Выбрать главу

«Aufzubauen?«

«Natürlich. Wir Amerikaner. Wir werden Milliarden investie ren.«

«Es scheint einem sonderbar, daß man zerstört, um es dann wie der aufzubauen. Oder denke ich falsch?«

«Nicht falsch, nur unrealistisch. Wir haben das System zerstört, und jetzt bauen wir das Land wieder auf. Da sind enorme Mög lichkeiten. Denken Sie allein einmal an das Baugeschäft.«

Es war erfrischend, einem Mann der Tatsachen zu begegnen.»Glauben Sie, daß das System zerstört ist?«fragte ich.»Selbstverständlich! Nach so einer Niederlage.«

«Die Kriegslage 1918 war auch katastrophal. Trotzdem wurde Hindenburg, der für sie mitverantwortlich war, Reichspräsi dent.«

«Hitler ist tot«, erklärte Vriesländer mit jugendlichem Schwung.»Die Alliierten werden die ändern aufhängen oder einsperren. Jetzt muß man mit der Zeit gehen. «Er zwinkerte mir zu.»Des halb sind Sie doch auch zu mir gekommen, wie?«

«Ja.«

«Ich habe nicht vergessen, was ich Ihnen angeboten habe.«

«Es mag einige Zeit dauern, bis ich es zurückgeben kann«, sagte ich und spürte, wie sich eine schwache Hoffnung in mir erhob. Wenn Vriesländer jetzt ablehnte, mußte ich warten, bis ich genug Geld hatte, um die Überfahrt zu bezahlen. Es war eine Galgen frist, die ich dann noch hatte; eine Frist in einem Lande, das jetzt, wo ich es verlassen wollte, wieder den Schimmer eines fremden Paradieses hatte.

«Ich halte, was ich verspreche«, sagte Vriesländer.»Wie wollen Sie das Geld haben? Bar oder in einem Scheck?«

«Bar«, sagte ich.

«Das dachte ich mir. Soviel habe ich nicht hier. Kommen Sie mor gen wieder und holen Sie es ab. Und mit dem Zurückzahlen hat es Zeit. Sie wollen es investieren, wie?«

«Ja«, sagte ich nach einem Augenblick des Zögerns.

«Gut. Sagen wir, Sie zahlen mir sechs Prozent Zinsen. Sie wer den hundert damit verdienen. Das ist fair, wie?«

«Sehr fair.«

Fair — das war eines seiner Lieblingsworte, obwohl er es wirk lich war. Sonst sind Lieblingswörter meistens Gewohnheitsver stecke. Ich stand auf, halb erleichtert und halb hoffnungslos.»Vielen Dank, Herr Vriesländer.«

Ich blickte ihn eine Sekunde mit fressendem Neid an. Da stand er, blühend, von Familie und gesundem Geschäft umrankt, ein Pfeiler in einer klaren Welt. Dann erinnerte ich mich daran, daß Lissy mir erzählt hatte, er sei impotent. Ich beschloß, es für einen Moment zu glauben, um meinen Neid zu überwinden.»Sie blei ben doch sicher in Amerika?«fragte ich.

Er nickte.»Für mein Geschäft; ist das Telefon erfunden worden. Und das Telegramm. Und Sie?«

«Ich fahre hinüber, sobald es Schiffe dafür gibt.«

«Das wird alles jetzt rasch in Ordnung kommen. Der Krieg in Japan kann nicht mehr lange dauern. Wir räumen nur noch auf. Der Verkehr in Europa wird nicht darunter leiden. Sind Ihre Papiere jetzt in Ordnung?«

«Ich habe noch eine Aufenthaltsgenehmigung für ein paar Mo nate.«

«Damit können Sie sicher reisen. Auch in Europa, nehme ich an. «Ich wußte, daß es nicht so einfach war. Aber Vriesländer war ein Mann der großen Linien. Details waren nicht seine Sache.»Mel den Sie sich noch einmal, bevor Sie abfahren«, sagte er, als sei bereits tiefster Frieden.

«Bestimmt! Und vielen Dank!«

XXXIV

Es war nicht so einfach, wie Vriesländer es sich gedacht hatte. Es dauerte noch mehr als zwei Monate, che cs soweit war, und es war schwierig. Trotzdem aber war es die leichteste Zeit für mich seit vielen Jahren. Alles, was mich gequält hatte, war noch da, und es vervielfältigte sich sogar; aber es wurde erträglich, weil ich jetzt ein Ziel hatte und ihm nicht mehr hilflos gegenüber stand. Ich hatte einen Entschluß gefaßt, und es wurde mir täg lich klarer, daß es keinen anderen für mich gab. Ich versuchte auch nicht, darüber hinauszudenken. Ich mußte zurück, alles an dere würde sich drüben ergeben. Meine Träume verließen mich nicht. Sie kamen sogar öfter als sonst, und sie waren fast noch in tensiver. Ich sah mich in Brüssel in einen Schacht kriechen, der immer enger wurde, bis ich mit einem Schrei erwachte. Ich sah das Gesicht des Mannes vor mir, der mich versteckt hatte und da für weggeschleppt worden war. Jahre hindurch war es in meinen Träumen undeutlich und verhängt wie von Schleiern gewesen, als hätte eine schwere Angst, daß es unerträglich sein würde, es vor mir versteckt. Jetzt sah ich es plötzlich deutlich, die müden Augen, die faltige Stirn und die zu weichen Hände. Ich wachte auf, tief verstört, aber nicht mehr so verwirrt und nahe dem Selbstmord wie sonst. Ich wachte auf, voll von Bitterkeit und Rachegefühlen, aber nicht mehr hingeschlagen und wie von einem Lastwagen überfahren, sondern geduckt und gesammelt und in einer furchtbaren Ungeduld und dem finsteren Bewußt sein, noch am Leben zu sein und mein Leben benutzen zu können. Es war nicht mehr das Gefühl eines hoffnungslosen Endes — es war das Gefühl eines hoffnungslosen Beginnens. Hoffnungslos deshalb, weil nichts wieder lebendig zu machen war. Was gefol tert, ermordet und verbrannt war, war geschehen und nicht wie dergutzumachen und nicht mehr zu ändern. Zu ändern war aber die andere Seite des Geschehens. Das war nicht mit Rache zu ver wechseln, obwohl es ihr glich und aus denselben primitiven Wur zeln kam wie sie. Es war das Gefühl, das nur dem Menschen eigen war: Daß ein Verbrechen nicht ungesühnt bleiben sollte, weil sonst alle moralischen Fundamente zusammenbrechen und Chaos herrschen würde.

Es war sonderbar, daß diese letzten Monate trotz allem etwas Gewichtsloses hatten. Das Bild hatte sich verschoben, das Schat tenhafte, Unwirkliche, das der ganze Aufenthalt in Amerika an sich gehabt hatte, war auf einmal einer stillen, zauberhaften Landschaft gewichen. Es war, als hätte sich ein Nebel gehoben, Farben waren da, ein Idyll am frühen Abend im goldenen Licht, eine stille Fata Morgana über einer rastlosen Stadt. Es war das Bewußtsein des Abschieds, der alles verklärte und idealisierte. Es war immer der Abschied, dachte ich, und ein Leben voller Ab schiede schien mir einen Augenblick lang wie das wirkliche Pen dant zum Traum des ewigen Lebens, nur daß es an die Stelle einer unerträglichen ahasverhaften Monotonie ein volles Dasein von verklärten Toten setzte. Jeder Abend war der letzte.

Ich hatte mich entschlossen, Natascha erst im letzten Augenblick zu sagen, daß ich zurückginge. Ich spürte, daß sie es ahnte, aber sie sagte nichts, und ich wollte es lieber auf mich nehmen, als De serteur und Verräter dazustehen, als der Quälerei eines lang hin ausgezogenen Abschieds mit Vorwürfen, Gekränktsein, kurzen Versöhnungen und den anderen Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein. Ich konnte es auch nicht. Was ich an Kraft hatte, war auf ein anderes Ziel gerichtet. Ich konnte nichts davon entbehren und in fruchtloser Trauer, Streit und Erklärungen verschwenden.

Es waren klare Wochen, die so voll von Liebe waren wie ein Bienenkorb mit Waben voller Honig. Der Mai wuchs in den Som mer hinein, und die ersten Nachrichten aus Europa kamen durch. Es war, als öffne sich ein Grab, das lange zugemauert gewesen war. War ich früher oft den Nachrichten ausgewichen oder hatte ich sie nur mit der oberen Schicht meines Bewußtseins registriert, um von ihnen nicht umgestoßen zu werden, so stürzte ich mich jetzt darauf. Sie hatten mit dem Ziel zu tun, das mir wie ein Pfahl im Fleische steckte: abzufahren. Ich war blind und taub gegen alles andere.

«Wann fährst du?«fragte Natascha mich plötzlich.

Ich schwieg eine Sekunde.»Anfang Juli«, sagte ich dann.»Woher weißt du es?«

«Nicht von dir. Warum hast du es mir nicht gesagt?«

«Ich habe es erst gestern erfahren.«

«Du lügst.«

«Ja«, erwiderte ich,»ich lüge. Ich wollte es dir nicht sagen.«

«Du hättest es mir ruhig sagen können. Warum nicht?«