainer Hedge, Sie haben es gar nicht gesehen«, sagte Jason. »Sie waren draußen und haben am Rasen geknabbert.«
Aber der Satyr redete sich gerade in Fahrt. »Dann kam ich mit meiner Keule dazu und der Saal war unser. Danach habe ich zu ihm gesagt, Kleiner, ich bin stolz auf dich. Wenn ich nur noch etwas an deiner Oberkörpermuskulatur arbeiten könnte …«
»Trainer Hedge!«, sagte Jason.
»Ja?«
»Bitte, halten Sie den Mund.«
»Klar doch.« Der Trainer setzte sich ans Feuer und knabberte an seiner Keule.
Jason legte Piper die Hand auf die Stirn, um zu sehen, wie hoch ihr Fieber war. »Leo, kannst du das Feuer schüren?«
»Schon dabei.« Leo beschwor einen baseballgroßen Flammenklumpen herauf und warf ihn ins Lagerfeuer.
»Seh ich so schlimm aus?« Piper zitterte.
»Nö«, sagte Jason.
»Du bist ein erbärmlicher Lügner«, sagte sie. »Wo sind wir?«
»Pikes Peak«, sagte Jason. »Colorado.«
»Aber ist das nicht – an die fünfhundert Meilen von Omaha entfernt?«
»So ungefähr«, sagte Jason zustimmend. »Ich habe die Sturmgeister angeschirrt, um uns so weit zu bringen. Das gefiel ihnen gar nicht – sie flogen etwas schneller, als ich wollte, und hätten uns fast gegen den Felshang krachen lassen, ehe ich sie wieder in den Rucksack sperren konnte. Das versuche ich nicht noch mal.«
»Warum sind wir hier?«
Leo schnaubte. »Das habe ich ihn auch schon gefragt.«
Jason starrte in den Sturm, als würde er nach etwas Ausschau halten. »Wisst ihr noch, diese leuchtende Kondensspur, die wir gestern gesehen haben? Die war noch immer da, nur sehr stark verblasst. Ich bin ihr gefolgt, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Und dann – ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher. Ich hatte einfach das Gefühl, das hier wäre die richtige Stelle, um anzuhalten.«
»Ist es ja auch.« Trainer Hedge spuckte einige Keulensplitter aus. »Der schwebende Palast des Aeolus müsste über uns geankert haben, gleich neben dem Gipfel. Hier hat er immer besonders gern angedockt.«
»Das war es vielleicht.« Jason runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Da ist noch etwas anderes.«
»Die Jägerinnen wollten auch nach Westen«, erinnerte sich Piper. »Glaubst du, sie sind hier irgendwo?«
Jason rieb sich den Unterarm, als ob die Tätowierungen ihm wehtäten. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Moment da oben auf dem Berg jemand überleben könnte. Der Sturm ist ganz schön übel. Es ist schon der Abend vor der Sonnenwende, aber uns bleibt nichts anderes übrig, als hier zu warten, bis der Sturm sich legt. Außerdem braucht ihr noch Ruhe, ehe wir weiterziehen.«
Er brauchte Piper nicht lange zu überreden. Der Wind, der vor der Höhle heulte, machte ihr Angst und sie konnte nicht aufhören zu zittern.
»Wir müssen dich wärmen.« Jason setzte sich neben sie und streckte ein wenig hilflos die Arme aus. »Äh, was dagegen, wenn ich …«
»Wäre nicht schlecht.« Sie versuchte, sich gelassen anzuhören.
Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. Sie rückten dichter an das Feuer heran. Trainer Hedge nagte an seiner Keule und spuckte Holzsplitter ins Feuer.
Leo zog einige Kochutensilien hervor und fing an, in einer Eisenpfanne Frikadellen zu braten. »So, Leute, wo ihr schon zur Märchenstunde bereit sitzt … da wollte ich euch doch noch was erzählen. Auf dem Weg nach Omaha hatte ich einen Traum. Nicht ganz leicht zu verstehen, durch das statische Knistern und weil er immer wieder zu ›Wheel of Fortune‹ umschaltete …«
»›Wheel of Fortune‹?« Piper nahm an, dass Leo einen Witz machte, aber als er von seiner Pfanne aufschaute, war seine Miene todernst.
»Es ist so«, sagte er, »mein Dad Hephaistos hat zu mir gesprochen.«
Leo erzählte ihnen von seinem Traum. Im Feuerschein und bei dem heulenden Wind war die Geschichte noch unheimlicher. Piper konnte sich die knisternde Stimme des Gottes vorstellen, der Leo vor Riesen warnte, den Söhnen des Tartarus, und ihm sagte, dass er unterwegs Freunde verlieren würde.
Sie versuchte, sich auf etwas Gutes zu konzentrieren: Jasons Arme, die um sie lagen, die Wärme, die sich langsam in ihr ausbreitete, aber sie war außer sich vor Angst. »Ich verstehe das nicht. Wenn Halbgötter und Götter sich zusammentun müssen, um die Riesen zu töten, warum schweigen die Götter dann? Wenn sie uns brauchen …«
»Ha«, sagte Trainer Hedge. »Die Götter hassen es, Menschen zu brauchen. Sie wollen von den Menschen gebraucht werden, nicht umgekehrt. Es muss noch sehr viel schlimmer werden, ehe Zeus zugibt, dass es ein Fehler war, den Olymp zu schließen.«
»Trainer Hedge«, sagte Piper. »Das war ja fast ein intelligenter Kommentar.«
Hedge schnaubte. »Was? Ich bin intelligent. Es überrascht mich nicht, dass ihr Zuckerpüppchen nie vom Krieg gegen die Riesen gehört habt. Die Götter reden nicht gern darüber. Schlechte PR, wenn man zugeben muss, dass man Sterbliche braucht, um einen Feind zu besiegen. Das ist ziemlich peinlich.«
»Aber das ist noch nicht alles«, sagte Jason. »Als ich von Hera in ihrem Käfig geträumt habe, hat sie gesagt, dass Zeus sich ungewöhnlich paranoid aufführt. Und Hera – sie sagte, sie sei in diese Ruinen gegangen, weil sie im Kopf eine Stimme gehört hatte. Was, wenn jemand die Götter beeinflusst hat, so wie Medea uns beeinflusst hat?«
Piper zitterte. Sie hatte schon so etwas Ähnliches gedacht – dass eine Macht, die sie nicht sehen konnte, hinter den Kulissen wirkte und den Riesen half. Vielleicht informierte diese Macht Enceladus über ihre Bewegungen und hatte sogar ihren Drachen über Detroit vom Himmel gerissen. Vielleicht war es Leos schlafende Erdfrau oder einer ihrer Diener …
Leo legte Brötchen zum Toasten in die Pfanne. »Ja, Hephaistos hat etwas Ähnliches gesagt, dass Zeus sich noch komischer aufführt als sonst. Aber was mir Sorgen macht, ist das, was mein Dad nicht gesagt hat. Er hat zweimal die Halbgötter erwähnt und dass er so viele Kinder hat und so. Ich weiß nicht. Er hat so getan, als ob es fast unmöglich ist, dass die größten Halbgötter sich zusammentun – dass Hera es versucht, aber dass es eigentlich Wahnsinn ist, und es gibt etwas, das Hephaistos mir nicht verrät.«
Jason bewegte sich. Piper konnte die Spannung in seinen Armen spüren.
»Chiron hat im Camp etwas Ähnliches gesagt«, meinte er. »Er hat von einem heiligen Eid gesprochen, dass irgendwas nicht erwähnt werden darf. Trainer Hedge, wissen Sie etwas darüber?«
»Nö. Ich bin bloß ein Satyr. Die richtig saftigen Geschichten erzählen sie uns nicht. Schon gar keinem alten …«
»Einem alten Knacker wie Ihnen?«, fragte Piper. »Aber so alt sind Sie doch noch gar nicht, oder?«
»Hundertsechs«, murmelte der Trainer.
Leo hustete. »Was?«
»Mach dir bloß nicht ins Hemd, Valdez. In Menschenjahren ist das nur dreiundfünfzig. Aber, zugegeben, ich hab mir beim Rat der Behuften Älteren einige Feinde gemacht. Ich bin schon lange als Beschützer tätig. Aber dann haben sie gesagt, ich würde unzuverlässig. Zu gewaltbereit. Könnt ihr euch das vorstellen?«
»Undenkbar.« Piper versuchte, ihre Freunde nicht anzusehen. »Das ist wirklich kaum zu fassen.« Der Trainer runzelte die Stirn. »Ja, und dann hatten wir endlich einen guten Krieg gegen die Titanen am Laufen, aber schicken sie mich an die Front? Nein. Sie schicken mich so weit weg wie möglich – an die kanadische Grenze, könnt ihr euch das vorstellen? Und dann nach dem Krieg werde ich aufs Land geschickt. In die Wüstenschule. Pah. Als ob ich zu alt wäre, um zu helfen, bloß weil ich gern im Angriff spiele. Diese ganzen Blumenpflücker im Rat – reden immer nur über die Natur.«