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Die drei freiwilligen Hexen vom Vortag erschienen eine nach

der anderen und deckten meinen Vater mit zärtlicher Fürsorge und allzeit frischem Kaffee ein.

Ich hatte ihre Namen vergessen: Faith, Marge und Lavender, rügte Faith mich sanft.

»Entschuldigung.«

»Ein guter Politiker merkt sich Namen«, mahnte Lavender. »Ihr Vater ist nicht gut bedient, wenn Sie vergessen, wer die Leute sind.« Die magere Dame mit dem duftigen Namen war diejenige, die über Orinda Nagle geschimpft hatte. Schwer, ihr etwas recht zu machen, dachte ich.

Mervyn Teck und mein Vater sprachen über Stadtviertel und Flugblätter. Crystal Harley fütterte einen Computer mit immer neuen Einzelheiten. Die mütterliche Faith lief mit einem Staubtuch umher, und Marge warf den Kopierer an.

Ich saß auf meinem Hocker und erfuhr einfach durch Zuhören viel Neues, für mich Überraschendes zum Thema Wahlkampf, vor allem, mit welch einem kargen Budget er geführt werden mußte. Niemand konnte sich einen Abgeordnetensitz erkaufen: Jeder Kandidat war angewiesen auf ein Heer von unbezahlten Helfern, die ihre Argumente von Haus zu Haus trugen und »Wählt mich«-Plakate an die geeigneten Bäume pappten.

Wir hätten Wahlgesetze, erklärte Crystal knapp, die Finger auf der Tastatur, die Augen unverwandt auf dem Bildschirm. Danach seien die zulässigen Ausgaben eng begrenzt.

»Unser Wahlkreis hat rund siebzigtausend Wahlberechtigte«, sagte sie. »Mit unserem Budget kann man nicht siebzigtausend Leuten ein Bier ausgeben. Die britische Wählerschaft zu bestechen ist unmöglich. Man muß sie überzeugen. Dafür ist Ihr Vater da.«

»Ein Brief innerhalb des Stadtgebiets wird nicht frankiert«, meinte Faith lächelnd. »Er wird mit dem Fahrrad vorbeigebracht.«

»Heißt das, Sie haben nicht mal Geld für Briefmarken?«

»Wir müssen jeden Penny abrechnen«, sagte Crystal und nickte. »Nach der Wahl wird eine detaillierte Aufstellung darüber verlangt, wo das Geld geblieben ist, und wenn er irgend kann, wird Paul Bethune uns nachweisen, daß wir überzogen haben, genau wie wir umgekehrt seine Abrechnung nach der kleinsten Fehlziffer durchkämmen werden.«

»Aber das Diner gestern ...«:, setzte ich an.

»Das Diner gestern ist von den Gästen selbst bezahlt worden und hat die Wählervereinigung nichts gekostet«, sagte Crystal. Nach einer Pause setzte sie meine Unterweisung fort. »Mervyn und ich arbeiten für den Ortsverband unserer Partei, nicht direkt fürs Parlament. Der Ortsverband stellt auch die Büros hier, und alles wird aus Spenden und Sammelaktionen finanziert.«

Sie fand es gut, wie das Ganze geregelt war, doch mich wunderte es eigentlich, wie bei einer solchen Weichenstellung, die ja nun sorgfältig auf die Wahl des Tüchtigsten hinzielte, im Parlament so viele Holzköpfe sitzen konnten.

Solange wir nur zu siebt im Büro waren, ging es dort relativ ruhig zu, doch damit war es vorbei, als nach und nach eine ähnlich gemischte Gesellschaft wie die vom Vorabend zu beiden Türen hereinströmte und eine Unzahl schwer zu beantwortender Fragen stellte.

Mervyn Teck freute sich. Ob Polizei, Medien, Parteianhänger oder bloß Neugierige, er hieß sie alle herzlich willkommen. Der Kandidat war nicht nur wohlauf, sondern ausgesprochen charmant zu allen Besuchern. Der Mann vom Lokalfernsehen leuchtete das Gesicht meines Vaters aus und filmte sein offenes Lächeln. Zu den Lokalreportern hatten sich Vertreter mehrerer großer Tageszeitungen hinzugesellt. Kameras blitzten. Mikrophone wurden herumgereicht, damit kein hörenswertes Wort verlorenging, und ich für mein Teil lächelte einfach pausenlos, war furchtbar nett und bat alle, die Fragen hatten, sich damit an meinen Vater zu wenden.

Crystal, die weiterarbeitete, so gut es ging, sich aber regelrecht an ihren Schreibtisch krallen mußte, um nicht wie Treibgut umhergespült zu werden, meinte bissig zu mir, wenn George Juliard umgebracht worden wäre, könnte der Wirbel kaum größer sein.

»Zum Glück lebt er aber noch«, sagte ich und verkeilte meinen Hocker neben ihrem in der Brandung.

»Ist er wegen des Knalls von dem Schuß gestolpert?« fragte sie.

»Nein, vorher.«

»Wieso wissen Sie das?«

»Weil der Knall eines Hochgeschwindigkeitsgeschosses später ankommt als die Kugel selbst.«

Sie sah mich ungläubig an.

»Das habe ich in Physik gelernt«, sagte ich.

Sie warf einen Blick auf mein bartloses Gesicht. »Wie alt sind Sie?« fragte sie.

»Siebzehn.«

»Dann dürfen Sie ja noch gar nicht wählen.«

»Will ich auch gar nicht.«

Sie schaute zu meinem Vater hinüber, der mit Bescheidenheit und Eleganz die Medien für sich einnahm.

»Ich habe schon ziemlich viele Politiker kennengelernt«, sagte sie. »Ihr Vater ist anders.«

»Inwiefern?«

»Spüren Sie nicht, wieviel Kraft er hat? Na ja, als sein Sohn vielleicht nicht. Sie stehen ihm zu nah.«

»Manchmal spüre ich das schon.« Eine umwerfende Kraft, dachte ich.

»Denken Sie nur an gestern abend«, redete Crystal gleich weiter. »Ich war dabei, ich saß hinten. Er hat den Saal begeistert. Er

ist ein geborener Redner. Ich meine, ich arbeite hier, und trotzdem hatte ich richtig Herzklopfen. Dennis Nagle war ein netter, mit seiner ruhigen Art durchaus fähiger, verdienter Mann, aber er hätte niemals ein Publikum so zum Toben bringen können.«

»Könnte das Orinda?«

Crystal war verblüfft. »Nein, bei ihr lachen die Leute nicht. Aber allein nach gestern abend darf man sie auch nicht beurteilen. Sie hat viel für den Wahlkreis getan. Sie stand Dennis immer zur Seite. Es trifft sie sehr, daß sie nicht als seine Nachfolgerin aufgestellt worden ist, denn bis Ihr Vater den Wahlausschuß elektrisiert hat, stand sie ohne Konkurrenz da.«

»Wenn also jemand ein Motiv hätte, meinen Vater um die Ek-ke zu bringen«, sagte ich, »dann wäre sie das.«

»Aber so ist sie nicht!« Crystal war ehrlich bestürzt. »Sie kann wirklich reizend sein. Mervyn mag sie sehr. Er ist schwer enttäuscht, daß er sie nicht ins Parlament bringen kann. Darauf hatte er sich gefreut.«

Eckig und spitz, wie sie zuerst auf mich gewirkt hatte, war Crystal nur äußerlich. Sie war freundlicher und gelassener, als sie aussah. Ich fragte mich, ob sie einmal magersüchtig gewesen war. Solche Mädchen kannte ich aus der Schule. Einer waren die Zähne ausgefallen.

Crystals Zähne waren weiß und ebenmäßig, wenn sie sie auch selten blitzen ließ, denn dafür nahm sie das Leben zu ernst. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig und nahm an, sie hatte nie viel zu lachen gehabt.

Mervyn Teck schlängelte sich zwischen den vielen Leuten durch und sagte mir, es würde langsam Zeit, meinen Vater nach Quindle zu bringen, wo er Termine habe. Die entlegene Kleinstadt war eines der Ballungszentren in dem großen ländlichen Wahlkreis. Mervyn gab mir eine Autokarte mit markiertem Weg und Ziel, sah mich aber unschlüssig an.

»Trauen Sie sich das wirklich zu?«

»Ja«, sagte ich mit mehr Selbstvertrauen, als ich empfand.

»Ein Zwischenfall wie die Sache gestern abend ist unbezahlbar«, sagte er. »Jetzt noch ein Autounfall, das wäre des Guten schon zuviel. Es soll nicht heißen, wir wären vom Pech verfolgt.«

»Klar«, sagte ich.

Auf der anderen Zimmerseite schwenkte mein Vater die Schlüssel des Range Rovers. Ich ging zu ihm, ließ sie mir geben, und er löste sich von den mit ihm plaudernden Sympathisanten (Polizei und Medien waren längst wieder weg) und humpelte am Stock durch das hintere Büro zum Parkplatz.

Andrang bringt Andrang. Die Hintertür war von einer Gruppe von Leuten belagert, die meinen Vater lächelnd, mit Beifall und hochgereckten Daumen begrüßten. Ich blickte zu dem Range Rover, den wir am Nachmittag vorher bei unserer Ankunft ein Stück entfernt abgestellt hatten, und mein Vater bat mich, den Wagen heranzuholen, damit er nicht so weit humpeln müsse.