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In diesem April kamen Leute nach Wall, die den Jahrmarkt besuchen wollten, aber Dunstan mochte sie nicht. Mr. Bromios’ Gasthaus, genannt Zur siebenten Elster, normalerweise ein Labyrinth leerer Räume, war schon seit einer Woche ausgebucht, und jetzt suchten die Fremdlinge Unterkunft in Bauernhöfen und Privathäusern, bezahlten mit ausländischen Münzen, mit Kräutern und Gewürzen und sogar mit Edelsteinen.

Je näher der Markttag rückte, desto höher stieg die Spannung. Die Menschen wurden früher wach, zählten die Tage, die Minuten. Die Wachen am Mauerdurchgang waren rastlos. Gestalten und Schatten regten sich in den Bäumen am Rand der Wiese.

Im Wirtshaus Zur siebenten Elster kam es wegen Bridget Comfrey, die allgemein als das schönste Küchenmädchen seit Menschengedenken galt, zu Reibereien zwischen Tommy Forester, mit dem man sie das letzte Jahr über hatte ausgehen sehen, und einem großen Mann mit dunklen Augen und einem kleinen schnatternden Äffchen. Der Mann sprach nur gebrochen englisch, aber er lächelte jedesmal sehr vielsagend, wenn Bridget vorbeikam.

In der Schankstube drängten sich die Einheimischen neben den fremdländischen Besuchern.

»Es ist ja nur alle neun Jahre«, redeten sie sich gut zu. »Man sagt, in der alten Zeit sei jedes Jahr Markt gewesen, immer an Mittsommer.«

»Fragt doch Mr. Bromios, der wird es wissen.«

Mr. Bromios war groß, hatte olivfarbene Haut, eng am Kopf anliegende schwarze Locken und grüne Augen. Wenn die Dorfmädchen zu Frauen heranwuchsen, erweckte er ihr Interesse, aber er erwiderte ihre Aufmerksamkeit nicht. Man erzählte sich, er sei vor sehr langer Zeit ins Dorf gekommen; zuerst befand er sich nur auf der Durchreise, aber dann war er im Dorf geblieben. Nun, sein Wein war gut, da waren alle einer Meinung.

Im Gastsraum der Schenke brach ein lauter Streit zwischen Tommy Forester und dem dunkeläugigen Mann aus, der anscheinend Alum Bey hieß.

»Man muß sie zur Vernunft bringen! Um Himmels willen! Schluß damit!« rief Bridget. »Sie gehen nach draußen und wollen sich meinetwegen prügeln.« Als sie den Kopf zurückwarf, schimmerten ihre vollkommenen blonden Locken im Schein der Öllampe wunderhübsch.

Aber niemand gebot den Männern Einhalt; im Gegenteil, einige Dorfbewohner und Neuankömmlinge begaben sich vielmehr vors Haus, um zu gaffen.

Tommy Forester zog das Hemd aus und hob die Fäuste. Der Fremdling lachte, spuckte ins Gras, packte blitzschnell die rechte Hand seines Gegners und schleuderte ihn zu Boden, wo Tommy hart mit dem Kinn aufschlug. Mühsam rappelte er sich wieder auf und wollte sich auf den Fremden stürzen. Doch kaum hatte er die Wange des Mannes auch nur mit der Faust gestreift, da lag er auch schon wieder mit dem Gesicht nach unten im Dreck und schnappte nach Luft. Alum Bey aber saß auf ihm und sagte lachend etwas auf arabisch.

So rasch und einfach war der Kampf vorüber.

Dann gab Alum Bey Tommy frei, stolzierte zu Bridget hinüber, verbeugte sich tief und grinste sie an, daß seine weißen Zähne nur so blitzten.

Aber Bridget schenkte ihm keine Beachtung, sondern rannte zu Tommy. »Oh, was hat er dir nur angetan, mein Süßer?« rief sie empört, während sie ihm mit der Schürze den Schlamm vom Gesicht tupfte und ihn mit allerlei Kosenamen bedachte.

Unterdessen kehrte Alum Bey mit den Schaulustigen in den Gastraum zurück und kaufte eine Flasche von Mr. Bromios’ Chablis, die er Tommy freundlich überreichte, als dieser kurze Zeit später ebenfalls wieder hereinkam. Keiner wußte so recht, wer nun eigentlich verloren und wer gewonnen hatte.

Dunstan Thorn verbrachte diesen Abend nicht im Wirtshaus Zur siebenten Elster, er war ein praktisch denkender junger Mann und hatte die letzten sechs Monate Daisy Hempstock, einer ebenso praktisch veranlagten jungen Frau, den Hof gemacht. Bei schönem Wetter unternahmen sie abends gern einen Spaziergang ums Dorf, sprachen über die Theorie des Fruchtwechsels, über das Wetter und andere unverfängliche Themen.

Auf diesen Spaziergängen, bei denen ihnen unweigerlich Daisys Mutter und ihre kleine Schwester in einem Abstand von sechs Schritten folgten, blickten sie sich von Zeit zu Zeit liebevoll in die Augen.

Am Ende blieb Dunstan an der Tür der Hempstocks stehen, verbeugte und verabschiedete sich.

Daisy Hempstock trat ins Haus, legte ihr Häubchen ab und sagte: »Ich wünsche mir so sehr, Mister Thorn würde sich endlich dazu durchdringen, mir einen Antrag zu machen. Papa hätte bestimmt nichts dagegen.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung«, meinte Daisys Mama an diesem Abend genau wie an jedem anderen, während sie sich ihres eigenen Häubchens und ihrer Handschuhe entledigte und ihre Töchter in den Salon führte, wo ein sehr hochgewachsener Gentleman mit einem sehr langen schwarzen Bart saß und seinen Reisesack durchwühlte. Daisy, ihre Mutter und ihre Schwester knicksten vor dem Gentleman, der sehr wenig Englisch sprach und erst vor wenigen Tagen eingetroffen war. Der Gast seinerseits stand auf, verneigte sich und wandte sich dann wieder seinem Bündel mit allerlei hölzernen Gegenständen zu, die er sortierte, arrangierte und polierte.

* * *

Der April war kühl und wechselhaft, wie es für das englische Frühjahr leider oft typisch ist.

Die Besucher kamen von Süden auf der engen Straße durch den Wald; sie belegten die Gästezimmer und kampierten in Kuhställen und Scheunen. Einige schlugen farbige Zelte auf, manche trafen in eigenen Wohnwagen ein, gezogen von mächtigen grauen Pferden oder kleinen struppigen Ponys.

Der Waldboden war mit einem Teppich aus Anemonen bedeckt.

Am Morgen des 29. April hatte Dunstan Thorn Wachdienst am Mauerdurchgang, zusammen mit Tommy Forester. Sie standen zu beiden Seiten der Öffnung und warteten.

Dunstan hatte schon oft Wache geschoben, aber bisher hatte die Aufgabe nur darin bestanden, dazustehen und gelegentlich Kinder zu verscheuchen.

Doch heute fühlte er sich äußerst wichtig mit seinem hölzernen Knüppel. Wenn einer der Fremdlinge aus dem Dorf zum Mauerdurchgang kam, erklärte ihm entweder Dunstan oder Tommy: »Morgen, morgen. Heute kommt hier noch niemand durch, ihr guten Herren.«

Dann zogen sich die Fremden ein Stück zurück und starrten durch die Lücke auf die eigentlich ganz unauffällige Wiese hinaus, auf die gar nicht außergewöhnlichen Bäume und den ziemlich langweiligen Wald dahinter. Einige versuchten die beiden Wächter in ein Gespräch zu verwickeln, aber die jungen Männer gingen – sich ihrer Aufgabe stolz bewußt – nicht darauf ein, sondern begnügten sich damit, den Kopf gerade zu halten, die Lippen zusammenzupressen und ganz allgemein einen bedeutenden Eindruck zu machen.

Um die Mittagszeit brachte Daisy Hempstock ihnen ein Eintopf-Gericht vorbei, und hinter ihr erschien Bridget Comfrey mit zwei Krügen gewürztem Bier.

Als die Dämmerung hereinbrach, wurden sie von zwei anderen kräftigen jungen Männern aus dem Dorf abgelöst, die jeder eine Laterne trugen, und so wanderten Tommy und Dunstan hinunter zum Gasthaus, wo Mr. Bromios jedem einen Humpen seines besten Biers kredenzte – und das war wirklich gutes Bier! –, sozusagen als Belohnung für den Wachdienst. Das Wirtshaus, in dem sich mehr Menschen drängten, als man für möglich gehalten hätte, summte förmlich vor Aufregung. Es wimmelte von Gästen aus aller Herren Länder, oder jedenfalls schien es Dunstan so. Jenseits des Waldes, der Wall umgab, war er noch nie gewesen, daher hatte er kein Gefühl für die unterschiedlichen Entfernungen. So betrachtete er den großen Gentleman aus London, der am Nebentisch saß und einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf trug, mit dem gleichen ehrfürchtigen Staunen wie den noch größeren ebenholzfarbenen Gentleman im weißen Gewand, der mit ihm zu Abend aß.

Dunstan wußte, daß es unhöflich war zu glotzen und daß er sich als Einwohner von Wall diesen Fremdlingen durchaus überlegen fühlen durfte. Aber es stiegen ihm so ungewohnte Düfte in die Nase, und er hörte Männer und Frauen in so vielen verschiedenen Sprachen miteinander reden, daß er nicht anders konnte, als begierig alles in sich aufzunehmen.