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Falk fragte nicht weiter. Er sah, dass Zara in ihrer Erinnerung gefangen war. Eine Erinnerung an eine düstere Zeit voller Blut und Grauen. Sie wollte bestimmt nicht darüber sprechen.

Er griff in seine Rocktasche, holte einen Streifen Pökelfleisch hervor, den er in sein Taschentuch eingewickelt hatte, und schob ihn sich in den Mund, um nachdenklich darauf herumzukauen.

An diesem Abend ritten sie noch, als die Dunkelheit längst die Herrschaft über die Welt an sich gerissen hatte.

Erst als sie lange nach Einbruch der Nacht auf einen großen überhängenden Felsen stießen, schlug Jael vor, sie sollten hier ihr Nachtlager aufschlagen. Falk war dankbar dafür, denn seit Sonnenaufgang saß er im Sattel, lediglich unterbrochen von zwei kurzen Rasten, um den Pferden Wasser zu geben. Sein Allerwertester schmerzte, und seine müden Knochen sehnten sich nach ein wenig Ruhe. Alles, was Falk wollte, war, sich hinzulegen, sich der Länge nach auszustrecken und ein paar Stunden zu schlafen, bevor es morgen weiterging.

Sie schlugen ihr Lager im Schutz des Felsüberhangs auf, der sich wie ein schartiges Dach über ihnen wölbte, und versorgten als Erstes die Pferde, ehe sie sich daran machten, ein Lagerfeuer zu entzünden. Während Jael eine flache Senke für das Feuer aushob und einen Ring aus Steinen darum legte, um die Glut zu schützen, streiften Zara und Falk in Sichtweite zueinander durch das umliegende Dickicht und sammelten Feuerholz. Die meisten Äste, die sie fanden, waren feucht von Eis und Schnee, sodass das Feuer anfangs nicht richtig brennen wollte und nur beißender Qualm aufstieg, doch nach einer Weile prasselten die Flammen, und die Reisenden breiteten im warmen Schein des Feuers ihre Decken um das Lagerfeuer aus.

Selbst durch zwei Lagen Decken spürte Falk das hart gefrorene Erdreich, als läge er auf nacktem Boden, doch nach vierzehn Stunden im Sattel kam ihm selbst dieses harte Lager wie das Paradies vor.

Er hockte sich hin und wiegte den Kopf, dass seine Wirbel knackten. Er verzog gequält das Gesicht und griff sich in den Nacken, um ihn mit der Hand zu massieren. „Verdammte Reiterei“, brummte er missmutig. Er bereute beinahe seine Entscheidung, die Seraphim und die Vampirin nach Sternental zu begleiten, „Wenn die Götter gewollt hätten, dass wir uns reitend fortbewegen, hätten sie uns Hufe gegeben.“ Er streckte die Hände aus und hielt sie übers Feuer, um seine durchgefrorenen Finger zu wärmen.

Jael grinste. „Die Wege der Götter sind unergründlich“, sagte sie amüsiert und fing den Proviantbeutel auf, den Zara ihr von den Pferden aus zuwarf. Sie schnürte den Beutel mit flinken Fingern auf, holte Brot und Pökelfleisch daraus hervor. Falk entkorkte derweil den Weinschlauch mit den Zähnen, um gierig einen kräftigen Schluck zu nehmen; der Wein war viel zu kalt, als dass man ihn hätte genießen können, aber Falk grinste selig, als hätte er noch nie in seinem Leben einen besseren Tropfen getrunken. Er genehmigte sich einen weiteren Schluck, ehe er den Schlauch an Zara weitergab und den Beutel nach etwas Essbarem durchforstete. Seine Augen leuchteten auf. „Ah, Schinken! Lecker!“

Zara setzte sich im Schneidersitz auf ihre Decken, trank einen Schluck Wein, verzog angewidert das Gesicht und reichte den Wein an Jael weiter, die ohne große Begeisterung auf ihrem Brot herumkaute.

„Ich habe Thor schon seit einer ganzen Weile nicht gesehen“, sagte Zara irgendwann, nachdem sie eine Zeitlang schweigend getrunken und gegessen hatten.

„Vielleicht war er es leid, hinter uns herzulaufen, und er hat sich wieder auf den Heimweg gemacht“, mutmaßte Falk. „Oder er hat die Fährte einer feschen Wolfsdame gewittert und lässt es gerade ordentlich krachen.“ Er biss ein Stück Schinken ab und kaute laut. „Ich will ehrlich zu dir sein, Zara: Ich bin froh, dass das Vieh endlich weg ist. Irgendwie stört mich der Gedanke noch immer, tief und fest zu schlafen, während dieses Raubtier um mich rumschleicht.“

„Ich sagte schon, dass uns von Thor keine Gefahr droht“, erwiderte Zara.

„Schön und gut“, erwiderte Falk. „Aber weiß er das auch?“

Zara entgegnete nichts darauf. Stattdessen griff sie nach einem kleinen Zweig, der neben dem Feuer lag, hielt ihn in die Flammen und sah zu, wie diese über das Holz leckten. Ihre Miene war ausdruckslos; offenbar hatte sie keine Lust, weiter über dieses Thema zu reden. Vielleicht machte sie sich sogar ernstlich Sorgen um den Wolf. Wer konnte das bei Zara schon so genau sagen?

Falk biss ein weiteres Stück von dem Schinken ab, kaute darauf herum und ließ den Blick nachdenklich in die Ferne schweifen. Wie weit mochten sie wohl bereits von Moorbruch entfernt sein? Er konnte es nicht sagen, doch egal, wie viele Meilen es waren, die zwischen ihm und Ela lagen, es waren entschieden zu viele.

Der Gedanke an Ela ließ Falks Herz vor Sehnsucht schwer werden. Er legte den Rest Schinken beiseite, wischte sich die Hände an seinem Rock ab und hielt sich das rote Halstuch unter die Nase, das sie ihm beim Abschied umgebunden hatte. Der Geruch nach Zedern und Rosenseife, der von dem Stoff ausging, ließ ihn verliebt aufseufzen. „O Ela“, murmelte er verträumt, „ich wünschte, ich könnte bei dir sein und mich an dir wärmen, statt mir hier draußen den Arsch abzufrieren ...“ Er sog den Duft tief ein und lächelte so herzerwärmend dämlich, wie es nur jene vermögen, denen Amors Pfeil im Herzen steckt. „Ich glaube, ich habe mich verliebt...“

Zara schnaubte verächtlich. „Liebe...!“ Sie spie das Wort regelrecht aus, während sie mit ihrem Stock in der Glut herumstocherte. „Was ist an der Liebe schon so großartig?“, murmelte sie, mehr zu sich als zu den anderen, und starrte gedankenverloren in die Flammen. „Anfangs ist vielleicht alles schön und süß wie Zucker, und man kann nicht genug davon bekommen, doch irgendwann muss man dafür bezahlen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem aus Liebe Leiden wird, und es tut so weh, dass es einen beinahe um den Verstand bringt. Und dann ist es irgendwann vorbei, und man fragt sich, warum man bereit war, derart zu leiden für eine Sache, die es überhaupt nicht wert ist ...“ Zara hob ruckartig den Kopf und verstummte plötzlich, den Blick in weite Ferne gerichtet, in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Als ihr gewahr wurde, dass Falk sie fassungslos anstarrte, vertrieb sie die Schatten der Vergangenheit mit einem verlegenen Blinzeln, warf den Stock in die Flammen und erhob sich mit den Worten: „Wir brauchen noch Feuerholz.“ Damit ließ sie ihre Begleiter am Lager zurück, verließ den Schutz des Felsüberhangs und verschwand im Unterholz.

Falk sah ihr nach, wie sie zwischen den Büschen außer Sicht verschwand, und runzelte die Stirn. „Sieht so aus, als wäre dieses Thema unserer Lady Langzahn ein wenig unangenehm“, meinte er.

„Das wäre es dir wahrscheinlich auch“, sagte Jael, „hättest du den einzigen Menschen verloren, den du je von ganzem Herzen geliebt hast, und das auch noch durch dein eigenes Verschulden.“

Falk schaute die Seraphim fragend an. „Wer war er?“

Jael wiegte den Kopf. „Sein Name war Victor“, erzählte sie schließlich. „Er war ihre große Liebe, die Liebe ihres Lebens. Sie kamen aus demselben Ort – Schönblick, weit im Südwesten des Königreichs – und kannten sich, seit sie Kinder waren. Er war der Sohn eines Waffenschmieds; im Grunde keine akzeptable Partie für ein Fräulein aus gutem Hause, wie Zara eins war. Aber irgendwann, als sie alt genug waren, entdeckten die beiden ihre Gefühle füreinander. Anfangs hielten sie ihre Liebe geheim, weil sie fürchteten, dass Zaras Eltern nicht mit einer solchen Verbindung einverstanden wären, doch es waren gute Menschen, und das Glück ihrer einzigen Tochter war ihnen wichtiger als alle gesellschaftlichen Konventionen. Sie stimmten ihrer Verlobung zu und legten zusammen mit dem jungen Paar den Termin der Hochzeit fest. Die Trauung sollte im Garten von Zaras Elternhaus stattfinden, im Frühsommer, in einem Meer aus weißen Kirschblüten.“