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In diesem Moment kam Maude Bly Modena herein. Sie wollte zur Mitnehmtheke rübergehen, aber dann sah sie Harry und Susan und kam zu einem Austausch von Höflichkeiten herüber.

»Nimm Messer und Gabel. Was hast du mit deinen Händen angestellt?« fragte sie.

»Stempel saubergemacht.«

»Mir ist es egal, ob meine Poststempel verwischt sind. Ist mir lieber, als daß du wie Lady Macbeth aussiehst.«

»Ich werd's mir merken«, erwiderte Harry.

»Ich würde ja gerne bleiben und mit euch klönen, aber ich muß wieder in den Laden.«

Maude Bly Modena war vor fünf Jahren von New York nach Crozet gezogen. Sie hatte einen Laden für Verpackungsmaterial eröffnet - Kartons, Plastikschachteln, Papier, der ganze Kram -, und das Geschäft war ein voller Erfolg. Im Vorgarten stand eine alte Förderlore, auf der sie Blumengebinde und die täglichen Sonderangebote drapierte. Sie wußte, wie man Kunden anzog, und sie selber war, mit Ende Dreißig, ebenfalls anziehend. Zur Weihnachtszeit bildeten sich Schlangen vor ihrem Laden. Sie war eine gewiefte Geschäftsfrau und obendrein freundlich, was in dieser Gegend unumgänglich war. Mit der Zeit verziehen ihr die Einheimischen den unseligen Akzent.

Maude winkte zum Abschied, als sie an dem Panoramafenster vorbeikam.

»Ich denke immer, Maude wird schon noch den Richtigen finden. Sie ist wirklich attraktiv«, meinte Susan.

»Eher den Falschen.«

»Saure Trauben?«

»Klingt das so, Susan? Das will ich nicht hoffen. Ich könnte dir so viele Namen von verbitterten geschiedenen Frauen runterrasseln - wir würden den ganzen Nachmittag hier sitzen. Zu deren Club will ich wirklich nicht gehören.«

Susan tätschelte Harrys Hand. »Du bist zu empfindlich, wie ich vorhin schon sagte. Du wirst alle möglichen Emotionen durchlaufen. In Ermangelung eines besseren Ausdrucks hab ich das saure Trauben genannt. Tut mir leid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe.«

Harry wand sich auf ihrem Sitz. »Mir ist, als ob meine Nervenenden bloßlägen.« Sie setzte sich auf ihrem Stuhl zurecht. »Du hast recht, was Maude angeht. Sie hat vieles, was für sie spricht. Irgendwo muß es einen für sie geben. Einen, der sie zu schätzen weiß - mitsamt ihrem geschäftlichen Erfolg.«

Susans Augen blitzten. »Vielleicht hat sie einen Liebhaber.«

»Ausgeschlossen. Hier kann keiner in seiner Küche einen Schluckauf kriegen, ohne daß alle es erfahren. Ausgeschlossen.« Harry schüttelte den Kopf.

»Wer weiß.« Susan schenkte sich Wasser nach. »Erinnerst du dich an Terrance Newton? Wir alle glaubten Terrance zu kennen.«

Harry dachte darüber nach. »Da waren wir Teenager. Ich meine, wenn wir erwachsen gewesen wären, hätten wir vielleicht was gemerkt. Ausstrahlung, Schwingungen und so weiter.«

»Ein Versicherungsangestellter, den wir alle kennen, geht nach Hause und erschießt seine Frau und sich. Ich erinnere mich, daß die Erwachsenen erschüttert waren. Keiner hatte was gemerkt. Wenn man die Fassade aufrechterhalten kann, reicht das. Nur ganz wenige blicken unter die Oberfläche.«

Harry seufzte. »Vielleicht sind alle zu beschäftigt.«

»Oder zu egozentrisch.« Susan trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Worauf ich hinauswill ist, daß wir uns vielleicht nicht so gut kennen, wie wir glauben. Das ist eine KleinstadtIllusion - glauben, daß wir uns kennen.«

Harry spielte still mit ihrem Sandwich. »Du kennst mich. Ich glaube, ich kenne dich.«

»Das ist was anderes.« Susan machte sich über ihren Schokoladenkuchen her. »Stell dir vor, du wärst Stafford Sanburne und wärst nicht zur Hochzeit deiner Schwester eingeladen.«

»Das war jetzt aber ein Gedankensprung.«

»Wie ich schon sagte, du bist meine beste Freundin. In deiner Gegenwart muß ich nicht konsequent denken.« Susan lachte.

»Stafford hat Fair eine Postkarte geschickt.Durchhalten, Kumpel.< Da fällt mir ein, dasselbe hat Kelly zu mir gesagt. He, du hast was verpaßt. Kelly Craycroft und Bob Berryman hatten eine Rauferei, mit Fäusten und allem Drum und Dran.«

»Und das sagst du mir erst jetzt!«

»Es war so viel los, da habe ich es glatt vergessen. Kelly sagte, es ging um eine Rechnung für eine Auffahrt. Bob ist der Ansicht, er hat ihm zuviel berechnet.«

»Bob Berryman mag ja nicht gerade der Charme in Person sein, aber es sieht ihm nicht ähnlich, sich wegen einer Rechnung zu prügeln.«

»He, wie ich schon sagte, vielleicht kennen wir uns nicht richtig.«

Harry klaubte die Tomaten aus ihrem Sandwich. Das waren die Missetäter; sie war überzeugt, daß ohne die glitschigen Tomaten Fleisch, Käse und Gurken drin bleiben würden. Sie klappte das Brot wieder zusammen, und Mrs. Murphy langte über den Teller, um sich ein Stück Roastbeef zu angeln. »Mrs. Murphy, jetzt reicht's aber.« Harry sprach mit ihrer befehlenden Mutterstimme. Die würde nicht mal im Pentagon ihre Wirkung verfehlen. Mrs. Murphy zog die Pfote zurück.

»Vielleicht sollten wir uns freuen, daß Little Marilyn schließlich doch noch eine gute Partie gemacht hat«, sagte Susan.

»Du glaubst doch nicht, daß Little Marilyn Fitz-Gilbert Hamilton allein eingefangen hat, oder?«

Susan bedachte dies. »Sie ist so schön wie ihre Mutter.«

»Und kalt wie Stein.«

»Nein, ist sie nicht. Sie ist still und schüchtern.«

»Susan, du mochtest sie immer, seit wir Kinder waren, und ich konnte Little Marilyn nie ausstehen. Sie ist ein richtiges Mutterkind.«

»Du dagegen hast deine Mutter zur Weißglut getrieben.«

»Hab ich nicht.«

»O doch. Weißt du noch, wie du deine Spitzenhöschen über ihr Nummernschild gehängt hast, und sie ist den ganzen Tag herumgefahren, ohne zu wissen, warum alle gehupt und gelacht haben?«

»Ach das.« Harry erinnerte sich. Sie vermißte ihre Mutter schrecklich. Grace Minor war vor vier Jahren unerwartet an einem Herzanfall gestorben, und Cliff, ihr Mann, war ihr nach kaum einem Jahr gefolgt. Er hatte ohne Grace nicht zurechtkommen können, das gab er auf dem Totenbett zu. Sie waren keineswegs reiche Leute gewesen, aber sie hinterließen Harry ein hübsches Schindelhaus, ein paar Kilometer westlich der Stadt am Fuß des Little Yellow Mountain, und sie hinterließen ihr außerdem einen kleinen Wertpapierbestand, von dem sie die Grundsteuer und ein Taschengeld bestreiten konnte. Ein hypothekenfreies Haus ist ein wunderbares Erbe, und Harry und Fair waren glücklich aus ihrem gemieteten Haus an der Myrtle Street ausgezogen. Freilich, als Harry Fair zu gehen bat, beklagte er sich bitter, daß es ihm immer verhaßt gewesen sei, in ihrem Elternhaus zu wohnen.

»Fitz-Gilbert Hamilton ist häßlich wie die Sunde, aber er wird niemals von der Wohlfahrt leben müssen; er ist ein sehr angesehener Anwalt in Richmond - sagt Ned jedenfalls.«

»Um diese Heirat wird viel zuviel Getue gemacht. In Eile gefreit, in Muße bereut.«

»Saure Trauben.« Susans Augen schossen in die Höhe.

»Der glücklichste Tag meines Lebens war, als ich Pharamond Haristeen geheiratet habe, und der zweitglücklichste Tag meines Lebens war, als ich ihn rausgeworfen habe. Er ist ein Arschloch und hat von mir kein Mitgefühl zu erwarten. Herrgott, Susan, er rennt in der ganzen Stadt herum, ein Bild gekränkter Männlichkeit. Er ißt jeden Abend bei einem anderen Ehepaar. Wie ich gehört habe, hat Mim Sanburne ihm angeboten, daß ihre Haushälterin seine Wasche waschen konnte. Ich kann es nicht glauben.«

Susan seufzte. »Er genießt es anscheinend, ein Opfer zu sein.«

»Ich genieße es bestimmt nicht.« Harry spie die Worte förmlich hervor. »Das einzige, was schlimmer ist, als die Frau eines Tierarztes zu sein, ist die Frau eines Arztes zu sein.«

»Deswegen läßt du dich nicht von ihm scheiden.«

»Nein, vermutlich nicht. Ich will nicht darüber sprechen.«

»Du hast damit angefangen.«

»So?« Harry schien überrascht. »Ich wollte nicht. Ich möchte das Ganze am liebsten vergessen. Wir sprachen über Little Marilyn Sanburne.«