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Noch während seiner Worte heulte eine weitere Kugel durch die Takelage. Sie riß das andere Leesegel samt Baum heraus. In einem Durcheinander von zerfetztem Segeltuch, zersplittertem Holz und zerrissenem Tauwerk stürzte alles auf die Reling und dann über Bord. Mit Äxten und Beilen jagten die Männer herbei, um die Trümmer zu kappen, da diese wie Treibanker im Wasser hingen und ihre Fahrt bremsten.

Hugh Bolitho hatte seinen Degen gezogen und befahl mit fester Stimme:»Mr. Dancer, setzen Sie das Signaclass="underline" Feind in Sicht!«Dancer, vom Linienschiff her an eiserne Disziplin gewöhnt, rannte mit seinen Signalgasten an die Flaggleinen, bevor er noch nachdenken konnte. Denn es war niemand in der Nähe, dem sie signalisieren konnten — aber Vyvyan wußte das vielleicht nicht. Die Signalflaggen waren in wenigen Augenblicken zur Rah gehißt und dort geschuppt worden. Nun wehten sie voll aus. Der

Kapitän der Virago würde Vyvyan jetzt vermutlich vorschlagen zu wenden und südlicher zu halten, um der Gefahr zu entgehen, von nun zwei Verfolgern in die Mounts Bay abgedrängt zu werden, wo sie dann in der Falle sitzen mußten.»Es wirkt!«Dancer starrte Bolitho voller Verwunderung an. Die Segel der Virago gerieten in Unordnung, als sie jetzt durch den Wind zu gehen versuchte. Ihre achteren Rahen wurden lebend gebraßt, während die vorderen und die Vorsegel bereits backstanden. Gleichzeitig jedoch blitzte es bei ihr an Bord wieder auf, und weitere Takelage und schwere Blöcke der Avenger kamen von oben.

Ein gewaltiger Ruck erschütterte das Schiff, und die Seeleute stoben schreiend und fluchend auseinander, als der Toppmast samt Rahen und Stagen herabstürzte, splitternd gegen Reling und Geschütze schlug, bevor er über Bord kippte. Hugh Bolitho winkte mit dem Degen.»Ruder hart über, Mr. Gloag! Wir wollen so dicht heran wie möglich!«Als die Pinne übergelegt wurde und das Großsegel gehorsam auf seinem Baum nach außen schwang, rief er Truscott zu: «Jetzt! Feuer frei!«Bei der nur noch geringen Entfernung gab jeder Geschützführer genau gezieltes Einzelfeuer ab.

Bolitho biß die Zähne zusammen und versuchte, die fürchterlichen Schreie der Verwundeten unter den Trümmern zu überhören. Er konzentrierte sich ganz darauf, die Wirkung des Einzelfeuers der Avenger zu beobachten. Dann hörte er das Krachen, welches das Tosen der Wogen und den Kampflärm übertönte, und wußte, daß zumindest einer der Sechspfünder getroffen hatte.

Es bedurfte nur dieses einen Volltreffers. Die Virago, die jetzt wieder unter vollem Segeldruck lag, auf der Flucht vor dem unsichtbaren Bundesgenossen der Avenger, ruckte und zitterte, als sei sie auf eine Sandbank gelaufen. Schließlich, zuerst langsam und dann immer schneller werdend, begann die riesige Segelpyramide zu schwanken und zu stürzen. Die Großbramstenge und der gesamte Vormast mit Rahen und Segeln kippte unter dem Wind- und Fahrtdruck nach achtern und verwandelte in einem einzigen Augenblick die Virago aus einem prächtigen Vollblut-renner in einen wüsten Trümmerhaufen. Hugh Bolitho ergriff ein Megaphon und rief — ohne das andere Schiff aus den Augen zu lassen — mit schneidender Stimme:»Klar zum Segelbergen! Mr. Pyke, klar zum Entern!«Nun war ein neues Geräusch zu hören, ein Dröhnen, das von der Avenger selbst zu kommen schien. Das war ihre Besatzung, deren Stimmen sich zu einem Grollen mischten, als sie jetzt ihre Waffen ergriffen und auf ihre Enterstationen stürzten.

Dancer sagte:»Die sind bestimmt in der Überzahl, Sir!«Hugh Bolitho blickte prüfend die Klinge seines Degens entlang, als kontrolliere er den Lauf einer Schußwaffe.»Aber sie werden nicht kämpfen.»

Er beobachtete das Zusammenschrumpfen der Entfernung, das Größerwerden des anderen Schiffes.»Jetzt, Mr. Gloag!»

Die Segel waren schon geborgen, und als die Pinne nun hart übergelegt wurde, schoß der Bug der Avenger auf die Breitseite der Virago zu.

Die winzigen Gestalten dort waren längst zu Männern, die verschwommenen Köpfe zu klaren Gesichtern geworden, von denen Bolitho einige erkannte, die er schon in Falmouth gesehen hatte.

Hugh Bolitho stand an der Reling, seine scharfe Stimme tönte durch das Sprachrohr:»Im Namen des Königs, ergebt euch!»

Sein Degen wies wie ein Zeigestock auf die Schwenkgeschütze:»Oder wir feuern!»

Mit einem gewaltigen Ruck prallten die beiden Schiffskörper aufeinander. Noch mehr Takelage und zerbrochene Spieren polterten an Deck und erhöhten die Verwirrung. Aber trotz einiger unwilliger Rufe fiel kein Schuß, kein Degen wurde gezogen.

Hugh Bolitho ging langsam zwischen seinen Leuten hindurch und stieg auf das feindliche Schiff über. Er ließ sich Zeit, hielt Ausschau nach etwaigen Funken des Widerstandes. Bolitho und Dancer folgten ihm mit gezogenem Degen und waren sich dabei des bedrückenden Schwe igens bewußt. Sogar das Schreien der Verwundeten war verstummt. Dies waren keine disziplinierten Seeleute. Sie hatten keine Flagge, keine Ideale, die sie beflügelten. In diesem Augenblick wußten sie, daß es für sie kein Entrinnen mehr gab, und ihre persönliche Sicherheit wurde ihnen das wichtigste. Vielleicht konnte eine Aussage gegen die Männer, die sie bisher ihre Freunde genannt hatten, sie vor dem Galgen retten, ihnen zu einer Gefängnisstrafe verhelfen. Einige hofften wohl auch, durch geschicktes Lügen freizukommen. Sicher würden sie das mit derselben Kaltblütigkeit tun, mit der sie ihre früheren Grausamkeiten begangen hatten.

Bolitho stand neben seinem Bruder an Deck der Virago und musterte die verängstigten Gesichter. Er spürte, daß ihre Wut in Furcht umgeschlagen war, so, wie der Gischt bereits das Blut von Deck gewaschen hatte.

Sir Henry Vyvyan würde möglicherweise auch jetzt noch irgendwelche Privilegien geltend machen, dachte er. An Hughs vollständigem Sieg war trotzdem nicht zu zweifeln. Sie hatten das Schiff, die Ladung und so viele Gefangene, daß die Küste viele Jahre lang vor Strandwölfen sicher sein würde.»Wo ist Sir Henry?»

Ein kleiner Mann in blauem Rock mit Goldknöpfen, offensichtlich der Kapitän der Virago, schob sich nach vorn. Seine Stirn blutete aus mehreren Schnittwunden.»Es war nicht meine Schuld, Sir!»

Er wollte nach Hugh Bolithos Ärmel greifen, aber der Degen fuhr wie eine Schlange dazwischen.

So trat er wieder zurück, während Bolitho und die anderen ihm zum Achterdeck folgten, das die volle Wucht des stürzenden Mastes hatte aushallen müssen.

Sir Henry Vyvyan lag eingeklemmt unter einer schweren Spiere, sein Gesicht schmerzverzerrt. Doch noch atmete er, und als die Seeleute der Avenger ihn umstanden, öffnete er sein eines Auge und sagte mühsam:»Zu spät, Hugh. Du kommst um das Vergnügen, mich baumeln zu sehen.»

Hugh Bolitho senkte seinen Degen zum erstenmal, so daß dessen Spitze nur wenige Zoll vor Vyvyans Brust das Deck berührte. Dann erwiderte er ruhig:»Ich hätte Ihnen ein besseres Ende gewünscht, Sir Henry.»

Vyvyans Auge richtete sich auf die blitzende Klinge, und er sagte, schon vom Tode gezeichnet:»Ich mir auch. «Dann stöhnte er auf und starb.

Hughs Degen verschwand in der Scheide, die Bewegung hatte etwas Endgültiges an sich.

«Kappt diese Trümmer!«Seine Stimme klang völlig unbewegt.»Und bestellt Mr. Gloag, wir müssen die Virago in Schlepp nehmen, bis ein Behelfsmast aufgeriggt werden kann. «Danach erst sah er seinen Bruder und Dancer an.»Gut gemacht!«Er warf einen Blick auf die britische Flagge, die gerade an der Gaffel der Virago gehißt wurde — dieselbe, die über seinem eigenen Schiff wehte, wenn auch zerfetzt von Wind und Geschützfeuer.»Das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe!«Dancer grinste.»Und in Falmouth wird vielleicht doch noch etwas übriggeblieben sein, womit wir feiern können, was meinst du, Dick?»