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Greg also hielt mich in seinen hanteltrainierten Armen und murmelte so unsinnige Dinge wie »schschsch… wer wird denn gleich weinen?« in mein Haar. Mein langes, blondes Haar, das eigentlich zu fein war, um es wirklich lang zu tragen. Greg allerdings liebte langes Haar, deshalb hatte ich es wachsen lassen. Als wir so eng umschlungen mitten im Wohnzimmer unserer Wohnung standen, wickelte er eine Strähne um seine Finger.

Vermutlich nahm er Abschied. Von meinem Haar.

Der Abschied von mir kam geschätzte siebzehn Sekunden später, als eine mir unbekannte Person weiblichen Geschlechts aus unserem Schlafzimmer kam und nuschelte: »Wann kommst du denn endlich, ich bin schon fast…«

… eingeschlafen, vollendete ich automatisch den Satz in Gedanken.

Und als Zweites sagte mir mein grundsätzlich pragmatisch denkendes Hirn: Ich muss Oma anrufen und fragen, wie ich die Make-up-Spuren aus meinem Kopfkissenbezug entfernen kann.

Greg stellte uns charmant vor, besser gesagt stellte er mich vor. Er sagte: »Sue, das ist Corinna, von der ich dir erzählt habe.« Andersherum hätte es auch nicht so gut geklungen: »Corinna, das ist Sue, von der ich dir bisher noch nichts erzählt habe.«

Ich sagte nichts, starrte die Erscheinung einfach nur an. Sprachlos, gefühllos, fassungslos.

Sue sah zum Anbeißen aus. Sie trug nur ein Hemd, und zwar ausgerechnet Gregs Lieblingshemd, das ich zu einem obszönen Preis in einer angesagten Boutique erstanden und ihm zu seinem Geburtstag im vergangenen Mai geschenkt hatte. Ein schwarzes Hemd mit rosa Nadelstreifen von einer deutschen Hemdenmanufaktur. Er liebte diese Marke, Entschuldigung, dieses Label, und trug das Hemd mit derselben Hingabe, mit der ich es für ihn bügelte. Sue sah darin einfach süß aus. Ein bisschen wie rosa Zuckerwatte im Zartbitter-Schokoladenmantel. Sie steckte die Spitze ihres rechten Zeigefingers in den Mund, murmelte »ups, ich lasse euch dann mal allein«, drehte sich um und stelzte auf ihren langen, schlanken, haarlosen Beinen zurück ins Bett.

»So sorry, Corinn«, sagte Greg und legte seine Hand an meine Wange. »Es war love at first sight.«Als ob die englische Sprache die Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick erträglicher machte.

»Ich wollte dir wirklich nicht wehtun, du hast so gut für mich gesorgt, aber…«

Ich stand immer noch mit hängenden Armen vor Greg, stocksteif und sprachlos. Ich hatte gut für ihn gesorgt, das stimmt. Aber war das alles gewesen?

»Sue wird in Düsseldorf wohnen und es wäre ja lächerlich, wenn sie sich jetzt auf die Schnelle eine eigene Wohnung suchen müsste«, erklärte Greg mir beiläufig. »Deshalb dachten wir, dass es besser wäre, wenn du…«

So schnell wird man nicht nur arbeits- sondern auch obdachlos. Und Single. Übergewichtig war ich ja schon. Innerhalb weniger Stunden hatte ich alle Merkmale der perspektivlosen Unterschicht, die es für mich bisher nur in sozialkritischen Aussagen populistischer Politiker gegeben hatte, in meiner Person versammelt. Zum Glück neige ich nicht zur Hysterie. Jedenfalls damals nicht. Eine geradezu unheimliche Ruhe hatte von mir Besitz ergriffen. Ich ließ einfach alles geschehen, so wie ich als kleines Mädchen auf dem Bauernhof meiner Oma manchmal bei strömendem Regen in meinem roten Regenmäntelchen unter dem Überlauf der Dachrinne stand und bewegungslos dem harten Platschen auf der Kapuze und den Schultern lauschte.

»Ach, Darling, Kopf hoch, du bist doch so ein nettes Mädchen, du wirst schon einen anständigen Kerl finden«, sagte Greg.

Darling hatte Jörgen mich eben auch genannt, dann überreichte er mir die Kündigung. Dem nächsten Mann, der mich mit Darling anredete, würde ich den Hals umdrehen.

»Hast du eine Freundin, bei der du unterkommen kannst?«, fragte Greg.

Ich erwachte aus meiner Lähmung und starrte ihn an.

»Übergangsweise?«, schob er hinterher.

Wir hatten fast zwei Jahre zusammengelebt und er fragte mich, ob ich eine Freundin hätte? Ich hatte keine. Nie gehabt. Ich war ja immer beschäftigt gewesen, ins Büro gehen, Gregs Anzüge in die Reinigung bringen, die Schuhe putzen, seine Koffer für die Reisen ein- und nachher wieder auspacken, auf Greg warten und unsere Wohnung in Ordnung halten. Eine Freundin, nein, damit konnte ich nicht dienen. Aber ich hatte eine Idee, die die Leere in meinem Kopf wie ein Blitz aus heiterem Himmel mit feiner, für mich ganz untypischer Gehässigkeit gefüllt hatte.

»Ich ziehe in dein Arbeitszimmer«, sagte ich.

Das würde ihm wehtun. Sein Arbeitszimmer war sein heiliger Rückzugsort in unserer Wohnung. Ich hatte Zutrittsverbot, solange er sich darin aufhielt, und durfte es nur betreten, um dort zu putzen und Staub zu wischen. Das allerdings durfte ich oft, denn Greg hat es gern sauber.

Natürlich hätte ich lieber meinen Koffer gepackt und wäre Türen schlagend aus der Wohnung gestürmt, aber wo sollte ich denn hin? Das Arbeitszimmer war der einzige Zufluchtsort, der mir einfiel.

Greg schluckte, wollte etwas sagen, presste aber die Lippen zusammen und nickte. Er half mir, meine Sachen in sein Arbeitszimmer zu räumen. Ich richtete mich ein so gut es ging, aber natürlich ging es nicht gut. Dann verließ ich die Wohnung, ging zur Bank, stoppte den Dauerauftrag für die Mietanteilzahlung und streunte durch die Stadt wie ein geprügelter Hund. Ich bemitleidete mich selbst nach Strich und Faden und beschloss, mir etwas Gutes zu tun. Und jedes Kind weiß, was gut für Frauen mit Liebeskummer ist: Sie setzen sich in ein Café und essen tonnenweise Torten.

Ich setzte mich in ein Café, bestellte einen Cappuccino und ein großes Stück der dunkelsten Schokoladentorte, die irgendeinen italienischen Namen trug, den ich nicht richtig aussprechen konnte. Ich schlürfte den Schaum vom Cappuccino, wie ich es, sehr zu Gregs Missfallen, immer getan habe. Die Torte kam, ich spießte ein Stück von beachtlichem Ausmaß auf die filigrane Kuchengabel, hob sie zum Mund und – presste die Lippen zusammen.

Das hatte ich ja völlig vergessen. Ich kann nichts essen, wenn es mir schlecht geht. Trauer und Stress verschließen meinen Magen zuverlässiger, als jede Operation es könnte. Das hatte mir im zarten Alter von fünfzehn Jahren einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt eingebracht, der der intravenösen Aufpäppelung meiner abgemagerten Gestalt diente. Ich war damals unglücklich verliebt und nicht in der Lage gewesen, zu essen. Drei Wochen lang. Drei Wochen totales Fasten sind eine lange Zeit für eine pubertierende und noch im Wachstum befindliche Göre von einhundertvierundsiebzig Zentimetern Körpergröße, also wurde ich im Krankenhaus zwangsernährt. Zum Glück verliebte ich mich bald auf das Heftigste in den Assistenzarzt, sodass ich am achten Tag selbstständig aß und wenige Tage später, sehr zu meinem Leidwesen, entlassen wurde.

Jetzt saß ich also vor einer vermutlich himmlischen Torte, bekam kein Stück davon herunter und kämpfte mit den Tränen. Ob vor Kündigungs- und Liebeskummer oder wegen der Unfähigkeit, dieses Kleinod der Konditorkunst angemessen zu würdigen, war mir nicht klar, im Grunde aber auch egal.

Damals brachten mich noch Kleinigkeiten aus der Fassung.

Natürlich ärgerte ich mich auch darüber, dass ich das Feld meiner Nachfolgerin überlassen hatte, statt um meinen Platz an Gregs Seite zu kämpfen.

»Mir ist egal, wo sie wohnt, ich jedenfalls wohne hier«, wäre ein guter Satz gewesen.

Auch der Spruch: »Wenn ihr beide zusammen sein wollt, dann sucht euch doch eine gemeinsame Wohnung. Ich bleibe hier«, hatte einen gewissen Reiz, war aber leider ganz unpassend, denn für mich allein war die große Wohnung viel zu teuer.

Aber alle Gedankenspiele halfen nicht mehr, denn ich hatte in dieser Auseinandersetzung kläglich versagt, so wie ich in den meisten Konflikten versage.