Nach einer ziemlich unangenehmen Pause sagte Smiley: »Hören Sie, Peter, Mendel hat Ihnen gesagt, was mir passiert ist. Sie sind der Fachmann - was wissen wir über die Ostdeutsche Stahl-Mission?«
»Rein wie frischgefallener Schnee, außer daß sie so plötzlich verschwunden ist. Nur drei Leute und ein Aufpasser dabei. Sie haben irgendwo in Hampstead ihre Zelte aufgeschlagen. Niemand hat anfangs recht gewußt, warum sie gekommen sind, aber in den letzten vier Jahren haben sie recht anständig gearbeitet.«
»Was waren ihre Beziehungen?«
»Das weiß Gott. Ich glaube, wie sie gekommen sind, haben sie gedacht, daß sie die Handelskammer dazu überreden könnten, etwas gegen die europäischen Stahlkonzerne zu unternehmen, man hat ihnen aber die kalte Schulter gezeigt. Dann beschäftigten sie sich mit Konsularsachen, hauptsächlich Werkzeugmaschinen und Fertigwaren, Austausch von industriellen und technischen Informationen und so weiter. Das hat nichts mit dem Zweck zu tun, dessentwegen sie gekommen sind, aber es ist weit annehmbarer, finde ich.«
»Was waren es für Leute?«
»Ach, zwei Techniker - Professor Doktor Sowieso und irgendein Doktor -, zwei Mädchen und ein allgemeiner Aufpasser.«
»Wer war der Wachhund?«
»Weiß nicht. Irgendein junger Diplomat, der die Falten ausbügeln sollte. Wir haben ihre Dossiers im Department. Ich kann Ihnen Details schicken, glaube ich.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Das ist doch selbstverständlich.«
Wieder entstand eine peinliche Pause. Smiley sagte: »Bilder wären eine wertvolle Hilfe, Peter. Geht das?«
»Ja ja, natürlich.« Guillam sah etwas verwirrt von Smiley weg. »Wir wissen eigentlich nicht viel über die Ostdeutschen, verstehen Sie. Hier und dort bekommen wir einzelne Bruchstücke in die Hand, aber im großen und ganzen sind sie irgendwie ein Mysterium. Wenn sie überhaupt arbeiten, dann tun sie es nicht unter dem Deckmantel von diplomatischen oder handelspolitischen Beziehungen. Deshalb ist es merkwürdig, wenn Sie bei diesem Burschen recht haben, daß er von der Stahl-Mission kommt.«
»Aha«, sagte Smiley ohne Überzeugung.
»Es ist natürlich schwer, aus den wenigen verstreuten Fällen, die wir kennen, allgemeine Schlüsse zu ziehen. Mein Eindruck ist der, daß sie ihre Agenten direkt aus Deutschland herüberschicken und im Operationsgebiet selbst keinen Kontakt zwischen Überwacher und Agenten haben.«
»Aber das muß sie doch schrecklich behindern«, rief Smiley. »Man muß monatelang warten, bis der Agent zu einem Treffpunkt außerhalb des Landes, in dem er arbeitet, reisen kann. Vielleicht hat er gar nicht den nötigen Vorwand, um überhaupt fahren zu können.«
»'Sicher, das muß sie offensichtlich sehr behindern, aber ihre Ziele scheinen von so geringfügiger Bedeutung zu sein. Am liebsten setzen sie Ausländer ein - Schweden, Exilpolen und was weiß ich noch alles. Sie schicken sie mit kurzfristigen Aufträgen herüber, wobei die Beschränktheit ihrer Technik nichts ausmacht. In besonderen Fällen, in denen sie einen Agenten haben, der im Lande wohnt, haben sie ein Kuriersystem, das dem der Sowjets entspricht.«
Jetzt horchte Smiley auf.
»Wie gesagt«, fuhr Guillam fort, »die Amerikaner haben vor ganz kurzer Zeit einen Kurier abgefangen, und dabei haben wir ein bißchen über die Methoden der DDR gelernt.«
»Was, zum Beispiel?«
»Ja, also, sie warten nie bei einem Rendezvous, treffen sich nie zur besprochenen Zeit, sondern zwanzig Minuten früher. Sie haben Erkennungszeichen - alle die üblichen Verschwörertricks, die das Drum und Dran zweitrangiger Spionage sind. Auch mit Decknamen schusseln sie herum. Ein Kurier kann mit drei oder vier Agenten Kontakt haben - ein Kontrollmann beaufsichtigt unter Umständen bis zu fünfzehn. Sie erfinden nie selber Decknamen für sich.«
»Wie meinen Sie das? Das ist doch notwendig.«
»Sie lassen den Agenten einen erfinden. Der Agent wählt einen Namen, irgendeinen x-beliebigen Namen, der ihm paßt, und der Kontrollmann nimmt ihn an. Auch so ein Trick . . .« Er hielt inne und sah Mendel erstaunt an.
Mendel war aufgesprungen.
Guillam setzte sich wieder auf seinen Stuhl und überlegte, ob er rauchen dürfe. Widerwillig kam er zu der Erkenntnis, daß das nicht gestattet wäre. Eine einzige Zigarette hätte ihm genügt.
»Also?« sagte Smiley. Mendel hatte Guillam von seiner Unterredung mit Mr. Scarr berichtet.
»Es paßt«, sagte Guillam. »Das paßt genau mit dem zusammen, was wir wissen. Aber wir wissen nicht so viel. Wenn Blondie ein Kurier war, dann ist es außergewöhnlich - wenigstens nach meiner Erfahrung -, daß er eine Handelsmission als Stützpunkt benutzte.«
»Sie haben doch gesagt, daß die Mission seit vier Jahren hier war«, sagte Mendel. »Blondie ist vor vier Jahren zum erstenmal zu Scarr gekommen.«
Einen Augenblick sagte niemand etwas. Dann meinte Smiley ernst: »Es ist möglich, daß sie unter besonderen Arbeitsbedingungen ebenso einen Stützpunkt wie Kuriere gebraucht haben.«
»Ja natürlich, wenn sie hinter einer wirklich großen Sache her waren, dann vielleicht schon.«
»Das heißt, wenn es sich um einen Agenten in besonders hoher Stellung gehandelt hätte?«
»Ja, so ungefähr.«
»Und wenn wir annehmen, daß sie so einen Agenten hatten, einen Maclean oder Fuchs, dann wäre es verständlich, daß sie hier unter dem Deckmantel von Handelsbeziehungen einen Stützpunkt aufgemacht hätten, der keine andere Funktion hatte, als dem Agenten behilflich zu sein?«
»Ja, das kann man sich vorstellen. Aber es ist schon etwas stark, George. Du unterstellst, daß der Agent von außerhalb dirigiert ist, von einem Kurier bedient wird und der Kurier seinerseits durch die Mission, die auch gleichzeitig der persönliche Schutzengel des Agenten ist. Das müßte schon ein Agent von Format sein.«
»Das ist zwar nicht genau das, was ich sagen will, aber ziemlich nah dran. Und ich gebe zu, daß das System einen Agenten von größter Wichtigkeit voraussetzt. Vergessen Sie nicht, daß Blondie nur nach seiner eigenen Aussage von draußen gekommen ist.«
Jetzt mischte sich Mendel ein: »Dieser Agent, hätte der direkten Kontakt mit der Mission?«
»Nein, nein, um Gottes willen«, sagte Guillam. »Aber er hätte für den Notfall wahrscheinlich irgendeine Möglichkeit, sich mit ihr in Verbindung zu setzen - einen Telefoncode oder etwas Ähnliches.« '
»Wie funktioniert so etwas?« fragte Mendel.
»Das ist verschieden. Vielleicht der Trick mit der falschen Nummer. Man wählt die Nummer in einem Automaten und verlangt, mit George Brown zu sprechen, und bekommt die Antwort, daß es dort keinen George Brown gibt. Man entschuldigt sich und hängt auf. Zeit und Treffpunkt sind vorher vereinbart. Das Notsignal ist in dem Namen enthalten, um den man fragt. Es wird jemand dort sein.«
»Welche anderen Aufgaben hätte die Mission noch?« erkundigte sich Smiley.
»Schwer zu sagen. Vielleicht die Bezahlung. Einrichtung einer Stelle, wo die Berichte abgegeben werden können. Alle diese Arrangements würde natürlich der Überwacher für den Agenten machen und ihm das Notwendige durch den Kurier mitteilen. Sie arbeiten zum Großteil nach dem russischen System, wie ich schon gesagt habe. Auch die kleinsten Details werden von der Kontrolle festgelegt. Die Leute, die im Einsatz stehen, bekommen wenig freie Hand.«
Wieder trat Stille ein. Smiley sah zuerst Guillam, dann Mendel an, blinzelte und sagte schließlich: »Im Januar und Februar ist Blondie nicht zu Scarr gekommen, ist das richtig?
»Ja, diesmal war es das erste Mal«, antwortete Mendel.
»Fennan ist im Januar und Februar immer auf Skiurlaub gefahren. Dieses Jahr ist er zum erstenmal seit vier Jahren hier geblieben.«