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Talbot musterte den Cybeller, und langsam trat ein Lächeln in seine Züge. »Das würde mir gefallen.«

Der Vogt drehte sich um, weil er mit Sham sprechen wollte, und trat stattdessen zwei Schritte vor, bis er ins fensterlose Schlafzimmer spähen konnte. »Habt ihr gesehen, wohin der Junge verschwunden ist?«

Der frisch ernannte Hauptmann der Garde schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte Talbot, »aber der Bursche ist recht gewitzt.«

Als der Vogt ihn fragend ansah, fuhr er mit einer Erklärung fort. »Ich meine damit, dass er den Ruf hat, Magier zu sein. Ich sehe ihn gelegentlich und habe mich über ihn erkundigt. Die meisten Leute in Fegfeuer – auch die Gardisten – lassen ihn in Ruhe, weil er ziemlich geschickt im Umgang mit Magie ist.« Talbot zögerte, dann nickte er in Richtung der ausgemergelten Gestalt des alten Mannes. »Er schien ziemlich aufgebracht über den Tod des Alten zu sein. Ich möchte nicht in der Haut des Mörders stecken. Ich persönlich würde es ja lieber mit einem tollwütigen Keiler aufnehmen, als ausgerechnet einen Hexer zu erzürnen.«

Sham beobachtete das Geschehen aus einem Winkel des Raumes, dem die drei Männer dank ihrer Magie keine Beachtung schenkten. Sie wünschte, sie würden sich beeilen und gehen, denn sie war sich nicht sicher, wie lange sie den Bann noch aufrechterhalten konnte.

Der Vogt kniete sich hin, um Hirkins Leiche zu überprüfen. »So, wie er dieses Ding auf Hirkin geschleudert hat, würde ich eher sein Messer fürchten.«

Talbot schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das wie ›Ostländler‹ klang.

Noch lange nachdem die drei Männer aufgebrochen waren, kauerte Sham in der Nähe auf einem Dach und beobachtete, wie die Hütte des Alten Mannes zu Asche verbrannte, ohne eines der Gebäude daneben auch nur anzusengen. Müde schloss sie die Augen und zitterte in der Wärme ihrer magischen Flammen.

3

In den vergangenen Tagen war Sham dem neuen Sicherheitsleiter gefolgt, als er die Nebenstraßen von Fegfeuer durchstreifte und – laut den Flüsterern – nach ihr suchte. Die Widersprüchlichkeit der Lage gefiel ihr, und sie hatte sonst wenig zu tun.

Weder ihr noch den Flüsterern war es gelungen, herauszufinden, wer oder was Maur getötet hatte, obwohl sie mehrere andere Opfer gefunden hatten, die von Adeligen bis hin zu Dieben reichten. Vor vier Tagen hatte ihr einer der Flüsterer mitgeteilt, dass Talbot nach ihr suchte. Und es hieß, es könnte durchaus interessant für sie sein, was er zu sagen hatte. Es mochte sich um Informationen über den Chen Laut handeln, vielleicht auch um etwas Unheilvolleres.

Da Maur tot war, hatte sie ihren Versuch, Vergeltung zu üben, nicht weiterverfolgt; irgendwie schien es keinen Sinn mehr zu haben. Den letzten Diebstahl hatte sie in der Nacht begangen, als Maur vor fast drei Monaten gestorben war. Und dennoch – wenn Talbot wollte, konnte er sie mit einer beliebigen Anzahl vergangener Verbrechen in Verbindung bringen und hängen lassen. Shamera glaubte zwar nicht, dass die Flüsterer ihm dabei helfen würden, allerdings galt der Hai als unberechenbar.

Sie beobachtete Talbot von einem verlassenen Gebäude in der Nähe der Docks aus, wie er mit einer alten Frau sprach, die gerade den Kopf schüttelte. Der Südwäldler hatte sich stark verändert. Was nicht an seiner Kleidung lag – Braun und Grau sahen immer ziemlich gleich aus, ganz egal, wie gut der Stoff sein mochte. Er hatte auch nichts an seinem angegrauten, hellbraunen Haar geändert, das er nach hinten zusammengebunden trug. Wenngleich Sham den Eindruck hatte, dass sein Bart ein wenig kürzer als zuvor gestutzt war. Talbots Züge strahlten immer noch eine Gutmütigkeit aus, die in ihr den Wunsch weckte, ihn trotz ihres argwöhnischen Wesens zu mögen.

Der Unterschied, so befand sie, bestand darin, dass er die ständige Furcht verloren hatte, die jeden heimsuchte, der in Fegfeuer zu leben gezwungen war: Furcht vor Hunger, Furcht vor dem Tod, Furcht vor dem Leben – und die Hoffnungslosigkeit, die damit Hand in Hand ging. Wie der Hai war Talbot zu einer gestaltenden Kraft statt zu einem weiteren hilflosen Vertreter des Gesindels geworden, das Fegfeuer bevölkerte.

Aber wenn sie ihre Angst, gehängt zu werden, außer Acht ließ, stellte sich immer noch die Frage: Würde jemand seines derzeitigen Ranges drei Tage mit der Suche nach ihr verbringen, nur um sie zu verhaften? Shamera war eine gute Diebin, doch sie verhielt sich auch vorsichtig. Sie stahl nie etwas Unersetzliches und verletzte nie jemanden, wenn es nicht sein musste – so vermied sie grundsätzlich alles, was ihre Ergreifung zu einer vordringlichen Angelegenheit machen könnte.

Sham traf unvermittelt eine Entscheidung, hörte auf, ihm zu folgen, und kletterte mühelos vom Dach auf eines der Gebäude in der Nähe. Vorsichtig huschte sie über die feuchten Schindeln und ließ sich in die Gasse hinter dem Haus hinab, womit sie mehrere zerlumpt gekleidete Jugendliche erschreckte. Bevor sie sich überlegen konnten, ob Sham es wert sei, angegriffen zu werden, hatte sie bereits das nächste Gebäude erklommen und glitt dann hinab auf die Straße dahinter.

Aufgrund der Wege, denen Talbot in den vergangenen Tagen gefolgt war, vermutete sie, dass er nun eine der Tavernen ansteuerte, die sie gelegentlich besuchte. Sie schlug einen Pfad entlang leerstehender Gebäude und über verschlungene Straßen ein, der ihr im Vergleich zu der Entfernung, die Talbot zurücklegen musste, mehrere Häuserblöcke ersparte. In der Nähe der Taverne fand sie eine Gasse, an der er bald vorbeikommen musste, und ließ sich dort nieder, um auf ihn zu warten.

Als Talbot schließlich an ihr vorbeiging, ohne sie zu bemerken, hätte beinahe ihre zögerliche Vorsicht dafür gesorgt, dass sie still blieb. Sham musste ihrem tief verwurzelten Selbsterhaltungstrieb unverhohlen trotzen, um sich bemerkbar zu machen.

»Meister Talbot.«

Sie freute sich, dass ihr theatralisches Flüstern den alten Seemann eine geduckte Verteidigungshaltung einnehmen ließ. Ein Lächeln zierte ihr Gesicht, als sie sich entspannt an die Ziegelsteinmauer eines verlassenen Gebäudes lehnte.

Er richtete sich auf und sah sie an. Ihr Vater hatte denselben Blick benutzt, wenn sie etwas getan hatte, das ihn verstimmte. Im Alter von zehn Jahren hatte sie sich unter einem solchen Blick förmlich gewunden; nun wurde ihr Grinsen nur noch breiter.

»Die Flüsterer munkeln, dass du nach mir suchst«, sagte sie.

Er nickte zur Erwiderung. »Das tue ich, Sham. Mir wurde gesagt, du könntest daran interessiert sein, für mich zu arbeiten.«

»Du weißt schon, was ich mache, oder?«, fragte Shamera und zog ungläubig die Augenbrauen hoch.

Wieder nickte er. »Aye. Deshalb suche ich ja nach dir. Wir brauchen jemanden, der sich in Häuser hinein- und wieder herausschleicht. Die Flüsterer haben uns eine Reihe von Leuten genannt, die sich dafür eignen könnten. Dein Name wurde besonders oft genannt …« Talbot grinste sie an. »Shamera.«

Sie lachte und lehnte sich noch lässiger an die Mauer. »Ich hoffe, du hast nicht zu viel Zeit damit verbracht, nach einem Dieb namens Shamera zu suchen.«

Der Hai hätte Talbot nichts erzählt, wenn er davon ausgegangen wäre, der alte Seemann würde verbreiten, wer sie war. Allerdings war sie nicht sicher, ob es sie überhaupt noch kümmerte; da der Alte Mann tot war, hielt sie nur noch sein Versprechen in Landsend. In Reth gab es keine Menschen aus dem Osten, und ein Zauberer könnte dort ein gutes Auskommen finden.

»Nein.« Unbeschwerter Frohsinn leuchtete in seinen blaugrauen Augen. »Aber ich muss gestehen, meine Geldbörse war schmerzlich leichter geworden, bis ich endlich herausgefunden hatte, nach wem ich eigentlich suche. Ich hätte nie gedacht, dass Sham, der Dieb, in Wirklichkeit ein Mädchen ist.«

Sie grinste. »Danke. Ich habe schon einige Jahre Übung in meiner Rolle, aber es ist gut zu wissen, dass ich sie überzeugend spiele. Ich vermute, du hast deine Auskünfte vom Hai – er genießt es, Leute zweimal für dieselbe Ware bezahlen zu lassen.«