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Ich schwieg.»Es fällt mir schwer«, murmelte ich dann.

Sie lachte:»Warum? Wir waren eine Zeitlang zusammen, und wir haben uns nichts vorgemacht. Einer hat den anderen benützt. Jetzt trennen wir uns. Was ist dabei?«

«'Ich habe dich nicht benützt.«

«Aber ich dich. Und du mich auch. Lüge nicht! Es ist nicht not wendig.«

«Ich weiß.«

«Es wäre gut, wenn du einmal nicht lügen würdest. Wenigstens zum Schluß nicht.«

«Ich werde es versuchen.«

Sie sah mich rasch an.»Du gibst es also zu?«

«Wie kann ich das? Aber wie kann ich es auch bestreiten? Du mußt glauben, was du willst.«

«Das ist einfach, wie?«

«Nein, das ist gar nicht einfach. Ich gehe fort, das ist wahr. Ich kann dir nicht einmal erklären, weshalb. Alles, was ich sagen kann, ist, daß es so ist, als wenn jemand in den Krieg muß.«»Muß?«fragte sie.

Ich schwieg gequält. Ich mußte es durchstehen.»Ich kann nichts dazu sagen«, erwiderte, ich schließlich.»Du hast recht. Wenn Recht irgend etwas damit zu tun hat. Ich bin alles das, was du gesagt hast. Ein Lügner, ein Schwindler, ein Egoist. Und ich bin es auch nicht. Wer kann alles das unterscheiden in einer Situation, in der die Wahrheit das Unrichtigste ist?«

«Und was ist wichtiger?«

«Daß ich dich liebe«, sagte ich mit Anstrengung.»Dies ist nicht die Zeit, um das zu sagen.«

«Nein«, sagte sie, plötzlich sanft.»Dies ist nicht die Zeit, Robert.«

«Doch«, erwiderte ich.»Es ist immer die Zeit.«

Daß ich sie so leiden sah, schmerzte mich, als schnitte ich mir die Hand an einem schartigen Messer. Ich hätte es gerne anders ge habt, aber ich wußte auch, daß das ein jammervoller, komforta bler Egoismus war.

«Es macht nichts«, sagte sie.»Wir waren uns weniger, als wir dachten. Wir waren beide Lügner.«

«Ja«, erwiderte ich ergeben.

«Ich war in unserer Zeit auch mit anderen Männern zusammen. Du warst nicht der einzige.«

«Ich weiß, Natascha.«

«Du weißt es?«

«Nein«, sagte ich rasch.»Ich habe es nicht gewußt. Ich hätte es nie geglaubt.«

«Du kannst es glauben. Es ist wahr.«

Ich sah den trostlosen Ausweg für ihren Stolz. Ich glaubte ihr auch in diesem Augenblick nicht.»Ich glaube es dir«, sagte ich.»Ich hätte es nie erwartet.«

Sie reckte das Kinn höher. Ich liebte sie sehr, als ich sie so sah. Ich war verzweifelt wie sie, nur war sie es noch mehr. Der zurück bleibt, ist es immer, selbst wenn man ihm die Waffe überläßt', um einen zu verwunden.»Ich liebe dich, Natascha. Ich wollte, du könntest das verstehen. Nicht für mich. Für dich.«

«Nicht für dich?«

Ich merkte, daß ich wieder einen Fehler gemacht hatte.»Ich bin hilflos«, erklärte ich.»Siehst du das nicht?«

«Wir gehen auseinander wie gleichgültige Leute, die zufällig ein Stück Weges zusammen gegangen sind und die sich nie verstan den haben. Wie könnten wir auch?«

Ich wartete darauf, daß mein Charakter als Deutscher wieder herhalten mußte, aber ich sah auch, daß sie wußte, daß ich dar auf wartete. Was sie nicht wußte, war, daß ich nicht widerspro chen hätte. So unterließ sie es.»Es ist gut, daß es so gekommen ist«, sagte sie.»Ich wollte dich verlassen. Ich wußte nur nicht, wie ich es dir beibringen sollte.«

Ich wußte, was ich antworten sollte. Ich konnte es nicht.»Du wolltest Weggehen?«fragte ich schließlich doch.

«Ja. Schon lange. Wir waren schon viel zu lange zusammen. Affären wie unsere sollten kurz sein.«

«Ja«, sagte ich.»Ich danke dir, daß du gewartet hast. Ich wäre sonst verloren gewesen.«

Sie drehte sich um.»Warum lügst du schon wieder?«

«Ich lüge nicht.«

«Worte! Immer hast du so viele Worte. Immer die passenden.«»Jetzt nicht.«

«Jetzt nicht?«

«Nein, Natascha. Keine. Ich bin traurig und hilflos.«

«Schon wieder Worte!«

Sie stand auf und griff nach ihrem Kleide.»Sieh mich nicht an«, sagte sie,»ich will nicht mehr, daß du mich so ansiehst.«

Sie zog ihre Strümpfe und Schuhe an. Ich blickte aus dem Fenster. Die Flügel standen offen, und es war warm. Jemand übte auf einer Geige >La Paloma<. Er machte immer denselben Fehler und wie derholte die ersten acht Takte unermüdlich. Ich fühlte mich sehr elend und begriff nichts mehr. Ich fühlte nur, daß, selbst wenn ich bliebe, jetzt alles zu Ende wäre. Ich hörte, wie Natascha hinter mir ihren Rock anzog.

Ich drehte mich um, als ich die Tür hörte, und stand auf.»Bring mich nicht hinaus«, sagte sie.»Bleib hier. Ich will allein gehen. Und komm nicht wieder. Nie. Komm nie wieder.«

Ich blieb im Zimmer stehen. Ich starrte sie an, ihr blasses, aus drucksloses Gesicht, die Augen, die über mich hinwegsahen, ihren Mund und ihre Fiände. Sie winkte nicht, sie war schon fort, be vor sie die Tür hinter sich schloß.

Ich lief ihr nicht nach. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich stand und starrte.

Ich dachte daran, daß ich Natascha noch erreichen könnte, wenn ich ein Taxi nähme. Ich stand schon an der Tür, aber dann dachte ich darüber nach, was geschähe, und ich ging zurück. Ich wußte, daß es zwecklos wäre. Ich stand noch eine Weile im Zimmer. Ich wollte mich nicht setzen. Schließlich ging ich nach unten. Meli- kow war da.»Hast du Natascha nicht nach Hause gebracht?«fragte er verwundert.

«Nein. Sie wollte allein gehen.«

Er sah mich an.»Das gibt sich wieder. Morgen ist das vergessen. «Eine unsinnige Hoffnung packte mich.»Meinst du?«

«Natürlich. Gehst du schlafen? Oder trinken wir noch einen Wodka?«

Die Hoffnung hielt an. Ich hatte ja noch zwei Wochen bis zur Abfahrt. Alles verwandelte sich plötzlich in eine fließende Freu de. Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt mit Melikow tränke, würde Natascha morgen anrufen oder kommen. Es war unmög lich, daß wir uns so trennten.»Gut«, sagte ich,»trinken wir einen. Was macht dein Prozeß?«

«In einer Woche ist er dran. Ich habe also noch eine Woche zu leben.«

«Warum?«

«Wenn ich lange eingesperrt werde, überlebe ich das nicht. Ich bin siebzig Jahre alt und hatte bereits zwei Herzinfarkte.«

«Ich kannte jemand, der ist im Gefängnis gesund geworden«, sagte ich vorsichtig.»Kein Alkohol mehr, leichte Beschäftigung im Freien, ein geregeltes Leben. Und nachts Schlaf, nicht am Tage.«

Melikow schüttelte den Kopf.»Alles Gift für mich. Aber wir werden sehen. Man soll nicht nachdenken, wenn es unnötig ist.«»Nein«, sagte ich.»Das soll man nicht. Wenn man es nur könnte.«

Wir tranken nicht viel. Wir hatten beide das Gefühl, als hätten wir uns noch eine Menge zu sagen, und wir setzten uns hin, als würde es eine lange Nacht. Aber dann war auf einmal sehr wenig zu reden, wir blieben fast stumm. Jeder war in seine eigenen Gedanken versunken, und da war nichts mehr mitzuteilen. Ich hätte nicht nach Melikows Prozeß fragen sollen, dachte ich, aber das war es nicht. Ich stand schließlich auf.»Ich bin unruhig, Wladimir. Ich werde noch so lange herumlaufen, bis ich müde bin.«

Er gähnte.»Und ich werde schlafen — obschon ich dazu sicher später noch genug Zeit haben werde.«

«Glaubst du, daß man dich verurteilen kann?«

«Man kann jeden Menschen verurteilen.«

«Ohne Beweise?«

«Man kann auch für alles Beweise finden. Gute Nacht, Robert. Man soll sich vor Erinnerungen hüten, das weißt du ja, oder?«»Ja, das weiß ich. Das habe sogar ich gelernt. Sonst lebte ich nicht mehr.«

«Erinnerungen sind ein verdammt schweres Gepäck. Besonders wenn man eingesperrt ist.«

«Das weiß ich auch, Wladimir. Du doch auch?«

Er hob die Schultern.»Ich glaube es. Aber wenn man alt wird, vergißt man sie oft ganz. Oder sie kommen plötzlich wieder. Bei mir kehren Dinge zurück, an die ich seit vierzig Jahren nicht mehr gedacht habe. Sehr merkwürdig.«