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Die Sonne ging unter, und ein riesiger Frühlingsmond erschien hoch am Himmel. Eine kühle Brise kam auf. Nun zogen sich die Händler in ihre Zelte zurück, und die Marktbesucher fanden sich von allen Seiten umwispert und zu allerlei käuflichen Wundern verlockt.

Als der Mond sich dem Horizont entgegenneigte, erhob sich Dunstan Thorn und durchquerte leise die gepflasterten Straßen des Dorfes Wall. Unterwegs kam er an vielen Feiernden vorüber – Gästen wie Einheimischen –, doch nur wenige nahmen von ihm Notiz.

Er schlüpfte durch die Mauer – sie war sehr dick –, und wie sein Vater vor ihm überlegte er plötzlich, was passieren würde, wenn er oben auf ihr entlangliefe.

Durch die Öffnung kam er hinaus auf die Wiese, und in dieser Nacht spielte Dunstan zum ersten Mal mit dem Gedanken, nicht nur die Wiese, sondern auch den Bach zu überqueren und im Wald dahinter zu verschwinden. Die Vorstellung war ungewohnt, vergleichbar mit dem Gefühl, unerwartete Gäste bewirten zu müssen. Als er sich jedoch seinem Ziel näherte, schob er den Gedanken beiseite, als entschuldigte er sich bei den Gästen mit einer gemurmelten Erklärung, bereits anderweitige Verpflichtungen eingegangen zu sein.

Der Mond ging unter.

Dunstan hob die Hände an den Mund und rief wie ein Käuzchen. Niemand antwortete. Der Himmel über ihm war tiefdunkel – blau vielleicht oder violett, aber nicht schwarz – gesprenkelt mit zahllosen Sternen.

Noch einmal ahmte er den Schrei nach.

»Das klingt überhaupt nicht wie ein Käuzchen«, sagte sie ernst, dicht an seinem Ohr. »Vielleicht wie eine Schnee-Eule oder sogar eine Schleiereule. Wenn ich mir die Ohren zustopfe, könnte ich es möglicherweise für einen Uhu halten. Aber niemals für ein Käuzchen.«

Dunstan zuckte die Achseln und grinste ein wenig dumm. Die Feenfrau saß neben ihm, und aufs neue war er wie berauscht: Er atmete sie ein, spürte sie durch die Poren seiner Haut. Sie beugte sich zu ihm.

»Glaubst du, daß du unter einem Zauberbann stehst, hübscher Dunstan?«

»Ich weiß nicht.«

Sie lachte, und es klang wie ein klarer Bach, der über Stock und Stein hüpft.

»Du stehst unter keinem Zauberbann, hübscher Junge.« Sie legte sich ins Gras zurück und starrte zum Himmel hinauf. »Deine Sterne – wie sind deine Sterne?« fragte sie. Dunstan legte sich neben sie ins kühle Gras und blickte ebenfalls zum Himmel empor. Es ließ sich nicht leugnen, die Sterne sahen anders aus als sonst: Vielleicht hatten sie mehr Farbe, denn sie funkelten wie kleine Edelsteine; vielleicht lag es aber auch an ihrer Zahl, den Konstellationen. Auf alle Fälle waren sie seltsam und wundervoll zugleich. Andererseits…

»Was wünschst du dir vom Leben?« fragte das Feenmädchen.

»Ich weiß nicht«, gestand er. »Ich wünsche mir dich, glaube ich.«

»Ich wünsche mir meine Freiheit«, sagte sie schlicht.

Dunstan faßte nach der Silberkette, die von ihrem Handgelenk zum Knöchel lief und von dort im Gras verschwand. Er zerrte daran. Die Kette war stärker, als sie aussah.

»Mit dem Silber wurden Katzenatem, Fischschuppen und Mondlicht verarbeitet«, erklärte sie ihm. »Die Kette ist unzerreißbar, bis die Bedingungen des Zauberspruchs erfüllt sind.«

»Oh.« Er ließ sich wieder ins Gras sinken.

»Eigentlich dürfte sie mich nicht behindern, denn sie ist sehr, sehr lang. Aber das Wissen um ihre Anwesenheit stört mich, und ich vermisse das Land meines Vaters. Außerdem ist die Hexenfrau keine sehr gute Herrin…«

Sie schwieg. Dunstan beugte sich über sie, berührte mit der Hand ihr Gesicht und spürte dort etwas Nasses, Heißes.

»Oh, du weinst ja.«

Sie erwiderte nichts. Dunstan zog sie an sich und versuchte mit seinen großen Händen die Tränen wegzuwischen – ohne viel Erfolg. Schließlich beugte er sich über sie und küßte sie – unsicher, ob dies unter den gegebenen Umständen das Richtige war – mitten auf den heißen Mund.

Nach einem winzigen Augenblick des Zögerns öffneten sich ihre Lippen, ihre Zunge glitt in seinen Mund. Und auf der Wiese im Feenland unter den seltsamen Sternen war Dunstan nun endgültig und unwiderruflich verloren.

Zwar hatte er schon einige Dorfmädchen geküßt, aber er war nie weitergegangen.

Seine Hand tastete nach ihren kleinen Brüsten unter dem Seidenstoff ihres Kleides, berührte ihre festen Brustwarzen. Sie klammerte sich an ihn, ganz fest, wie eine Ertrinkende, fingerte an seinem Hemd, an seiner Hose herum.

Plötzlich hatte er Angst, ihr weh zu tun, denn sie war so zierlich. Doch sie wand sich unter ihm, heftig atmend, und führte seine Hand.

Sie bedeckte sein Gesicht und seine Brust mit brennenden Küssen, und dann saß sie auf ihm, rittlings, schnaufend und lachend, schwitzend und schlüpfrig wie eine Elritze. Er bäumte sich auf, drängte und jubelte, die Gedanken erfüllt von ihr, ihr allein, und hätte er ihren Namen gewußt, hätte er ihn laut herausgeschrien.

Am Ende wollte er sich zurückziehen, aber sie hielt ihn in sich, schlang die Beine um ihn und drückte sich so heftig an ihn, daß er das Gefühl hatte, mit ihr zu verschmelzen, so, als nähmen sie beide denselben Platz im Universum ein. Als wären sie für einen machtvollen, alles verschlingenden Augenblick lang das gleiche Wesen, gebend und nehmend, während die Sterne allmählich in der heraufziehenden Morgendämmerung verblaßten.

Danach lagen sie nebeneinander, Seite an Seite.

Die Feenfrau zupfte ihr Kleid zurecht, bis sie wieder anständig bedeckt war. Voller Bedauern zog Dunstan die Hose hoch. Er drückte ihre kleine Hand.

Als der Schweiß auf seiner Stirn trocknete, fühlte er sich plötzlich kalt und einsam.

In der Morgendämmerung konnte er sie deutlich sehen. Um sie herum begannen die Tiere sich zu regen: Pferde stampften, Vögel begannen schlaftrunken den Morgen herbeizusingen, und auch in den Zelten auf der Marktwiese standen die Leute allmählich auf. »Nun aber fort mit dir«, sagte sie leise und sah ihn an, halb bedauernd, mit Augen so violett wie die Federwolken hoch oben am Morgenhimmel. Dann küßte sie ihn sanft auf den Mund, und ihre Lippen schmeckten wie zerdrückte Brombeeren. Schließlich erhob sie sich und ging zurück in den Zigeunerwagen hinter ihrem Stand.

Allein und benommen wanderte Dunstan über den Markt; er fühlte sich um vieles älter als achtzehn Jahre.

Im Kuhstall angekommen, zog er die Stiefel aus und schlief, bis die Sonne hoch am Himmel stand.

Am folgenden Tag ging der Markt zu Ende, aber Dunstan kehrte nicht auf die Wiese zurück. Die Fremden verließen das Dorf, und in Wall kehrte wieder der Alltag ein, wenn er sich vielleicht auch etwas anders gestaltete als in den meisten anderen Dörfern – insbesondere wenn der Wind aus der falschen Himmelsrichtung kam.

* * *

Zwei Wochen nach dem Markt machte Tommy Forester Bridget Comfrey einen Heiratsantrag, den sie annahm. Eine Woche darauf besuchte Mrs. Hempstock am Morgen Mrs. Thorn.

»Ein Segen, dieser Forester-Junge«, meinte Mrs. Hempstock, als sie sich im Salon niedergelassen hatten.

»So ist es«, bestätigte Mrs. Thorn. »Sicher ist Eure Daisy Brautjungfer.«

»Das nehme ich an«, entgegnete Mrs. Hempstock, »falls sie es erlebt.«

Beunruhigt blickte Mrs. Thorn auf. »Aber sie ist doch nicht krank, Mrs. Hempstock, nicht wahr?«

»Sie will nicht essen, Mrs. Thorn. Sie wird immer schwächer. Nur ein wenig Wasser nimmt sie von Zeit zu Zeit zu sich.«

»Ach herrjemine!«

»Gestern abend habe ich endlich den Grund dafür erfahren«, fuhr Mrs. Hempstock fort. »Es ist Euer Dunstan.«

»Dunstan? Er hat doch nicht…« Mrs. Thorn hob die Hand zum Mund.

»Aber nein«, entgegnete Mrs. Hempstock kopfschüttelnd und spitzte die Lippen, »nichts dergleichen. Er ignoriert sie. Seit Tagen hat er sich nicht bei ihr blicken lassen. Jetzt hat Daisy sich in den Kopf gesetzt, daß er sie nicht mehr mag. Sie hält das Schneeglöckchen fest, das er ihr geschenkt hat, und weint.«