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Als Marcus stumm an die Türe trat, schwärmte Archimedes gerade seiner versammelten Familie von der königlichen Katapultwerkstatt vor. »Sie waren heute morgen keine große Hilfe, haben lediglich auf die Vorräte gedeutet und mich dann mir selbst überlassen. Mir war’s gerade recht - ihr solltet mal diese Vorräte sehen! Erstklassiges Eichenholz aus Epirus in jeder gewünschten Stärke und Dutzende von Leimsorten! Aber gegen Mittag kam der Türhüter des Königs vorbei, um zu prüfen, ob ich alles Nötige habe, und danach war allen klar, daß ich einen offiziellen Auftrag habe. Anschließend haben sie mir sämtliche Wünsche erfüllt. Schon erstaunlich, wie so etwas die Dinge beschleunigt. Ich hatte schon gedacht, ich würde einen Monat für dieses Katapult brauchen, und habe die Bezahlung verflucht, aber mit dieser Hilfe kann ich’s innerhalb einer Woche schaffen.«

»Aber wieviel bekommst du denn nun tatsächlich bezahlt?« fragte Philyra besorgt. Beifällig schaute Marcus sie an. Genau das hätte er selbst nur allzugern gewußt, hatte sich aber vor seinen Besitzern und mit dem Latrinengestank am Leib nicht fragen trauen.

»Fünfzig Drachmen«, antwortete ihr Bruder mit Befriedigung.

»Fünfzig!« rief Philyra mit leuchtenden Augen. »Medion, schon fünfzig im Monat wären ein guter Lohn, aber fünfzig in der Woche.!«

Archimedes nickte strahlend. Ihm war ein Monatslohn von fünfzig nicht besonders gut vorgekommen, aber vermutlich war er durch die Wasserschnecken verwöhnt.

»Du mußt doch nicht davon auch noch das Material bezahlen?« fragte Arata ängstlich.

Ihr Sohn nickte. »Ich muß das Material nicht bezahlen, es sei denn, die Maschine funktioniert nicht. Und darüber, Mama, mußt du dir wirklich keine Sorgen machen. Ich weiß, was ich tue.«

Marcus runzelte die Stirn. Plötzlich war ihm nicht mehr so wohl zumute. Philyra merkte seine unruhige Bewegung und warf einen Blick zu ihm hinüber. Als sich ihre Blicke trafen, erkannte jeder im anderen dieselbe besorgte Frage: Wieviel kostet das Material für einen Ein-Talenter? Aber auch diese Sorge wurde schnell verdrängt. »Was ist mit deinem Auge passiert?« erkundigte sich Arata. Nachdem ihnen Archimedes die Geschichte mit Eudaimon erzählt hatte, entfernte er auf ihr Drängen das Mundband.

Inzwischen war das ganze Auge ringsherum blaurot angeschwollen. Aber noch schlimmer war, daß auch das Weiße im Auge rot angelaufen war und ein blutiger Schleier über der hellbraunen Iris hing. »Medion!« schrie Philyra entsetzt. »Du solltest ihn wegen Körperverletzung anzeigen!«

Archimedes zuckte nur die Schultern und erwiderte: »Ich werde ihm soweit wie möglich aus dem Weg gehen.«

»Ganz richtig«, pflichtete ihm seine Mutter bei, »schließlich ist er der Ältere, und du möchtest keinen Ärger haben.« Stirnrunzelnd schnüffelte sie und schaute sich um. Ihr Blick fiel auf Marcus. »Ach, du bist das«, meinte sie. »Geh und wasch dich.«

Marcus nickte und zog sich in den Innenhof zurück. Er war mitten beim Waschen, da trat Philyra immer noch stirnrunzelnd aus der ehemaligen Werkstatt. Als sie ihn bemerkte, blieb sie stehen und kam dann mit energischen Schritten herüber. Sofort zog sich Marcus wieder seine tropfnasse Tunika über. Er wurde verlegen, wenn er nackt vor seiner jungen Herrin stand.

»Wieviel kostet das Material für ein Ein-Talenter-Katapult?«.

»Ich weiß es nicht«, gestand Marcus. »Am teuersten werden wohl die Sehnen sein. Präparierte Haare werden nach Drachmen (ungefähr sechs Gramm, A. d. Ü.) verkauft, und für einen Ein-Talenter muß man sie gleich pfundweise kaufen.«

Einen Augenblick schwieg Philyra. »Er kann doch einen bauen -oder nicht?« fragte sie schließlich.

»Er ist gut«, sagte Marcus nur, »er kann.«

Philyra musterte ihn einen Moment lang, dann atmete sie lange zögernd aus. »Sonst kenne ich keinen anderen Maschinenbauer.«

Er nickte. Selbstverständlich konnte sie das Talent ihres Bruders nicht richtig einschätzen. »In Alexandria«, teilte er ihr mit, »haben ihm die besten Ingenieure der Stadt eine Partnerschaft angeboten. Natürlich hat er nicht angenommen - war ja auch keine Geometrie -, aber er hätte es tun können, wenn er gewollt hätte. Er ist außergewöhnlich. Dieser Eudaimon hat wirklich allen Grund zur Sorge. Meine einzige Sorge, Herrin, ist die Frage, was passiert, wenn etwas schiefläuft, das außerhalb der Kontrolle deines Bruders liegt.«

Wieder atmete sie tief aus und musterte ihn prüfend. Es war ihre Art, herauszubekommen, wieweit sie seinen Worten trauen konnte. Schließlich entspannte sie sich und lächelte. »Medion hat seinen Mantel in der Werkstatt vergessen.«

»Wenigstens wissen wir, wo er ihn vergessen hat«, sagte Marcus. »In Alexandria mußte ich immer durchs ganze Museion rennen und danach suchen.«

Sie kicherte. Der süße, weiche Klang schien einen Moment lang in seinem Herzen nachzuperlen. »Fünfzig Drachmen in einer Woche!« wiederholte sie ehrfürchtig, wobei sie lächeln mußte. »Wir könnten den Weinberg zurückkaufen! Und ich.«

Sie unterbrach sich. Der Weinberg, der zur Bezahlung für das Studium ihres Bruders in Alexandria verkauft worden war, war ihre Mitgift gewesen, aber sie hatte sich immer sehr bemüht, diese schmerzhafte Tatsache zu verdrängen. Ihr Vater hatte gehofft, von seinem Verdienst eine neue Mitgift ansparen zu können - das hatte sie gewußt. Aber seine Krankheit hatte sämtliche Ersparnisse aufgezehrt. Sie war im heiratsfähigen Alter, und einige ihrer Schulfreun-dinnen waren bereits verheiratet, aber ohne Mitgift würde sie kaum einen Bräutigam finden. Das war eine Demütigung, an die sie nicht zu denken versuchte, und schon gar kein Thema, das eine junge Dame einem Haussklaven anvertrauen sollte. Sie schaute Marcus böse an, der mit offener, wacher Miene darauf wartete, daß sie ihren Satz beendete.

Mit einemmal begriff Marcus, wie der Satz geendet hätte. Rasch suchte er sich eine Beschäftigung und bückte sich nach dem Eimer mit Schmutzwasser. Natürlich. Insgeheim hatte er den Verkauf des Weinberges genau aus demselben Grund mißbilligt. Für ihn hieß das, die Tochter des Hauses um etwas Lebensnotwendiges zu betrügen, um dem Sohn einen Luxus bezahlen zu können. Aber inzwischen merkte er, daß er es nicht so eilig hatte, Philyra samt Mitgift verheiratet zu sehen. Er würde sie vermissen. Aber das war bis jetzt kein Grund zum Grübeln. Selbst mit fünfzig Drachmen die Woche würde es eine Weile dauern, bis sie ihre Mitgift angespart hätten. Und angesichts des Krieges.

Er war entschlossen, nicht an den Krieg zu denken. »Wenn du mich nun entschuldigst, Herrin«, murmelte er und ging hinüber, um das Wasser über die mickrigen Kräutertöpfe neben der Tür zu leeren. Verblüfft schaute ihm Philyra einen Augenblick zu. Die Art und Weise, wie er sich spontan aus der Affäre gezogen hatte, hatte sie überrascht. Sie hatte sich nicht vorstellen können, daß er dazu genügend Einfühlungsvermögen beziehungsweise Verstand besaß.

Am nächsten Morgen brach Archimedes schon ganz früh in die Katapultwerkstatt auf. Als Philyra am Vormittag zum Einkaufen gehen wollte, fand sie nur noch Marcus im Hof. Agatha, die sie sonst immer begleitete, half ihrer Mutter in der Küche, und der junge Chrestos hatte das erstaunliche Talent entwickelt, sich immer dann rar zu machen, wenn er gebraucht wurde. Nachdenklich musterte sie Marcus einen Moment, dann klatschte sie in die Hände, um ihn herzurufen, und gab ihm den Korb.

Wie er in der Morgensonne hinter ihr her durch die schmalen Straßen ging und dabei auf ihren kerzengeraden Rücken unter dem braven, weißen Wollmantel schaute, spürte Marcus, wie ihm jeder Schritt durch ein ungewohntes Glücksgefühl leichter wurde. Allmählich vertraute ihm Philyra ein wenig. Insgeheim betete er, daß ihm die Götter eine Gelegenheit bieten würden, seine Ehrlichkeit zu beweisen. Gegenüber dem wahren Grund, weshalb ihm ihre gute Meinung soviel wert war, verschloß er eisern die Augen. Denn hier gab es, außer Leid, nichts für ihn zu gewinnen. Aber wenn er ihre gute Meinung und ihr Vertrauen gewinnen könnte und von ihr gemocht würde - dieses Vergnügen könnte ihm keiner verwehren.