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Der Mann mit dem schwarzen Seidenzylinder hatte bemerkt, daß Dunstan ihn beobachtete, und winkte den Jungen zu sich heran. »Mögt Ihr Karamelpudding?« erkundigte er sich unvermittelt, sozusagen als Einleitung. »Mutanabbi mußte gehen, und soviel Pudding kann ein Mensch unmöglich allein bewältigen.«

Dunstan nickte. Der Karamelpudding dampfte einladend auf dem Teller.

»Na, dann bedient Euch«, forderte sein neuer Freund Dunstan auf und reichte ihm eine saubere Porzellanschale sowie einen Löffel. Das ließ sich Dunstan nicht zweimal sagen und machte sich über den Pudding her.

»Nun, junger Mann«, meinte der große Gentleman mit dem schwarzen Seidenzylinder zu Dunstan, als sowohl die Puddingschüsseln als auch der Teller geleert waren, »wie es aussieht, gibt es im Gasthaus kein Zimmer mehr, und auch im Dorf ist alles besetzt.«

»Ach wirklich?« fragte Dunstan, allerdings wenig überrascht.

»Ja, wirklich«, entgegnete der Mann mit dem Zylinder. »Und nun habe ich mich gefragt, ob Ihr vielleicht eine Idee hättet, wo es eventuell noch ein Zimmer geben könnte.«

Dunstan zuckte die Achseln. »Mittlerweile sind bestimmt alle Zimmer weg«, sagte er. »Ich weiß noch, als ich neun war, haben meine Eltern mich eine ganze Woche lang zum Schlafen in den Kuhstall geschickt, weil sie mein Zimmer an eine orientalische Lady mit Familie und Dienerschaft vermietet hatten. Als Dankeschön hat sie mir einen Drachen geschenkt, den ich auf der Wiese hab’ steigen lassen, bis eines Tages die Schnur gerissen und der Drachen in den Himmel geflogen ist.«

»Wo wohnt Ihr denn jetzt?« fragte der Gentleman mit dem Zylinder.

»Ich habe eine Hütte auf dem Land meines Vaters«, antwortete Dunstan. »Es war unsere Schäferhütte, bis der Schäfer gestorben ist, vor zwei Jahren um die Zeit des Erntefests. Da haben meine Eltern die Hütte mir überlassen.«

»Bringt mich dorthin«, sagte der Gentleman mit dem Hut, und Dunstan kam nicht mal auf den Gedanken, es ihm abzuschlagen.

Der Frühlingsmond schien hell vom Himmel, die Nacht war klar. Sie wanderten zum Wald unterhalb des Dorfes, an der Familienfarm der Thorns vorüber – wo eine Kuh, die auf der Wiese lag und im Schlaf schnaubte, den Gentleman mit dem Zylinder fürchterlich erschreckte –, und immer weiter, bis sie schließlich Dunstans Hütte erreichten.

Die Hütte bestand aus nur einem Raum mit einem offenen Kamin. Der Fremde nickte. »Das gefällt mir durchaus«, meinte er. »Kommt, Dunstan Thorn, ich miete Eure Hütte für die nächsten drei Tage.«

»Was gebt Ihr mir dafür?«

»Einen goldenen Sovereign, einen silbernen Sixpence, einen Kupferpenny und einen frischen, glänzenden Farthing«, antwortete der Mann.

Nun war ein Goldsovereign für zwei Nächte ein mehr als angemessener Preis in jener Zeit, in der ein Farmarbeiter in einem guten Jahr hoffen konnte, um die fünfzehn Pfund zu verdienen. Dennoch zögerte Dunstan. »Wenn Ihr gekommen seid, um zum Markt zu gehen, dann handelt Ihr mit Wundern und Zauberei«, sagte er dem großen Mann.

Dieser nickte. »Ihr seid also auf Wunder und Zauberei aus, ja?« Noch einmal schaute er sich in Dunstans Hütte um. In diesem Augenblick begann es zu regnen, und sie hörten ein leises Rieseln auf dem Strohdach über ihnen.

»Nun gut«, sagte der große Gentleman, ein klein wenig unwirsch, »ein Wunder soll es also sein, ein wenig Zauberei. Morgen wird sich Euer Wunschtraum erfüllen. So, hier ist Euer Geld«, fügte er hinzu und zog die Münzen mit einer lässigen Bewegung aus Dunstans Ohr. Dunstan berührte damit den Eisennagel an der Tür, um zu überprüfen, ob es sich nicht um Feengold handelte, dann verbeugte er sich tief vor dem Gentleman und marschierte hinaus in den Regen. Die Münzen band er in sein Taschentuch.

Durch den strömenden Regen wanderte er zum Kuhstall, kletterte auf den Heuboden und war bald tief und fest eingeschlafen.

Mitten in der Nacht merkte er, wie es donnerte und blitzte, doch er wachte nicht ganz auf. Erst im frühen Morgengrauen schreckte er hoch, weil jemand über seine Füße stolperte.

»Tut mir leid«, sagte eine Stimme. »Besser gesagt, entschuldigt bitte.«

»Wer ist da?« fragte Dunstan.

»Bloß ich«, antwortete die Stimme. »Ich bin zum Markt hier. Eigentlich hab’ ich in einem hohlen Baum geschlafen, aber der Blitz hat ihn umgeschmissen, hat ihn zermatscht wie ein Ei, jawoll, zerbrochen wie ein Zweiglein, und der Regen lief mir in den Kragen und hätte fast meinen Tornister durchnäßt, und da sind Sachen drin, die müssen trocken bleiben wie Staub, und ich hab’ sie gehütet wie meinen Augapfel auf dem Weg hierher, obwohl es da so feucht war wie im…«

»Im Wasser?« schlug Dunstan vor.

»Ganz recht«, fuhr die Stimme in der Dunkelheit fort. »Da hab’ ich mich gefragt«, fuhr sie fort, »ob es Euch wohl was ausmacht, wenn ich mich hier unter Eurem Dach einniste, denn ich bin ja nicht so groß, und ich würd’ Euch nicht stören und niemandem und nichts zur Last fallen.«

»Dann tritt aber bitte auch nicht auf mich drauf«, seufzte Dunstan.

In diesem Moment erhellte ein Blitz den Kuhstall, und da sah Dunstan eine kleine haarige Gestalt mit einem großen Schlapphut in der Ecke sitzen. Dann herrschte wieder Dunkelheit.

»Ich hoffe, ich störe Euch nicht«, sagte die Stimme, die genauso haarig klang, wie das Männchen aussah.

»Aber nein«, antwortete Dunstan, der hundemüde war.

»Das ist fein«, sagte die kleine Gestalt, »denn ich möchte Euch wirklich nicht stören.«

»Bitte«, flehte Dunstan, »laßt mich jetzt schlafen. Bitte.«

Daraufhin war noch ein Schnüffeln zu hören, das jedoch rasch in ein leises Schnarchen überging.

Dunstan drehte sich im Heu auf die andere Seite. Das Wesen, wer oder was immer es sein mochte, furzte, kratzte sich ausgiebig und schnarchte weiter.

Dunstan lauschte dem Regen auf dem Stalldach und dachte an Daisy Hempstock; in seiner Phantasie gingen sie zusammen spazieren, und sechs Schritte hinter ihnen schritt ein großer Mann mit einem Zylinder sowie eine kleine, pelzige Kreatur, deren Gesicht Dunstan nicht erkennen konnte. Sie waren unterwegs, zu Dunstans Wunschtraum…

* * *

Helles Sonnenlicht schien ihm ins Gesicht, und der Kuhstall war leer. Dunstan wusch sich das Gesicht und ging hinüber zum Farmhaus.

Dort zog er seine beste Jacke an, sein allerbestes Hemd und seine allerbeste Kniehose. Mit dem Taschenmesser kratzte er den Schmutz von seinen Stiefeln. Dann ging er in die Küche, küßte seine Mutter auf die Wange und nahm sich einen Bauern-Laib sowie ein Stück frisch geschlagene Butter.

Sein Geld ins feine Sonntagstaschentuch aus Kambrik gebunden, wanderte er hinauf ins Dorf Wall und wünschte den Wachen am Tor einen guten Morgen.

Durch die Öffnung in der Mauer konnte er sehen, wie bunte Zelte errichtet, Buden aufgestellt und Flaggen gehißt wurden; Menschen eilten emsig hin und her.

»Vor Mittag lassen wir niemanden durch«, verkündete die Wache.

Dunstan zuckte die Achseln und ging zum Wirtshaus, wo er sich überlegte, was er von seinen Ersparnissen (einer blitzenden Half-Crown und einem glückbringenden Sixpence, den er durchbohrt hatte und an einem Lederband um den Hals trug) sowie den zusätzlichen Münzen in seinem Taschentuch kaufen könnte. Im Augenblick hatte er vollkommen vergessen, daß ihm gestern abend noch mehr versprochen worden war. Schlag zwölf Uhr mittags marschierte er zur Mauer und schritt nervös, als bräche er das größte Tabu, durch die Öffnung. Neben sich bemerkte er den Gentleman mit dem Zylinder.

»Aha, mein Vermieter«, begrüßte der Mann ihn. »Und wie geht es Euch heute, Sir?«