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Falk fuhr sich mit der Hand über das schweißnasse Gesicht, ließ sich mit einem leisen Seufzen auf sein Lager zurückfallen und schaute zum düsteren Firmament empor, doch der Anblick der schwarzen Leere über ihm stimmte ihn nur noch unruhiger, und so drehte er sich schließlich auf die Seite, starrte in die tanzenden Flammen des Lagerfeuers und wartete darauf, dass sein Herz aufhörte, wie verrückt gegen seine Rippen zu hämmern.

Wir kennen uns, Freund ... Wir kennen uns ..., hörte Falk schaudernd die unheimliche Stimme der Traumgestalt.

Es dauerte lange, bis er wieder einschlafen konnte.

Am Nachmittag des nächsten Tages – der vage Schemen der Sonne hinter den Wolken sank bereits wieder dem Horizont entgegen – erreichten sie die ersten Ausläufer des Ripergebirges, das seine Felsarme weit in die Sümpfe ausstreckte. Bereits aus der Entfernung wirkte das Gefälle des Höhenzugs, der als natürliche Grenze zwischen den Dunklen Gebieten und der Magier-Enklave diente, ehrfurchtgebietend. Doch als die Gefährten Stunden später, als die Schatten schon wieder länger wurden, endlich am Fuß des Gebirgsmassivs standen und Falk den Kopf so weit in den Nacken legen musste, dass er beinahe hintenüber fiel, um den Kamm auch nur zu erahnen, wurde aus Ehrfurcht nackter Unglauben. Bis hoch zum schneebedeckten Kamm des Berges mochten es gut und gern dreitausend Meter sein, und der einzige Weg, der nach oben führte, war ein schmaler Pfad aus losem Schotter, der sich in langen, steilen Schleifen den Hang hinaufwand, immer am Abgrund entlang.

„Bei allen Göttern“, raunte Falk entgeistert. „Da müssen wir rauf?“

Jael nickte. „Das ist der einzige Weg zur Enklave.“ Falk seufzte resigniert. „Das macht die Sache auch nicht besser...“

Wieder ließ er den Blick entgeistert an der steilen, schartigen Felswand emporschweifen, und allein die Vorstellung, dort hochzusteigen, ließ ihn bereits schwindeln. Wohl zum tausendsten Mal in den letzten Tagen fragte er sich, wie er sich nur auf diesen Irrsinn hatte einlassen können. Natürlich, er hätte umkehren und allein nach Moorbruch zurückreiten können, aber das wäre ihm wie ein Verrat vorgekommen. Und so behielt er seine Zweifel tapfer für sich, während sie im Schatten der Felswand ihr Nachtlager aufschlugen, um sich auszuruhen und Kraft für den Aufstieg zu schöpfen. Sie brachen auf, sobald sich am nächsten Morgen die ersten grauen Schatten des neuen Tages zeigten. Das erste Stück des Pfads war noch leicht zu bewältigen, doch nach einer halben Stunde wurde der Weg zunehmend steiler und steiniger; immer mehr Geröll erschwerte das Vorankommen auf dem ansteigenden Pfad, und je höher sie kamen, desto schmaler wurde er.

Anfangs konnten sie zu zweit nebeneinander hertraben, dann fand bloß noch eines der Pferde auf der Breite des Weges Platz, mit der Folge, dass man stets mit einem Fuß über dem Abgrund schwebte, der rechts von ihnen nahezu senkrecht in die Tiefe stürzte, während linkerhand nackter Fels aufragte. Es gab nur eine Richtung, in die man sich bewegen konnte: vorwärts, immer den Pfad entlang, der nach einer Weile so steil wurde, dass sie absteigen mussten, um den Pferden den Aufstieg zu erleichtern.

Ihre Tiere an den Zügeln führend, marschierten sie hintereinander her im Gänsemarsch die Flanke des Berges hinauf, Thor vorneweg, dann Zara, danach Falk und zuletzt Jael, die ihren Kapuzenmantel eng um sich geschlungen hatte und unter der eisigen Kälte, so schien es, nicht minder litt als Falk. Manchmal blies ihnen der Wind direkt ins Gesicht, dass die Haut ganz taub wurde, und jedes Mal, wenn Falk die Nase rümpfte oder seine Gesichtsmuskeln bewegte, spürte er einen gewissen Widerstand, als läge eine hauchdünne Eisschicht auf seinen Zügen.

Je höher sie gelangten, desto mehr stach ihnen die Kälte mit winzigen Messern selbst durch die dicksten Mäntel. Fast hatte Falk den Eindruck, als würde die Kälte ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen. Nur Zara schien sie nichts auszumachen. Die Kapuze im Nacken, den Kopf ungeschützt, dass ihr langes schwarzes Haar wild im Wind wehte, stapfte sie unermüdlich vorwärts. Und Thor trottete gemächlich neben ihr her, das dichte grauschwarze Fell voll von kleinen Eisklumpen.

Keiner von ihnen sprach viel; jeder hatte genug damit zu schaffen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, die Steigung zu erklimmen und nicht auf all dem losen Geröll auszurutschen oder umzuknicken, denn der gähnende Abgrund war stets nur einen Fehltritt entfernt; eine unbedarfte Bewegung genügte, und es ging tausend Meter in die Tiefe!

Langsam, Meter um Meter, schob sich die kleine Karawane den Berg hinauf, und als ob der Wettergott oder das Schicksal – oder wer auch immer – sie an ihre Grenzen fuhren wollte, begann es gegen Nachmittag zu schneien. Dicke weiße Flocken rieselten hernieder, erst wenige, dann immer mehr, bis der Schneefall wie ein dichter weißer Vorhang war, durch den sie sich mühsam vorarbeiteten.

Die Sicht wurde immer schlechter, sie konnten nur noch erahnen, was sich vor ihnen befand. Als dann auch noch der Wind schärfer wurde und über den Berg strich, um ihnen den Schnee in eisigen Böen entgegenzublasen, dachte Falk, schlimmer könne es nicht mehr werden. Doch es dauerte nicht lange, bis er zu seinem Leidwesen erkennen musste, dass er sich in dieser Hinsicht irrte.

Es wurde noch schlimmer – viel schlimmer ...

Die erste Nacht verbrachten sie relativ geschützt vor den Elementen in einer kleinen, vielleicht drei Meter in den Berg fuhrenden Felsnische, deren ebenmäßige Wände darauf hindeuteten, dass sie von Menschenhand in den Fels getrieben worden war, wahrscheinlich um Wanderern auf dem Weg zur anderen Seite des Gebirges Schutz und sichere Rast zu gewähren. Falk freute sich darauf, sich die Hände am Feuer zu wärmen, doch auf dem kahlen Bergpfad wuchs nichts, das man als Brennmaterial hätte verwenden können, und da auch keiner von ihnen daran gedacht hatte, in den Sümpfen einen Vorrat an Feuerholz zu sammeln und diesen mitzunehmen, verbrachten sie diese Nacht im kalter Dunkelheit, da alles, was sie an potentiellem Brennmaterial bei sich hatten, das Heu für ihre Pferde war.

Das brachte Zara auf eine Idee: Am nächsten Tag fingen sie an, die heuhaltigen Pferdeäpfel ihrer Gäule einzusammeln, um sie allabendlich als Brennmaterial zu benutzen. Wider Erwarten stank der brennende Dung nicht halb so schlimm, wie Falk befürchtet hatte.

Doch dann verkündete Jael mit unbewegter Miene, dass ihr Proviant aufgebraucht war. Nur ein letzter faustgroßer Brocken Schinken war noch übrig, den Jael mit ihrem Messer – nach einem Blick auf Thor, der neben Zara auf dem Boden lag und jede ihrer Bewegungen mit wachen Augen verfolgte – in vier gleich große Stücke aufteilte; niemand protestierte.

Während Falk im flackernden Schein des Feuers bis zum Kinn in seine Decken gehüllt dasaß und lustlos auf seinem Schinken herumkaute, schlang der Wolf seinen Anteil mit einem einzigen Haps hinunter, leckte sich einmal übers Maul und sah die anderen mit seinen golden schimmernden Tigeraugen neugierig an, fast so, als wollte er fragen, ob das schon alles gewesen sein sollte. Doch es war alles, und es sah beim besten Willen nicht danach aus, als würde er so rasch wieder die Gelegenheit haben, sich den Wanst voll zu schlagen.

Auch wenn sie es nicht laut aussprachen, waren Zara und Falk doch längst zu dem Schluss gelangt, dass bei Jaels Prognose, den Berg in drei Tagen hinter sich zu bringen, wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens war. Einen kleinen Trost gab es immerhin: Hin und wieder quoll Bergwasser, eiskalt und kristallklar, aus zerklüfteten Spalten im Fels, sodass sie regelmäßig ihre Wasserflaschen auffüllen und die Pferde tränken konnten. Das war vielleicht nicht viel, aber immer noch besser als nichts.

Der dritte Tag kam und ging wie der zweite und der erste, abgesehen davon, dass Falks Magen vor Hunger so laut knurrte, dass Thor misstrauisch die Ohren spitzte. Sobald es hell genug war, dass sie den Weg vor sich erahnen konnten, brachen sie ihr Lager ab und setzten ihre strapaziöse Reise den Berg hinauf fort, immer einer hinter dem anderen gehend, schweigend, nachdenklich, ganz auf den Rücken des Vormanns und auf den Schotterpfad vor den eigenen Füßen konzentriert. Hin und wieder schneite es, und an manchen Stellen lag der Schnee so hoch, dass sie bis zu den Knien einsanken. Doch normalerweise blies der Wind den Schnee sofort von dannen, sobald er sich setzen wollte, sodass meist nur eine dünne weiße Pulverschicht den Schotter des Pfads bedeckte, und schließlich fing Falk an, den Alten Göttern sogar für diese kleine Gefälligkeit zu danken.