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Remarque hat erzählt, daß»Im Westen nichts Neues «in Indien von der Heimkehr eines Försters berichte, während man anders wo die Remarquesche Wendung vom Abendsegen an der Somme, die tägliches Artilleriefeuer während der Somme-Schlacht um schreiben soll, wörtlich übersetzte mit:»Abendsegen im Som mer…«

Natürlich, es gab auch Mißerfolge im Leben dieses berühmten Mannes. Für den Film» Are de Triomphe «war das Beste und Teuerste aufgeboten worden, was auf dem Film- und Schau spielermarkt überhaupt existierte — dennoch wurde ein ziem lich schlimmer Reinfall, eine Millionenniederlage daraus. In der Reihe der Romane jedoch findet sich kaum ein gänzlich schwa ches Buch.

Das Unrecht, das Remarque von seiten der Verteidiger hoher Li teratur zugefiigt wird, läßt sich am ehesten so beschreiben: man verwechselt eine Haltung mit einem Trick. Seine Bücher werden Bestseller nicht, weil er Erfolgskalkulation betreibt (das täten andere auch gern, nur verkalkulieren sie sich dabei), sondern weil er es eben versteht, sich leidenschaftlich und männlich-senti- mental in eine Person hineinzuversetzen und über die Schulter seines Helden die Welt zu sehen. Es ist nicht die Frage, ob ein solches Prinzip Erfolg verspricht oder nicht, es ist vielmehr die Frage, ob der Autor die Kraft besitzt, Personaleinheit in Vielfalt zu verwandeln. Remarque besaß offensichtlich diese Kraft. Es gibt Autoren, die sie nicht haben.

Wenn jemand, oder eine Öffentlichkeit, aus was für Gründen immer, einen Autor ein wenig überschätzt zu haben argwöhnt, dann tritt, plötzlich und unvermeidlich, eine Re-Reaktion ein. Es wird, sozusagen, beim möglicherweise anfechtbaren dritten Buch donnernd Rache dafür genommen, daß die ersten beiden um eine Spur zu gut wegkommen durften. Kritiker, Leser und beteiligte Öffentlichkeit nehmen dann dem Autor übel, daß sie ihn überschätzen (obwohl der Unterschied zwischen Buch zwei und Buch drei wahrscheinlich gar nicht so groß ist).

Remarques Roman» Schatten im Paradies «wirkt, vor allem am Anfang, wie eine nochmalige Variation dessen, was in» Are de Triomphe «besser und in» Die Nacht von Lissabon «auch schon zu lesen war. Und woher kommt trotzdem der Lesespaß? Zunächst, kein Zweifel, hängt er damit zusammen, daß man sich gern von Remarque überlisten läßt. Der Ich-Erzähler — der übrigens viele Figuren aus Remarques Leben und Werk, von Ravic über Paulette Goddard bis zur Köchin und bis zu Re marques New Yorker Lieblings-Nachtklub erwähnt, so daß die ses Buch wie eine Remarque-Zusammenfassung, eine» wieder gefundene Zeit «wirkt — ist als deutscher, nicht-jüdischer Emi grant nach New York gekommen. So wie in Stefan Zweigs» Schachnovelle «sich jemand durchs Erlernen von Schachpartien und Blindspielen trotz pausenloser Verhöre intellektuell am Le ben hielt, hat der Ich-Erzähler sich in einem europäischen Mu seum vor den Nazis versteckt und nächtlicherweise zum Kunst- Experten herangebildet, der Bescheid weiß und fühlt. In New York wird er, und dabei hat der eifrige Sammler Remarque natürlich die Möglichkeit, heitere Kenntnisse auszubreiten, zum Berater von nicht direkt betrügerischen, aber doch sehr geris senen Kunsthändlern. Da Remarque mit Hollywood zu tun hatte, verschlägt es den Ich-Erzähler auch nach Plollywood. Aber es geht wieder zurück nach New York, und sogar, auf der vor letzten Seite des Romans, zurück nach Deutschland.

Eine sehr sentimental direkt erzählte, immer nur mühsam sich selbst reflektierende Liebesgeschichte spielt auch mit.

Ständig erfahren wir einprägsam und elegant, worüber mit ein prägsamer Eleganz nicht zu reden sei. Also: Wer überleben will, der winkt ab, wenn er Abenteuer-Geschichten hört, der lernt, dem Schnaps zu mißtrauen und der Romantik zu mißtrauen. Wer mit Überleben beschäftigt ist, denkt zum Beispiel nicht ans Altern, findet, daß es manchmal nötig ist, sich von einer» Rie senwoge Sentimentalität«überfluten zu lassen. Man darf den Kuchen essen und behalten. Weltgeschichte erscheint wie gesagt als Karl-May-Geschichte, ermahnt uns aber ernsthaft, Weltge schichte sei nie Karl-May-Geschichte.

Doch genügt das schon? Unverkennbar Remarquesche Speziali täten kommen hinzu, das Buch zum Reißer zu machen. Seine denn wohl doch nicht manipulierbare, sondern natürliche Kraft und Kunst, fortwährend einleuchtend konkrete Situationen zu ersinnen, in denen dann ruhig auch mal Banales geredet werden darf. Dabei darf der Held immer ein bißchen klüger sein als seine allermeisten Partner es sind. Der zur Sympathie gezwun gene Leser hat somit das letzte Wort, beziehungsweise zumin dest das letzte Gefühl. Schließlich entwirft das Buch, keineswegs kritiklos, ein sentimental liebenswürdiges Bild von lauter zur sentimentalen Sehnsucht neigenden emigrierten deutschen Juden, die einfach nicht hassen können und bestimmt auch denjenigen deutschen Lesern sympathisch sein werden, die in den dreißiger Jahren ziemlich gut hassen konnten. Als glanzvolle Ausnahme beschreibt Remarque einen jüdischen Draufgänger namens Kahn, der sich nach wilden Frankreich-Abenteuern an den relativen Emigrations-Frieden nicht gewöhnt.

Aber es kommt auch ein etwas weinerlicher Schauspieler namens Tannenbaum vor, der schwer daran trägt, Spezialist für SS-Rol- len werden zu müssen, also groteskerweise indirekt von der SS zu leben. Oder ein feiner Herr, der sich in New York assimi liert hat und seine europäisch-deutschen Freunde so behandelt, wie Berliner Juden die Ost-Juden behandelten. Rührend die krebskranke Betty, die fortwährend vom einstigen Kurfürsten damm träumt und der erst dann alles egal ist, wenn sie sterben muß.

Für einen Lese-Roman wäre das genug, vielleicht. Daß je länger je mehr ein Sog daraus wird, ist die Folge von Remarques fabu lierender Szenen-Pointier-Phantasie. Vergnügt liest man, mit welchen Tricks Bilderkäufer eingewickelt werden, nimmt man an den Schicksalen einer unvergleichlich begehrenswerten bild schönen Frau teil, die nur eben die Dummheit selber ist und sich hauptsächlich für Hühnerhaltung interessiert, läßt man sich von Remarques kleiner Liebe zu Amerika für 400 Seiten davon über reden, daß Unordnung, gut erzählt, in Ordnung gebracht und eine heillose Welt im nachhinein ein Buch lang in Lesefutter ver wandelt werden kann.

Remarque hat auch einmal einen Roman geschrieben, der sich aus großen politisch-weltgeschichtlichen Katastrophen-Zusammen- hängen sehr luxuriös heraushielt:»Der Himmel kennt keine Günstlinge«. Dieses noch 1945 entstandene Buch ließ den Krieg hinter sich und hatte mit, falls der Unterschied erlaubt ist, eher mondänen Verzweiflungen zu tun.

Aber auch da bot der Bestseller-Autor keinen Trost an. Nichts darf das» Nichts «aufhellen. Beeindruckt sieht man den Re- marqueschen Geschöpfen beim Pseudo-Trost zu, beim Calvados, beim wilden Ausflug ins Leben, bei der vergeblichen Liebe, so gar bei den Kleidern, die eine hübsche kranke Frau um ihr Bett herum aufhängt (»Kleider helfen manchmal mehr als jeder moralische Trost — aber diesmal hatte auch das nichts genützt«). In» Der Himmel kennt keine Günstlinge «nimmt Remarque am Anfang den Kampf mit der» Zauberberg«-Atmosphäre auf. Und er unterliegt natürlich Thomas Manns klinischer Allwissen heit. Am Schluß, da den Autor das Mitgefühl mit seinen Helden zu überwältigen scheint, gerät das Buch auch gleich ein wenig fahrig: die ohnehin zum Apercu neigenden Remarqueschen Protagonisten werden da auf eine geradezu irritierende Weise unerschöpflich im Erfinden ständig neuer Bonmots über das Jen seits, mangelnden Lebenssinn — und was dergleichen verzwei felte Pointen mehr sind.

Merkwürdigerweise stört alles das beim Lesen, beim Schmökern nur wenig. Der Roman ist süffig. Wenn einem nach dem Genuß dann jemand klarmacht, es sei wohl doch ein bißchen Zucker im Wein gewesen, geniert man sich zwar, weil man sich doch nicht auf der Höhe des allerfeinsten Geschmacks befindet, aber man ist andererseits auch nicht verlegen mitzuteilen, was einen be stach. Remarque kann halt erzählen. Mehr als das: er kann Dialoge abrunden, Episoden so formen, daß sie eine Pointe haben und dem Ton des Ganzen ebenso entsprechen wie dem Stil des Details. Zudem weiß Remarque genau Bescheid dar über, wie zeitgenössische Helden sich fühlen, wenn die Abgründe ringsherum gähnen, obschon der Kontoauszug eigentlich beru higen sollte…