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Es wurde Mitternacht, bis sich das Gros der Leute auf den Heimweg machte. Mr. und Mrs. Promi waren samt Chauffeur und Leibwache längst abgerückt. Polly gähnte aus wohlverdien-ter Müdigkeit. Orinda und Mr. A. L. Wyvern waren nirgends zu sehen, und Mrs. Leonard Kitchens hatte ihren Leonard mit scharfem Zungenschlag hinausgepeitscht.

Ich wartete auf meinen Vater bis zum Schluß, nicht nur, weil ich keinen Schlüssel zu unserer Bleibe über dem Wahlkampfbüro hatte, sondern auch, weil mein Vater jemanden brauchte, bei dem er sich entspannen konnte, wenn der Jubel verhallt war. Man brauchte keine achtzehn zu sein, um zu wissen, daß auf Siegesfreude das Bedürfnis nach menschlicher Nähe folgte. Nach drei meiner wenigen gewonnenen Jagdrennen war ich in die leere Wohnung bei Mrs. Wells zurückgekehrt und hatte keinen gehabt, mit dem ich lachen, johlen, toben und meine unbändige Freude teilen konnte. Heute abend brauchte mich mein Vater. Eine Frau wäre besser gewesen, aber irgend jemand mußte dasein. Also blieb ich.

Er legte mir den Arm um die Schultern.

»Herrgott«, sagte er.

»Eines Tages wirst du Premierminister«, prophezeite ich ihm. »Mr. Promi hat Angst davor.«

Er sah mich müde, mit glänzenden Augen an. »Weshalb sollte jemand Angst davor haben?«

»Cäsaren werden immer umgebracht. Hast du doch selbst gesagt.«

»Bitte?«

»Du warst brillant.«

»Auf deinen Sarkasmus kann ich verzichten, Ben.«

»Nein, im Ernst, Vater .«

»Dad.«

»Dad ...« Ich blieb stecken. Als Dad konnte ich ihn nicht ansprechen. Ein Dad war jemand, der seine Kinder in die Schule fuhr, sich Schneeballschlachten mit ihnen lieferte und sie herunterputzte, wenn sie zu spät nach Hause kamen. Von einem Dad bekam man keine Weihnachtskarte mit beigefügtem Scheck für die Skischule. Dads gratulierten nicht mit einem unpersönlichen Fax per Hoteladresse, wenn ihr Sproß einen Juniorenabfahrtslauf gewann. Dads standen an der Piste und schauten sich das an. Im Gegensatz zu Vätern.

Die letzten Versammlungsteilnehmer kamen herbei, um ihm strahlend zu gratulieren. Er ließ mich los und gab ihnen die Hand, verbindlich und freundlich zu allen, und ich sah im Geist schon, wie sie in den nächsten vier Wochen herumerzählten: »Juliard ist ein ausgezeichneter Mann, so einen brauchen wir ... Wählen Sie Juliard, da liegen Sie richtig.« Dieser Abend würde Wellen schlagen, auch über den Bezirk von Hoopwestern hinaus.

Mein Vater kam ein wenig von seiner Wolke herunter und fand, er habe für diesen Tag genug getan. Wir verließen den Saal und kehrten ins Foyer zurück, um schließlich, von einhelligen Gutenachtwünschen begleitet, durch die warme Augustnacht zu dem schwach erhellten Haus mit den Erkern auf der anderen Seite zu gehen.

Um den Platz herum standen Straßenlaternen, und hinter uns hatten wir die Lichter des Hotels, doch das schmucke Pflaster, auf dem wir gingen, war schwarz und holprig. Später erfuhr ich, daß ältere Leute bei Glatteis hier öfters ausrutschten und sich die Knochen brachen, und in dieser euphorischen Nacht stolperte mein Vater auf dem unebenen Belag und schlug bei dem mißglückten Versuch, sich aufzufangen, mit einem Knie am Boden auf.

Genau in diesem Moment gab es einen lauten Knall, ein scharfes Pfeifen, und Glas klirrte.

Ich bückte mich zu meinem Vater hinunter und sah im Licht seine schreckgeweiteten Augen und den schmerzverzogenen Mund.

»Lauf«, sagte er. »Geh in Deckung. Hau ab!« Ich blieb jedoch, wo ich war.

»Ben«, sagte er, »um Himmels willen, das war ein Schuß.«

»Ja, ich weiß.«

Wir waren mitten auf dem Platz; leicht zu treffende, unbewegliche Ziele. Während er sich aufzurappeln versuchte, sagte er mir noch einmal, ich solle verschwinden, und ausnahmsweise bildete ich mir selbst ein Urteil und widersetzte mich ihm.

Er konnte sein rechtes Fußgelenk nicht belasten. Er kam halb hoch, knickte wieder ein und beschwor mich, zu fliehen.

»Bleib unten«, sagte ich ihm.

»Du verstehst nicht .« Seine Stimme klang gequält.

»Bist du getroffen?«

»Was? Ich glaube nicht. Ich habe mir den Fuß verrenkt.«

Alarmiert von dem Knall, den die Häuser am Platz zurückgeworfen hatten, kamen Leute aus dem Hotel auf uns zugelaufen und blieben neugierig, unschlüssig, mit verständnislosen Mienen um uns herum stehen.

Einige sagten in dem Durcheinander: »Was ist denn? Was ist passiert?«, andere streckten ihm die Hände entgegen, um ihm aufzuhelfen, zeigten sich wohlmeinend besorgt und freundlich.

Als ihn ein ganzer Ring von Leuten umgab, ergriff er schließlich meinen Arm und stützte sich auf andere, um auf die Füße zu kommen, oder besser gesagt, auf den rechten Fuß, denn den linken konnte er nicht aufsetzen, weil es zu weh tat. Er war jetzt weniger erschrocken als verlegen und sagte den Hilfsbereiten, die ihn umdrängten, er sei eben zu dumm, um aufzupassen, wo er hintrete. Er entschuldigte sich. Es sei nichts passiert. Zum Beweis lächelte er. Und fluchte verhalten, was den Leuten gefiel.

»Aber der Knall«, sagte eine Frau.

Zustimmendes Nicken. »Das hat sich angehört wie ein .«

»Nicht bei uns in Hoopwestern .«

»War das . ein Gewehr?«

Ein wichtigtuerischer Mann sagte entschieden: »Ein Büchsenschuß, ganz ohne Zweifel. Irgendein Irrer ...«

»Aber wo denn? Hier hat doch niemand ein Gewehr.«

Alle blickten sich um, doch es war längst zu spät, um das Gewehr oder gar den wilden Schützen zu entdecken.

Mein Vater legte mir wieder den Arm um die Schultern, aber diesmal nicht, weil er Zuspruch brauchte, sondern um sich abzustützen, und gab allen zu verstehen, daß wir uns nun lange genug auf dem Platz aufgehalten hätten.

Der Wichtigtuer stieß mich förmlich beiseite, nahm meinen Platz als Stütze ein und sagte: »Überlassen Sie mir das. Ich bin stärker als der Bub. Wir haben Sie gleich drüben. Stützen Sie sich nur auf mich.«

Mein Vater drehte sich nach mir um, und ich sah ihm an, daß er mir zuliebe widersprochen hätte, aber da mir das unnötig schien, bedeutete ich ihm, mit dem Mann zu gehen. Der Wichtigtuer schleppte meinen humpelnden Vater gekonnt zum Büro hinüber, und wir blieben umdrängt von Leuten, die ihre Teilnahme und ihre Hilfsbereitschaft bekundeten.

Ich ging hinter meinem Vater, was ich ganz natürlich fand. Dann hörte man eine angstvolle, hohe Stimme, und ich drehte mich um und sah Polly, die stolpernd in Riemensandalen über das Pflaster gelaufen kam.

»Ben ... Ben ... ist auf George geschossen worden?«

»Nein, Polly«, sagte ich, um sie zu beruhigen. »Nein.«

»Jemand sagte, man hätte auf George geschossen.« Sie war außer Atem und voller Unglauben.

»Schauen Sie, da läuft er.« Ich nahm sie beim Arm und zeigte hin. »Er hinkt, und er regt sich furchtbar auf, weil er sich den Fuß verrenkt hat und sich auf jemand stützen muß.«

Pollys Arm zitterte, und der Aufruhr in ihr legte sich erst, als sie sah, daß George wirklich noch auf den Beinen war und kräftig fluchen konnte.

»Aber der Schuß .«

Ich sagte: »Anscheinend hat jemand genau in dem Moment, als er auf dem Pflaster gestolpert ist, einen Schuß abgefeuert, aber der hat ihn auf keinen Fall getroffen, sonst würde er ja bluten.«

»Sie sind noch so jung, Ben.« Sie zweifelte immer noch.