Выбрать главу

»Ob ich nicht doch Maston besuchen sollte«, meinte Smiley.

Guillam streckte sich genießerisch und lächelte: »Sie können es ja immerhin versuchen. Es wird ihm ein Erlebnis sein zu hören, daß Sie eins über den Schädel bekommen haben. Ich habe so eine Vorahnung, daß er glauben wird, Battersea liegt an der Küste, und er wird sich weiter um nichts kümmern. Sagen Sie ihm, daß man Sie überfallen hat, wie Sie in irgendeinem privaten Hof herumgegangen sind - er wird verstehen. Erzählen Sie ihm auch was von dem Angreifer, George. Sie haben ihn nicht gesehen, wohlgemerkt, und Sie kennen seinen Namen nicht, aber er ist ein Kurier des Ostdeutschen Spionagedienstes. Maston wird Sie decken, das tut er immer. Besonders, wenn er dem Minister Bericht erstatten muß.«

Smiley sah Guillam an und schwieg. »Auch nach dem Hieb auf den Kopf«, fügte Guillam hinzu, »er wird verstehen.«

»Aber, Peter . . .«

»Ich weiß schon, George, ich weiß schon.«

»Also gut, dann will ich Ihnen etwas anderes sagen. Blondie hat den Wagen immer am ersten Dienstag in jedem Monat geholt.«

»So?«

»Das waren die Abende, an denen Elsa Fennan nach Weybridge ins Theater gegangen ist. Fennan hat an Dienstagen immer bis spät gearbeitet, hat sie gesagt. «

Guillam stand auf. »Also, ich werde ein bißchen herumstöbern, George. Wiedersehen, Mendel, ich rufe Sie wahrscheinlich heute abend an. Ich weiß zwar gar nicht, was wir im Augenblick tun könnten, aber es wäre fein, wenn wir es wüßten, nicht wahr?« Er war schon bei der Tür. »Übrigens, wo sind die Sachen, die Fennan bei sich hatte, Brieftasche, Notizbuch und so weiter? Sachen, die an der Leiche gefunden wurden?«

»Wahrscheinlich noch auf der Polizeistation«, meinte Mendel. »Bis nach der Verhandlung.«

Guillam stand einen Augenblick da, sah Smiley an und wußte nicht, was er sagen sollte.

»Kann ich sonst was für Sie tun, George?«

»Nein, danke - ach ja, da fällt mir was ein.«

»Ja?«

»Könnten Sie mir das C.I.D. vom Hals schaffen? Sie haben mich schon dreimal besucht und sind hier natürlich nicht weitergekommen. Könnten Sie veranlassen, daß diese Angelegenheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Spionagefall behandelt wird? Tun Sie mysteriös und machen Sie es geschickt.«

»Ja, das glaube ich schon.«

»Ich weiß, daß es schwer ist, Peter, weil ich doch nicht. . .«

»Ach, da fällt mir etwas anderes ein. Nur um Sie ein bißchen aufzuheitern. Ich habe die Schriften der beiden Schreiben, Fennans Abschiedsbrief und den anonymen, vergleichen lassen. Sie sind von verschiedenen Personen auf derselben Maschine geschrieben worden. Unterschiede im Anschlag und bei den Zwischenräumen, aber dieselben Typen. Also, auf Wiedersehen, alter Freund. Und lassen Sie sich die Trauben gut schmecken.«

Guillam schloß die Tür hinter sich. Sie hörten den harten Widerhall seiner Schritte auf den Fliesen des Ganges.

Mendel rollte sich eine Zigarette.

»Um Gottes willen«, sagte Smiley, »haben Sie denn vor nichts Angst? Haben Sie die Schwester hier noch nicht gesehen?«

Mendel grinste und schüttelte den Kopf.

»Man kann nur einmal sterben«, sagte er und steckte die Zigarette zwischen seine schmalen Lippen. Smiley sah ihm zu, wie er sie anzündete. Er zog sein Feuerzeug heraus, machte es auf, setzte mit seinem gebeizten Daumen das Rädchen in Bewegung, deckte dann schnell seine hohlen Handflächen darüber und näherte die Flamme seiner Zigarette. Als ob ein Orkan geherrscht hätte.

»Also, Sie sind der Kriminalfachmann. Wie stehen wir?« fragte Smiley.

»Alles durcheinander und ungeordnet.«

»Wieso?«

»Lose Fäden, wo man hinschaut. Keine Polizeiarbeit. Nichts nachgeprüft. Wie Algebra.«

»Was hat Algebra damit zu tun?«

»Man muß zuerst feststellen, was bekannt ist. Die konstanten Größen finden. Ist sie wirklich ins Theater gegangen? War sie allein? Haben die Nachbarn sie heimkommen gehört? Wenn, dann wann? Ist Fennan an Dienstagen wirklich erst spät nach Hause gekommen? Ist seine Angetraute regelmäßig alle vierzehn Tage ins Theater gegangen, wie sie gesagt hat?«

»Und der Anruf um halb neun. Können Sie mir den erklären?«

»Der geht Ihnen im Kopf herum, nicht wahr?«

»Ja. Von allen losen Fäden ist das der loseste. Ich brüte die ganze Zeit darüber nach, sage ich Ihnen, aber er ist mir einfach unverständlich. Ich habe mir den Fahrplan da angesehen. Er war ein pünktlicher Mensch - oft ist er als erster im Amt gewesen und hat seinen Schreibtisch aufgesperrt. Er pflegte den Zug um 8 Uhr 54, den um 9 Uhr 8 oder im ungünstigsten Fall den um 9 Uhr 14 zu erreichen. Der um 8 Uhr 54 kommt um 9 Uhr 38 an. Er kam gerne um dreiviertel zehn ins Büro. Es konnte unmöglich seine Absicht sein, sich erst um halb neun wecken zu lassen.«

»Vielleicht hat er nur das Geklingel gern gehört«, sagte Mendel und stand auf.

»Und die Briefe«, setzte Smiley fort. »Verschiedene Schreiber, aber dieselbe Maschine. Außer dem Mörder hatten noch zwei Menschen Zutritt zu dieser Maschine: Fennan und seine Frau. Wenn wir annehmen, daß Fennan den Abschiedsbrief selber geschrieben hat - unterschrieben hat er ihn ja ohne Zweifel -, dann müssen wir auch annehmen, daß Elsa die Denunziation geschrieben hat. Warum hat sie das getan?«

Smiley war völlig erschöpft und erleichtert darüber, daß Mendel ging.

»Ich gehe aufräumen. Die Konstanten finden.«

»Sie werden Geld brauchen«, sagte Smiley und bot ihm welches aus der Brieftasche in seinem Nachtkästchen an. Mendel nahm es ohne weiteres Zeremoniell und ging.

Smiley lehnte sich zurück. Sein Kopf war glühend heiß, und es hämmerte darin wie wahnsinnig. Er wollte zuerst die Schwester rufen, unterließ es aber dann aus Feigheit. Langsam hörte das Pochen auf. Draußen hörte er die Sirene einer Ambulanz, die von der Prince of Wales Drive in den Hof des Spitals einfuhr. »Vielleicht hat er es nur gerne klingeln gehört«, dachte er und schlief ein.

Er wurde durch einen Streit draußen auf dem Gang geweckt. Er hörte die Schwester mit erhobener Stimme protestieren. Er hörte Schritte und die Stimme Mendels, die aufgeregt dagegenredete. Plötzlich ging die Tür auf, und jemand drehte das Licht an. Es war dreiviertel sechs. Mendel redete auf ihn ein. Er schrie fast. Was versuchte er ihm da zu sagen? Etwas von Battersea Bridge ... die Flußpolizei . . . seit gestern abgängig. Er war hellwach. Adam Scarr war tot.

Die Geschichte der Jungfrau

 

Mendel chauffierte sehr gut und mit einer schulmeisterlichen Pedanterie, die Smiley komisch gefunden hätte. Die Weybridge Road war, wie gewöhnlich, vollgestopft mit Fahrzeugen. Mendel haßte die Autofahrer. Wenn man einem Menschen einen Wagen gibt, dann läßt er die Anständigkeit und den gesunden Menschenverstand in der Garage zurück. Ganz gleich, wer es war. Er hatte Bischöfe im Purpur gesehen, die in der Innenstadt mit hundert Sachen fuhren und die Fußgänger so erschreckten, daß sie den Kopf verloren. Smileys Wagen mochte er gern. Ihm gefiel die peinliche Gewissenhaftigkeit, mit der er gepflegt war, die vernünftigen, nützlichen Kleinigkeiten. Er war ein netter kleiner Wagen.

Er schätzte Menschen, die sich um ihre Sachen kümmerten, die das beendeten, was sie begannen. Ihm gefielen Gründlichkeit und Genauigkeit. Keine Pfuscherei. Wie dieser Mörder. Wie hatte Scarr gesagt? »Jung, aber eiskalt. Kalt wie die Nächstenliebe. « Er kannte diesen Blick, und Scarr hatte ihn auch erkannt. . . den Ausdruck vollständiger Verneinung in den Augen eines jungen Mörders. Es war nicht der Blick eines wilden Tieres, nicht der verzerrte wilde Ausdruck eines Tobsüchtigen, sondern ein Blick aufs höchste gesteigerter, erprobter, bestätigter Perfektion. Es war ein Zustand, der über das im Krieg Erlebte hinausging. Das Erlebnis des Sterbens im Krieg bringt eine gewisse Abstumpfung mit sich, aber darüber geht die anmaßende Überzeugung von der eigenen Überlegenheit im Hirn des professionellen Mörders weit, himmelweit hinaus. Ja. Mendel hatte ihn schon gesehen. Den, der sich abseits hielt von der Bande, mit fahlen, toten Augen, dem die Mädchen nachgingen und von dem sie ohne ein Lächeln redeten. Ja, er war eiskalt.