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Nachwort

Wer war Remarque?

I

Als Erich Maria Remarque Anfang Dreißig war, als sein Welter folg ihn sogleich zum reichen Mann machte, als» Im Westen nichts Neues «mit Hilfe des gleichnamigen Films (1930) den Ruhm dieses jungen Autors selbst bis zu denjenigen trug, die keine Bücher lesen, als die NSDAP, noch während der» Weimarer Zeit«, sich diesen antimilitaristischen und defaitistischen Remarque zum speziellen Gegner machte —, da sah Remarque, wenn man die damals gemachten Photos betrachtet, etwa so aus, wie man sich einen erfolgreichen jungen Schriftsteller vorstellen möchte. Selbstbewußtsein lag in seinem Blick, aus seinem Gesicht sprach eine zugleich elegante, vom plötzlichen Ruhm etwas über raschte, knappe Berliner Intellektualität. Man sah es ihm an: er hatte Schweres durchgemacht, aber er war» literarisch «damit fertig geworden. Der junge Remarque war ganz offenbar fähig, bereit und willens, Autorenkarriere zu machen. 1933 verließ er Deutschland; ein Emigrant aus freiem Entschluß. Der Welterfolg blieb ihm treu.

Als ich ihm in den fünfziger Jahren begegnete — den unermeßlich reichen, unermeßlich populären, von schönen Frauen, kost baren Teppichen und schwersten Weinen umgebenen Erich Maria Remarque —, da versuchte er es längst nicht mehr, den eigenen Ruhm zu» personifizieren«. Er wußte natürlich, wer er war, was er war und was er wert war. Und er schien auch, zumal wenn der Abend sich neigte und die leeren Flaschen sich mehrten, durchaus bereit, an Menschen, Kollegen und Verhältnissen Ärgernis zu nehmen. Aber als Privatperson hatte er doch etwas fertigge bracht, was den wenigsten» Zelebritäten «gelingt: er sah einfach von seiner Berühmtheit ab. Und zwar nicht einmal ostentativ (»bin ich nicht sehr bescheiden im Verhältnis dazu, wie unbeschei den ich eigentlich sein dürfte!«), sondern vollkommen natürlich, gelassen, gastfrei, souverän und nett. Sein Ruhm stand neben ihm so wie ein Haus neben einem Hausbesitzer. Wenn man mit einem Menschen, der zufällig oder wohlverdient irgendwo eine Villa ererbt, gekauft, erbaut hat, freundschaftlich zusammensitzt und spricht, dann wird der Betreffende ja auch nicht ständig darauf anspielen, daß er Hausbesitzer sei (es sei denn, man hat es mit einem Verrückten oder einem Neureichen zu tun). Rubm- besitzer benehmen sich indessen fast immer anders. Sie beziehen ihre öffentliche Geltung, ihr populäres» Gewicht «ohne weiteres und wie etwas Selbstverständliches ins private Gespräch ein. Wenn sie reagieren, reagiert immer gleich eine»öffentliche Per son«; wenn sie etwas ganz Privates tun oder unterlassen, dann verhält sich im Augenblick eine öffentliche Person halt» privat«(und die Boulevard-Kolumnisten stellen fest:»er — oder sie — war wirklich völlig natürlich«).

Remarque hat oft erklärt, warum er einfach nicht dazu imstande sei, sich vom eigenen Weltruhm beeindrucken zu lassen. Der Rie senerfolg von» Im Westen nichts Neues «sei ihm immer wie ein Wunder vorgekommen.»Im Westen nichts Neues «schoß dieses Autors Image so hoch hinauf, daß aus einem Namen sogleich ein Sternbild wurde. Er selbst, Erich Maria Remarque, stand ganz vernünftig unten auf der Erde, blinzelte zu diesem Sternbild hin auf, wußte, daß er ein Märchen miterlebte. Nach» Im Westen nichts Neues «hat er ein wahrscheinlich weit besseres Buch ge schrieben:»Der Weg zurück«. Trotzdem gilt er aber seither als Autor von» Im Westen nichts Neues«, so wie Thomas Mann als Dichter der» Buddenbrooks«. (Remarque selbst fand übrigens auch, daß»Der Weg zurück «eigentlich besser sei.)

Er habe, so behauptet Remarque, eigentlich stets das abergläubi sche Gefühl gehabt, er könne aufwachen und der schöne Traum sei aus. Mag sein, daß Remarque sich selbst diese freundliche Er klärung sekundenlang geglaubt hat: sie erklärt nicht im min desten, warum nach dem Erstlingserfolg doch immer wieder neue Erfolge sich einstellten (»Der Funke Leben«,»ArcdeTriomphe«,»Der Himmel kennt keine Günstlinge«,»Die Nacht von Lissa bon «und schließlich» Schatten im Paradies«). So konsequent träumt man nicht.

Aber verharren wir noch ein wenig bei der» Privatperson «Re marque. Als ich den Schriftsteller kennenlernte, spürte ich, daß seine Freundlichkeit gewiß nicht als Auszeichnung gemeint sei, sondern durchaus als Freundlichkeit. Ich spürte auch, daß der da mals mittlerweile 6ojährige Mann mit den schweren Augenlidern — wie so manche seiner Generation — an der selbst für einen er folgreichen Autor heiklen» Remigration«(Heimkehr nach Deutschland) womöglich schwerer trug als an den Nazis von da mals. Hitler, SA und SS: das waren schlimme Gegner gewesen, denen man entkommen mußte. Aber Teufeln ist man eigentlich nicht» böse«.

Doch dann, nach 1945, als die deutsche Nachkriegsliteratur all mählich ihr Selbstverständnis und ihre Selbstverständlichkeit zu finden versuchte, als die Gruppe 47 eine übertrieben meinungs bildende Funktion hatte, als der sogenannte psychologische Rea lismus (wie man irrigerweise meinte) ausgespielt zu haben schien, als Remarque, und nicht nur er, zwar gekauft und gelesen wur den, aber nicht auch seriös» gewürdigt «und als» Literatur «be trachtet: da fühlte er sich fern. Er ist damit fertig geworden, zweifellos. Er war Sammler, er lebte an den schönsten Plätzen der Erde, er konnte sich alles leisten… Und, vor allem, er war produktiv geblieben! Jeder Roman aus seiner Hand war einer Gemeinde sicher — auch wenn sich- das hohe Feuilleton verwei gerte, weil man gerade die Absurden oder die politisch Aufklä rerischen oder die Neomarxisten oder die sprachkritischen Be- wußtseins-Phänomenologen für den letzten Schrei, für die Spitze der Literatur, für» relevant «hielt.

Der Leser möge mir bitte verzeihen, daß ich hier einige (für mich allzu schmeichelhafte private Zeilen Remarques an mich zitiere. Es geschieht nur, weil Remarque da, um höflich zu loben, alle diejenigen Eigenschaften nennt, die in Wahrheit seine eigenen Ideal-Vorstellungen charakterisieren — so wie die meisten Au toren ja, ohne es zu wissen, von sich selber sprechen, wenn sie über andere Bücher reden wollen. Ich hatte Remarque, dem so freundlichen Berühmten, mein Buch» Die großen Pianisten in un serer Zeit «geschickt und auf seine wiederholte Einladung, aus Verlegenheit, etwas kokett geantwortet, ob er denn wohl auch einen schönen alten Cognac und etwas Trinkbares im Hause habe. Remarque antwortete:

«Ihr Buch kam zwei Tage vor unserer Abreise an und ich stürzte mich rasch noch darauf — wollte ich doch selbst einmal Musiker werden — und verschlang es. Es ist das beste, das ich kenne, und mozartisch balanciert, mit souveränem Wissen und deshalb leich tester Hand komponiert — ohne treudeutschen Schweißgeruch und professionale Kathederpathetik —, profund und gleich zeitig schwebend, klar und meisterhaft. Gratuliere! Wie schön wäre es, darüber lange zu reden, bei einem Lafite 1953 und vielleicht noch einem Cognac aus dem Jahre des Kometen von 1811!..«

Remarques Hinweis, daß er selbst einst hatte Musiker werden wollen (1898 war er in Osnabrück geboren, 1916 als Soldat an die Westfront eingezogen, dann Lehrer geworden, schließlich beim Scherl-Verlag in Berlin Redakteur), wirkt genauso aufrichtig und natürlich, wie er wohl gemeint ist. (Das sind keine Komplimente, sondern die Sache interessiert mich tatsächlich — soll sein beschei dener Hinweis besagen.) Dahinter steckt viel Einfachheit und Herzlichkeit. Der Weltberühmte, der von seinem Ruhm absah, machte den» Jargon «nicht mit.

Auf eine Silvester-Umfrage, die natürlich den meisten Befragten Anlaß für ironische oder witzige oder brillante Reaktionen war, antwortete er ganz ernst und einfach. Die erste Frage hatte ge lautet: