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»Bleib zurück, geh zu Kerim«, warnte sie ihn. »Das hier könnte hässlich werden.«

»Shamera?«, fragte Lady Sky. »Warum tust du das? Ich dachte, du wärst meine Freundin.«

Sham trat vor, bis sie unmittelbar außerhalb der von Halvok aufrechterhaltenen Barriere stand. »Chen Laut«, sagte sie und vollführte eine Geste.

Zwar bestand keine Notwendigkeit, die wahre Gestalt des Dämons herbeizubeschwören, um ihn zurück in seine Welt zu schicken, aber Sham brauchte die Gewissheit, dass sie recht hatte. Also rief sie den Dämon bei dem Namen, den er seit Jahrhunderten getragen hatte. Es mochte nicht sein wahrer Name sein, dennoch besaß er Macht.

Der Sand zu Skys Füßen geriet in Bewegung, als hätte ihn ein starker Windstoß erfasst. Sky selbst begann zu zucken wie eine Marionette in den Händen eines Kleinkinds … Dann sackte ihr Körper schlaff zu Boden, und darüber ragte der Dämon auf.

Er war größer als ein Pferd, eine Kreatur aus Flammen in der Farbe der Magie. Acht dünne Gliedmaßen trugen seinen Rumpf über den nassen Sand, doch der Rest des Dämons hatte nichts Spinnenartiges an sich. Ein Schwanz aus goldenen und roten, sich stetig wandelnden Flammen traf den Rand der Rune mit einem Krachen und zwang Lord Halvok vor unerwarteten Schmerzen zu Boden.

Allerdings bestand kein Zweifel daran, wer dadurch schlimmer verletzt wurde: Der Dämon kreischte. Es war ein schauerlicher Laut, der die gesamte Bandbreite des hörbaren Schalls abdeckte. Gleichzeitig zuckte ein bläulich grünes Licht von der Rune in den Schwanz. Als der Schrei verstummte, kauerte der Dämon in der Mitte der Rune und schwankte hin und her.

»Halvok?«, rief Sham.

»Alles bestens«, gab er zurück, wenngleich er sich heiser anhörte. »Die Rune wird sie festhalten.«

»Dreimal war ich gebunden«, ergriff die Kreatur mit Lady Skys Stimme das Wort. »Drei tote Magier übersäen die kalte Erde. Auch deine Bindung werde ich in besserem Zustand als du überstehen, Magierin. Nimm dir an Macht, so viel du willst und so lange du es kannst, denn schon bald bist du tot.«

»Ich werde sterben«, räumte Sham bereitwillig ein. »So wie alles, was sterblich ist. Aber davor schicke ich dich nach Hause. Talbot, wie steht es mit der Flut?«

»Wenn du mich vernichtest«, fuhr der Dämon fort, »suche ich dich und deine Kinder heim, bis eines geboren wird, das ich benutzen kann, Hexe. Ich werde mir den Körper nehmen und damit jagen, bis keiner deiner Nachkommen mehr auf dieser Erde wandelt.«

»Noch nicht«, antwortete Elsic, der dem Meer lauschte, während er die Flöte betastete, »aber bald.«

Talbot bedachte den blinden Jungen mit einem neugierigen Blick. »Ist noch im Anrollen.«

»Treibgut«, schnarrte der Dämon und drehte den anmutigen Hals, bis er Elsic ansah. »Ausgestoßener Selkie-Müll. Falls du an meiner Bindung mitwirkst, spüre ich dich auf, sobald ich wieder frei bin, und werfe dich zurück ins Meer. Dort wird dein eigenes Volk dich zerreißen und an die Fische verfüttern.«

Elsic lächelte zuckersüß. »Ich wirke an keiner Bindung mit.«

Der Dämon lief innerhalb der Grenzen der Halterune auf und ab und achtete darauf, nicht die Ränder zu berühren.

»Jetzt«, sagte Elsic.

Leise vernahm Sham das gedämpfte Tosen der zurückkehrenden Wellen. Elsic setzte die Flöte an die Lippen und blies eine einzelne, klare Note, die durch die Nacht schnitt wie ein Pfeil. Dann wechselte er zu ein paar Tonleitern und ging schließlich zu einem Sham nicht bekannten Lied in Moll über.

Sham spüre, wie sich die Magie zu sammeln begann. Sie holte tief Luft und hielt sich stumm vor Augen, dass ein Großteil der Magie, die sie wirken würde, aus Zaubern bestand, die sie bereits kannte. Die halbe Nacht hatte sie damit verbracht, sich den einzigen Zauberspruch einzuprägen, der neu für sie war, bis sie in der Lage gewesen wäre, ihn im Schlaf rückwärts aufzusagen. Sollten ihre Konzentration oder ihr Selbstvertrauen versagen, würde die gesamte Macht der Geistebbe in Form von Flammen freigesetzt werden, die sie und ganz Fegfeuer verschlingen würden. Das wäre selbst für die schlechtesten Schüler ein hinlänglicher Ansporn gewesen, und dazu hatte sie nie gehört.

In der ursprünglichen Fassung verlieh der Tod des Opfers dem Zauber seine Macht. Die mitfühlende Magie des Todes schickte den Dämon dorthin zurück, wo er hingehörte, wenn die Seele des Opfers nach Hause reiste. Sham hatte vor, beides durch die Geistebbe zu ersetzen, die nun als Flut zu den Klippen heimkehrte.

Die Magie, die aus den Gezeiten entstand, wurde vom Meer geformt, und Menschen arbeiteten nur mit ungeformter Magie. Wie Kalkstein und Marmor wurden die zwei Arten von Magie aus demselben Material gebildet, allerdings mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen.

Elsic bündelte die grüne Magie des Meeres, und die Flöte verwandelte sie in ihre rohe Form. Sham musste die sich auftürmenden Kräfte bis zum letzten Augenblick halten, bevor sie den abschließenden Zauber wirkte.

Einen zweiten Versuch würde es nicht geben.

Schweiß rann ihr von der Stirn, und sie schwankte vor Anstrengung, als die Magie mit dem Fortschreiten der gewaltigen Wasserwand anschwoll, die begonnen hatte, den Sand zu verschlingen. Jemand packte sie kurz an den Schultern und stützte sie.

Immer noch mehrte sich die Magie. Die beiden ersten Zauber waren einfach, Sham hatte sie schon mindestens hundertmal gewirkt. Sie begann, sich der Magie zu bedienen.

Zuerst galt es, das Ziel festzulegen.

Der Dämon schrie auf, als sie den Zauber wirkte und ihn rings um die Kreatur wob.

Als Zweites musste der wahre Name genannt werden.

Dämon, Chen Laut, Todbringer, verschlagener Durchbrecher der von habgierigen Menschen geschaffenen Bindungsbanne. Rächer, Mörder, einsamer Verbannter. Sham verstand den Dämon und flocht dieses Wissen in den Zauber ein. Es genügte – sie wusste es. Sie konnte fühlen, wie der Dämon aus dem Namensbann auszubrechen versuchte. Vergeblich.

»Südwald-Lord«, rief der Dämon. »Binde mich an dich, und ich helfe dir, die Ostländler aus Fegfeuer zu vertreiben. Wenn du ihr gestattest, mich zu vernichten, werden sie nie verschwinden.«

Halvoks Körper versteifte sich wie der eines Hundes, der einen Fuchs wittert.

»Wenn Shamera beschließt, mich zu binden, statt zu zerstören, wird sie die Fremdlinge nicht vertreiben«, fuhr der Dämon überzeugend fort. Skys Stimme tönte klar und deutlich durch das anschwellende Tosen von Meer und Wind. »Sie ist in den Vogt verliebt. Sie ist zu jung, um sich wirklich daran zu erinnern, wie es einst war. Sie versteht nicht, wie es sich anfühlt, seine Lieben festzuhalten, während sie sterben. Aber du erinnerst dich daran, nicht wahr? Du erinnerst dich an deine Frau. Sie war nicht wunderschön, oder? Nur wenn sie lächelte. Sie war so bezaubernd gutherzig. Weißt du noch, wie sehr sie eure Kinder geliebt hat? Dann sind die Menschen aus dem Osten gekommen, während du woanders gekämpft hast. Du bist nach Hause zurückgekehrt und hast nur das vorgefunden, was die Soldaten übrig gelassen hatten. Sie hat gekämpft, um die Kinder zu beschützen, deine Frau, selbst nach dem, was sie ihr angetan hatten.«

»Halvok«, sagte Sham. Ihre Stimme zitterte von der Anstrengung, die es sie kostete, zu sprechen und gleichzeitig sowohl die Magie als auch den Dämon zu halten. Wenn Halvok die Rune zum falschen Zeitpunkt losließ, würde das eine Katastrophe zur Folge haben. »Halvok, diese Welt gibt es nicht mehr. Die Ostländler aus Südwald zu vertreiben wird die Zeit nicht zurückdrehen. Es kann dir weder deine Frau noch sonst jemanden zurückbringen, den du gekannt hast, bevor die Eindringlinge aus dem Osten gekommen sind.«

Sie hatte Kerim gesagt, was der Dämon wollte, war, nach Hause zurückzukehren. Sie wusste, wie sich die Kreatur fühlte. Denn als sie Vergeltung an den Männern geübt hatte, von denen Maur verkrüppelt worden war, war ihr insgeheim klar gewesen, dass es sich dabei nur um einen Ersatz handelte. Denn was sie wirklich wollte, war, zu dem zurückzukehren, was sie einst besaß: Heimat. »Nach Verlorenem zu trachten kann nur den Tod bringen, Halvok. Nicht nur namenlose Ostländler würden sterben – auch deine Freunde und Gefährten. Menschen, die du kennengelernt hast und an denen dir etwas liegt. Und wenn das Töten beginnt, wird nicht allein das Blut der Menschen aus dem Osten die Erde tränken. Hat es nicht schon genug Tod gegeben?«