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«Keine Sorge«, zog ich ihn auf.»Wenn ihr bis jetzt gesund geblieben seid, werden sie so schlimm nicht sein.«

«Herzlichen Dank.«

Schon als ich durch die massive Ladentür mit ihren facettierten Glasscheiben trat, empfand ich die Leere, die

Martin hinterließ. Und es war nicht so, als hätte ich keine anderen Freunde gehabt. Ich traf mich hin und wieder zu Bier und Wein mit ein paar Leuten, die nicht im Traum daran gedacht hätten, Sprudel zu trinken oder in der Sauna Pfunde herunterzuschwitzen. Zwei davon, Hickory und Irish, arbeiteten bei mir als Gehilfen, wobei Hickory etwa in meinem Alter war und Irish wesentlich älter. Der Wunsch, mit Glas zu arbeiten, erwacht oft erst spät im Leben wie bei Irish, der schon vierzig war, aber manchmal, wie bei mir selbst, stellt sich die Faszination ein wie das erste gesprochene Wort, so früh, daß man sich gar nicht mehr daran erinnern kann.

Ein Onkel von mir war ein angesehener Glasmacher gewesen und ein Virtuose im Umgang mit dem Feuer. Er erhitzte feste Glasstäbe in der Flamme eines Gasbrenners, bis er feine Spitzenmuster daraus drehen konnte, und er ließ Engel und Krinolinen mit ebenso leichter Hand entstehen wie Untersätze jeder Art für den Laborbedarf.

Zuerst war er belustigt über das neugierige Kind, das ihm da auf die Pelle rückte, doch bald fand er es anregend, und schließlich nahm er es ernst. Ich lernte bei ihm, wann immer ich die Schule schwänzen konnte, und er starb, als meine Fingerfertigkeit fast schon an seine heranreichte. Da war ich sechzehn. In seinem Testament hinterließ er mir Pläne und Anweisungen für den Bau einer eigenen Werkstatt, vor allem aber die unschätzbar wertvollen Notizbücher, in denen er sein einzigartiges Können jahrelang dokumentiert hatte.

Ich verwahrte sie in einem verschließbaren Bücherschrank, den ich dafür gebaut hatte, und ergänzte sie durch eigene Notizen zu Technik und Material, wenn ich etwas Besonderes entwarf. Der Schrank stand im hinteren Teil der Werkstatt zwischen den Lagerregalen und den vier hohen grauen Spinden, in denen meine Helfer und ich unsere Siebensachen aufbewahrten.

Von Onkel Ron stammte auch der Firmenname, Logan Glas, und er hatte mir ein Minimum an Geschäftssinn eingetrichtert. Wenigstens sollte ich wissen, daß ein einmal von einem Glasbläser angefertigtes Stück grundsätzlich von jedem anderen kopiert werden durfte, was den Preis empfindlich drückte. In seinen letzten Lebensjahren bemühte er sich mit Erfolg, Stücke von unnachahmlicher Originalität herzustellen, nicht einmal ich durfte dabei zusehen, sollte aber hinterher versuchen, die Technik herauszufinden und die Sachen nachzubauen. Gelang mir das nicht, zeigte er mir gern, wie es ging, und er freute sich, daß ich dazulernte, bis ich schließlich selbst in der Lage war, ihm knifflige Aufgaben zu stellen.

Am Spätnachmittag nach Martins Tod war mein Glashaus überfüllt von Leuten, die Souvenirs für die bevorstehende Jahrtausendwende suchten. Ich hatte eine Vielzahl von hübschen Kalenderhaltern entworfen und sie in allen Farbkombinationen hergestellt, die erfahrungsgemäß bei den Touristen ankamen. Wir hatten sie buchstäblich zu Hunderten verkauft, und allen hatte ich mein Zeichen eingeritzt. Noch war es nicht soweit, aber wenn es nach mir ging, war im Jahr 2020 ein signierter Ge-rard-Logan-Kalenderhalter vielleicht schon ein Sammlerstück.

In der Galerie waren die Unikate, die eher ausgefallenen, teureren Einzelstücke ausgestellt und ins beste Licht gerückt; in den Regalen im Verkaufsraum standen die kleineren, reizvoll bunten und preiswerten Schmuckgegenstände, die in jeden Reisekoffer paßten.

Eine Längswand des Verkaufsraums war nur hüfthoch, so daß man in die darunterliegende Werkstatt schauen konnte, wo Tag und Nacht der Ofen brannte und die kleinen grauen Kugeln bei einer Temperatur von 1400 Grad Celsius zu Glas geschmolzen wurden.

Hickory, Irish und ihre Kollegin Pamela Jane gingen mir abwechselnd in der Werkstatt zur Hand. Einer der beiden anderen erklärte den Kunden, wie die Arbeit ablief, und der dritte verpackte die Ware und machte die Kasse. Im Idealfall hätten wir uns alle vier abgewechselt, aber erfahrene Glasbläser sind rar, und meine drei engagierten Helfer waren über das Modellieren von Briefbeschwerern und Pinguinen noch nicht hinaus.

Das Weihnachtsgeschäft war toll gewesen, aber mit Neujahr 2000 nicht zu vergleichen. Und da ich nur echte Handarbeit und vorwiegend eigene Arbeiten verkaufte, war ich mit dem Besuch auf der Rennbahn heute zum ersten Mal seit einem Monat vom Ofen weggekommen. Manchmal hatte ich bis in die Nacht hinein gearbeitet und immer von acht Uhr früh an, assistiert von einem meiner drei Helfer. Die körperliche Erschöpfung hatte ich weggesteckt. Ich war gesund — Martin meinte immer, wer 1400 Grad um die Ohren hat, braucht keine Sauna.

Hickory, der gerade die Glasmacherpfeife, ein anderthalb Meter langes Stahlrohr, drehte und schwenkte, um Farbe in einen glühendheißen Briefbeschwerer zu bringen, schien unerhört erleichtert, daß ich wieder da war. Pamela Jane, ernst lächelnd, mager, nervös und prompt aus dem Konzept gebracht, sagte mitten in der Kundeninformation:

«Da ist er ja, da ist er ja…«, und Irish schaute von dem kobaltblauen Delphin auf, den er gerade in blütenweißes Papier einschlug, und stieß einen Seufzer aus:»Gott sei Dank!«Sie sind zu abhängig von mir, dachte ich.

«Hallo, Leute«, sagte ich wie üblich, ging in die Werkstatt hinüber, zog Jacke, Schlips und Hemd aus und zeigte mich der millenniumsverrückten Kundschaft im ärmellosen weißen Designertrikot, meiner Arbeitskleidung. Hik-kory machte seinen Briefbeschwerer fertig und schwenkte die Pfeife nach unten, um das Glas abkühlen zu lassen, wobei er achtgab, daß er sich nicht die nagelneuen Turnschuhe ansengte. Ich machte aus Unfug einen wie aus Bändern bestehenden blaugrünroten Fisch, eine geodätische Spielerei, die sehr schwierig aussah und mich mit vierzehn vor unlösbare Rätsel gestellt hatte. Das Licht schien in allen Regenbogenfarben durch.

Die Kunden legten Wert auf den Nachweis, daß die Ware an diesem Tag entstanden war. Ich ließ den Laden länger auf und fertigte datierte Schalen, Teller, Vasen ohne Ende wie gewünscht, während Pamela Jane erklärte, sie seien erst am nächsten Morgen, Neujahr, abholbereit, da sie langsam über Nacht abkühlen müßten. Das schien niemanden zu stören. Irish notierte die Namen der Kunden und unterhielt sie mit Witzen. Es herrschte eine angeregte und festliche Stimmung.

Irgendwann kam Priam Jones kurz vorbei. Als er wegen Martin bei Bon-Bon gewesen war, hatte er meinen Regenmantel auf dem Rücksitz des Wagens liegen sehen. Ich war sehr froh darüber und dankte ihm herzlich. Er neigte den Kopf und lächelte sogar. Seine Tränen waren getrocknet.

Als er gegangen war, hängte ich den Mantel in meinen Spind. Dabei schlug etwas gegen mein Knie, und mir fiel das Päckchen ein, das Eddie der Jockeydiener mir gegeben hatte. Ich legte es auf ein Regal hinten in der Werkstatt, wo es nicht störte, und ging wieder hinaus zu meiner Kundschaft.

Die Ladenschlußzeiten waren unbestimmt, aber schließlich sperrte ich hinter dem letzten Kunden ab, so daß Hik-kory, Irish und Pamela Jane noch auf ihre Partys kamen. Das Päckchen, das Priam Jones mir mit dem Regenmantel vorbeigebracht hatte, war immer noch nicht geöffnet. Das Päckchen von Martin. den ganzen Abend hatte er mir schwer im Nacken gesessen, ein unruhiger, lachender Geist, der mich vorantrieb.

Traurig sicherte ich den Glasofen gegen Vandalen und kontrollierte die Temperatur der Kühlöfen, in denen all die neu gemachten Stücke allmählich abkühlten. Der Glasofen, den ich nach den Plänen meines Onkels gebaut hatte, bestand aus Schamottestein und wurde unter Hochdruck mit Propangas betrieben. Er brannte Tag und Nacht mit mindestens 1000 Grad, heiß genug, um nicht nur Papier zu entflammen, sondern die meisten Metalle zum Schmelzen zu bringen. Wir wurden oft gefragt, ob sich ein Andenken wie etwa ein Ehering in einen Briefbeschwerer einschließen ließe, und mußten darauf leider mit Nein antworten. Glasfluß brachte Gold — und Haut — im Nu zum Schmelzen. So gesehen war geschmolzenes Glas ganz schön gefährlich.