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»Und nun«, fuhr >Sie<, den Ton und das Thema gänzlich wechselnd, fort, »sage mir, mein Kallikrates - denn bis jetzt weiß ich es noch nicht -, wie ihr dazu kamt, mich hier zu suchen. Du sagtest gestern abend, dieser Kallikrates - dessen Leichnam du sahst - sei dein Vorfahr gewesen? Erzähle mir davon - du bist nicht gerade gesprächig!«

So aufgefordert, erzählte ihr Leo die merkwürdige Geschichte des Kästchens und der Tonscherbe, deren von seiner Ahne, der Ägypterin Amenartas, verfaßte Inschrift uns zu ihr geführt hatte. Ayesha lauschte aufmerksam und wandte sich, als er geendet hatte, an mich.

»Sagte ich dir nicht neulich, als wir vom Guten und vom Bösen sprachen, o Holly - es war, als mein Geliebter so krank war -, daß der Säende nie weiß, wie die Ernte sein wird? Nun siehe: diese Ägypterin Amenartas, diese königliche Tochter des Nils, die mich haßte und die ich noch heute hasse, denn in gewisser Weise hat sie mich besiegt - siehe, wie sie selbst ihren Geliebten in meine Arme getrieben hat! Um ihretwillen tötete ich ihn, und nun ist er durch sie zu mir zurückgekehrt! Sie wollte mir Böses tun, und was sie säte, sollte mir zum Unkraut werden, und siehe, sie hat mir mehr gegeben, als alle Welt mir geben kann. Wahrlich, ein seltsames Viereck, das in deinen Kreis von Gut und Böse so gar nicht passen will, o Holly!

Ihrem Sohn«, fuhr sie nach einer Pause fort, »gebot sie, mich zu töten, weil ich seinen Vater erschlug. Du, mein Kallikrates, bist der Vater und zugleich auch der Sohn - möchtest du nun das vor so langer Zeit dir und deiner Mutter zugefügte Unrecht rächen, o Kal-likrates? Siehe«, und sie kniete nieder und zog das weiße Mieder noch tiefer von ihrem Elfenbeinbusen herab, »siehe, hier schlägt mein Herz, und dort an deiner Seite hängt ein Dolch, groß und lang und stark, wie geschaffen, ein irrendes Weib zu töten. Nimm ihn und räche dich! Stoße zu, fest und tief! -Dann wirst du zufrieden sein, Kallikrates, und glücklich durchs Leben wandeln, denn du hast das Unrecht getilgt und das Vermächtnis der Vergangenheit erfüllt.«

Er blickte sie an; dann streckte er seine Hand aus und zog sie hoch.

»Stehe auf, Ayesha«, sagte er traurig; »du weißt sehr wohl, daß ich dich nicht töten kann - nein, nicht einmal um jener willen, die du gestern tötetest. Ich bin in deiner Macht und ganz dein Sklave. Wie könnte ich dich töten? Eher würde ich Hand an mich selbst legen.«

»Es scheint fast, als ob du mich zu lieben anfängst, Kallikrates«, antwortete sie lächelnd. »Doch nun erzähle mir von deinem Land - ihr seid ein großes Volk, nicht wahr, mit einem Reich, das dem einstigen der Römer gleicht? Bestimmt willst du dorthin zurückkehren, und das ist recht, denn auch ich möchte nicht, daß du in diesen Höhlen von Kor bleibst. Nein, wenn du erst einmal bist wie ich, werden wir von hier fortgehen - sei unbesorgt, ich finde schon einen Weg; wir werden nach diesem deinen England reisen und dort ein uns gemäßes Leben führen. Zweitausend Jahre habe ich auf den Tag gewartet, da ich Abschied von diesen verhaßten Höhlen und diesem düsteren Volk nehmen werde, und nun ist er da, und mein Herz schlägt ihm voll Ungeduld entgegen wie das eines Kindes dem ersten Ferientag. Und du wirst über dieses England herrschen ... «

»Aber wir haben schon eine Königin«, warf Leo hastig ein.

»Man kann sie stürzen«, sagte Ayesha.

Wir stießen einen Entsetzensschrei aus und erklärten ihr, daß wir lieber uns selbst umbringen würden.

»Wie seltsam«, sagte Ayesha erstaunt, »... eine Königin, die von ihrem Volk geliebt wird! Wie muß die Welt sich verändert haben, seit ich in Kor wohne!«

Wir versuchten ihr klarzumachen, daß das Wesen der Herrscher sich verändert hatte und daß unsere Herrscherin von allen rechtschaffenen Menschen in ihrem weiten Reich verehrt und geliebt wurde. Wir erzählten ihr auch, daß die wahre Macht in unserem Lande in den Händen des Volkes lag und daß wir eigentlich durch die Stimmen der niedrigsten und ungebildetsten Volksklassen regiert wurden.

»Ei«, sagte sie, »eine Demokratie? Dann gibt es doch sicherlich einen Tyrannen, denn es war schon immer so, daß in Demokratien, da sie keinen klaren Willen haben, am Ende ein Tyrann aufsteht und vom Volk angebetet wird.«

»Ja«, sagte ich, »wir haben unsere Tyrannen.«

»Nun ja«, erwiderte sie resigniert, »diese Tyrannen können wir sicher vernichten, und dann wird Kal-likrates das Land regieren.«

Ich erklärte ihr sogleich, daß >Vernichten< in England kein Vergnügen sei, dem man ungestraft frönen konnte, und daß jeder derartige Versuch gegen das Gesetz verstieß und meistens auf dem Schafott endete.

»Das Gesetz«, lachte sie verächtlich, »... das Gesetz! Begreifst du nicht, o Holly, daß ich über dem Gesetz stehe und daß auch Kallikrates darüber stehen wird? Alle menschlichen Gesetze sind uns nicht mehr als der Nordwind einem Berg. Beugt der Wind den Berg oder der Berg den Wind?

Und nun verlaßt mich bitte, auch du, mein Kal-likrates, denn ich möchte mich zu unserer Reise rüsten, und ihr und euer Diener solltet es mir gleichtun. Nehmt aber nicht allzuviel mit, denn ich glaube nicht, daß wir länger als drei Tage fort sein werden. Dann kehren wir hierher zurück, und ich entwerfe einen Plan, nach dem wir für immer diesen Grüften von Kor Lebewohl sagen werden. Ja, gewiß darfst du meine Hand küssen, Geliebter!«

So zogen wir uns denn zurück - ich tief in Gedanken über das schreckliche Problem versunken, das unser harrte. Die furchtbare >Sie< war offenbar entschlossen, nach England zu reisen, und die Vorstellung, welche Folgen ihre dortige Ankunft haben würde, ließ mich erschaudern. Ich kannte ihre Macht, und es gab für mich keinen Zweifel, daß sie diese voll ausüben würde. Vielleicht würde man sie eine Weile zügeln müssen, doch ihr Stolz und Ehrgeiz würden bestimmt alle Fesseln sprengen und sich für die langen Jahrhunderte der Einsamkeit rächen. Sollte die Macht ihrer Schönheit für ihre Zwecke nicht ausreichen, so würde sie, um ihr Ziel zu erreichen, alle, die sich ihr in den Weg stellten, vernichten, und da sie nicht sterben und, soviel ich wußte, auch nicht getötet werden konnte, war sie nicht daran zu hindern.[19] Am Ende würde sie zweifellos die absolute Herrschaft über England und seine Besitzungen sowie wahrscheinlich über die ganze Erde an sich reißen und unser Land zum größten und reichsten Imperium der Welt machen, doch würde dies schreckliche Opfer an Menschenleben kosten.

Das Ganze erschien mir wie ein Traum, wie die monströse Ausgeburt eines spekulativen Gehirns, und war doch eine Tatsache - eine unfaßbare Tatsache, welche die Welt zur Kenntnis zu nehmen bald gezwungen sein würde. Was war der Sinn alles dessen? Nach vielem Nachdenken kam ich zu dem Schluß, daß dieses seltsame Wesen, das so viele Jahrhunderte lang, von seiner Leidenschaft gewissermaßen gefesselt, verhältnismäßig harmlos gewesen war, nun von der Vorsehung dazu ausersehen war, die Ordnung der Welt umzustoßen und möglicherweise durch Errichtung einer Macht, gegen die es ebensowenig wie gegen die Fügungen des Schicksals eine Auflehnung gab, die Verhältnisse zu verbessern.

23

Der Tempel der Wahrheit

Unsere Vorbereitungen nahmen nicht viel Zeit in Anspruch. Wir packten für jeden einen zweiten Anzug und ein Paar Reservestiefel in meinen Koffer und nahmen unsere Revolver und Expreßgewehre mit -eine Vorsichtsmaßnahme, der wir, wie sich später erweisen sollte, mehrmals unser Leben verdankten. Alle unsere anderen Sachen, darunter die schweren Gewehre, ließen wir zurück.

Einige Minuten vor der vereinbarten Zeit stellten wir uns in Ayeshas Boudoir ein und trafen sie, in ihren schwarzen Mantel gehüllt, gleichfalls reisefertig an.

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19

Leider konnte ich nie feststellen, ob >Sie< auch gegen Unfälle gefeit war. Vermutlich war sie es, denn sonst hätte doch sicherlich im Laufe so vieler Jahrhunderte irgendein Unglücksfall ihrem Leben ein Ende gesetzt. Sie forderte zwar Leo auf, sie zu töten, doch höchstwahrscheinlich tat sie dies nur, um sein Temperament und seine innerliche Einstellung ihr gegenüber auf die Probe zu stellen. Ayesha handelte niemals ohne Absicht aus einem augenblicklichen Impuls heraus. - L. H. H.