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„Ich bin Fflewddur Fflam, Sohn des Godo“, sagte der Fremde. „Als Barde und Harfenspieler steh’ ich dir gern zu Diensten.“

„Was soll ich mit einem Barden?“ meinte Taran. „Dein Harfenspiel wird meinen Freund nicht wieder lebendig machen.“

„Sprichst du von Gwydion?“ fragte Fflewddur Fflam. „Er ist ein entfernter Verwandter von mir, wie du wissen mußt. An seinem Tod trifft mich keine Schuld, das schwöre ich dir beim großen Belin! Wie aber, um alles in der Welt, ist es dazu gekommen, daß er sein Leben für mich gelassen hat?“

„Geh deines Weges“, sagte Taran. „Du hast Gwydions Tod nicht verschuldet, das glaube ich dir. Ich hatte sein Leben einer Verräterin anvertraut, die uns schändlich betrogen hat.“

„Harte Worte, falls du damit das freundliche kleine Ding mit dem roten Haar meinst“, sagte der Barde. „Ich finde, du solltest ihr wenigstens Gelegenheit geben, sich zu verteidigen.“

„Für schnöden Verrat gibt es keine Entschuldigung“, sagte Taran. „Mag Eilonwy sich von mir aus im Wald verlaufen und elend darin zugrunde gehen!“

„Sollte sie tatsächlich eine Verräterin sein, dann dürftest du sie erst recht nicht laufen lassen!“ erwiderte Fflewddur Fflam. „Gwydion hätte sich da ganz anders verhalten, davon bin ich überzeugt. Wenn ich dir einen Rat geben darf, dann beeil dich und hol sie zurück, solang es noch möglich ist!“

Taran nickte und sagte finster: „Recht hast du, Gwydion soll gerächt werden!“

Damit machte er auf dem Absatz kehrt und lief in den Wald. Nach wenigen Schritten gewahrte er zwischen den Bäumen den Schimmer, der von der goldenen Kugel ausging. Eilonwy hockte auf einem bemoosten Felsblock, den Kopf in den Händen vergraben, und schluchzte.

„Du hast mich zum Heulen gebracht!“ warf sie Taran vor. „Ich hasse es, wenn ich heulen muß. Hinterher fühlt meine Nase sich an wie ein schmelzender Eiszapfen. Laß mich in Frieden, du ahnst nicht, wie sehr du mir Unrecht tust! Trifft dich nicht selbst die Schuld an dem ganzen Unglück?“

Taran war so verblüfft, daß er keinen Ton herausbrachte.

„Ja doch!“ rief Eilonwy. „Schuld an dem ganzen Unglück bist du allein! Warum hast du mir denn von dem Mann, den ich retten sollte, so wenig erzählt? Du hast stets nur von einem Freund in der anderen Zelle geredet – und nun, da ich diesen Menschen herausgeholt habe, zeigt es sich, daß es der falsche war.“

„Wie konnte ich ahnen, daß noch ein anderer Mann im Verlies saß? Davon hast du nichts erwähnt.“

„Es gab keinen anderen“, sagte Eilonwy fest. „Fflewddur Fflam, oder wie er sich nennt, war der einzige außer dir.“

„Und Gwydion?“ fragte Taran. „Wo ist Gwydion?“

„Woher soll ich das wissen!“ entgegnete Eilonwy. „Im Verlies war er jedenfalls nicht.“

Taran gewann mehr und mehr den Eindruck, daß Eilonwy ihn nicht anlog. Genaugenommen gab es ja keinen Beweis dafür, daß Gwydion von den Wächtern in eine der Zellen gesperrt worden war.

„Was könnte mit ihm geschehen sein?“ fragte er.

„Keine Ahnung“, antwortete Eilonwy. „Vielleicht hat Achren ihn an anderer Stelle einsperren lassen, im Turm etwa oder in einer der Vorratskammern. Es gibt eine Menge Räume in Spiral Castle, wo jemand gefangengehalten werden kann. Warum hast du nicht einfach zu mir gesagt: „Geh und rette mir einen Mann namens Gwydion!“ Dann hätte ich ihn schon aufgespürt. Aber nein, du warst ja so mißtrauisch, daß du alles für dich behalten hast!“

Taran wurde kleinlaut. „Wir müssen ins Schloß zurück und ihn suchen“, meinte er. „Vielleicht finden wir eine Spur von ihm.“

„Das Schloß liegt in Trümmern“, erwiderte Eilonwy. „Außerdem habe ich wenig Lust, dir zu helfen – nach allem, was du mir an den Kopf geworfen hast. Das war schlimmer, als wenn einem jemand Raupen ins Haar setzt!“ Sie reckte das Kinn in die Höhe und würdigte ihn keines Blickes mehr.

„Ich habe dir unrecht getan, und ich schäme mich“, sagte Taran. „Verzeih mir!“

Eilonwy blickte an ihm vorbei. „Ich fürchte, das geht nicht so rasch.“

„Dann muß ich ihn eben allein suchen“, sagte Taran. „Du tust recht daran, wenn du mir deine Hilfe verweigerst. Die Sache geht dich ja auch nichts an.“ Damit ließ er sie stehen.

Eilonwy glitt vom Felsen und rannte ihm nach. „Warte doch!“ rief sie. „Warum denn gleich weglaufen? Vielleicht läßt sich darüber reden …“

Fflewddur Fflam stand noch immer am alten Fleck und erwartete sie. Taran musterte ihn im Schein von Eilonwys Kugel. Der Barde war lang und dürr, er hatte eine gewaltige Adlernase und volles, nach allen Seiten gesträubtes, strohblondes Haar, das seinen Kopf umgab wie ein Strahlenkranz. Jacke und Hose wiesen an Knien und Ellbogen mehrere große Flicken auf; sie waren mit unbeholfenen Nadelstichen festgenäht worden, vermutlich von Fflewddur selbst. Über die Schulter trug er an einem bestickten Lederband eine prächtig geschwungene Harfe; das einzige Stück an ihm, das eines Barden würdig war.

„Wenn ich dich recht verstanden habe, bin ich also bloß irrtümlich aus dem Kerker geholt worden“, sagte Fflewddur Fflam, nachdem Taran ihm auseinandergesetzt hatte, was geschehen war. „So was Ähnliches hab’ ich befürchtet, schon auf dem Weg durch die unterirdischen Gänge sind mir Bedenken gekommen. Wem konnte denn auch an meiner Befreiung gelegen sein! Und was nun?“

„Ich gehe zum Schloß hinauf“, sagte Taran. „Auch wenn ich für Gwydion wenig Hoffnung habe.“

„Da komme ich selbstverständlich mit!“ rief der Barde mit leuchtenden Augen. „Was ein rechter Fflam ist, der weiß, was er seiner Familie schuldet. Auf zum Angriff auf Spiral Castle! Laßt uns gemeinsam das Schloß erstürmen!“

„Da wird nicht mehr viel zu stürmen sein“, sagte Eilonwy.

„Oh?“ meinte Fflewddur enttäuscht. „Gut denn, wir werden auch so unser Bestes tun, vorwärts also!“

An der Stelle, wo Spiral Castle gestanden hatte, erwartete sie ein einziger großer Trümmerhaufen. Im Mondlicht erkannten sie einen einsamen Torbogen, der den Einsturz des Schlosses unversehrt überstanden hatte. Nebel hing zwischen den Mauerresten. Da und dort lagen leblose Körper hingestreckt, halb verschüttet die meisten: ein paar von den Kriegern Achrens offenbar, die als Wachtposten auf den Mauern des Schlosses gestanden hatten. Auf den ersten Blick hatten Taran und seine Begleiter auch sie für Steine gehalten. Verzweifelt suchte der Junge nach Gwydion. Er kletterte in den Trümmern umher, er kroch unter jeden überhängenden Stein. Der Barde und Eilonwy halfen ihm ein- oder zweimal bei dem Versuch, einen der Felsbrocken von der Stelle zu wälzen: sie schafften es auch mit vereinten Kräften nicht.

Schließlich schüttelte Taran erschöpft den Kopf: „Zwecklos!“ keuchte er. „Gwydions Grabhügel kann sich sehen lassen …“ Er stand eine Weile still da und blickte über die Trümmer des Schlosses hin. Dann wandte er sich rasch ab.

Fflewddur schlug vor, den getöteten Kriegern Achrens die Waffen abzunehmen. Er versah sich mit einem Dolch, einer Lanze und einem Schwert. Eilonwy, die das Schwert aus der Königsgruft nach wie vor mit sich herumschleppte, steckte einen schmalen Dolch in den Gürtel. Taran sammelte einige Bogen und so viele Köcher voll Pfeilen auf, wie er tragen konnte. Schweren Herzens begaben die drei sich den Hang hinab. Melyngar folgte ihnen, den Kopf gesenkt. Ob er ahnte, daß Gwydion nicht mehr am Leben war?

„Ich muß weg hier“, sagte Taran. „Spiral Castle hat mir bloß Kummer gebracht. Ich kann hier nicht länger bleiben.“

„Und wir?“ fragte Eilonwy. „Glaubst du vielleicht, uns sei anders zumute? Solltest du freilich von mir erwarten, daß ich bei dieser Finsternis stundenlang durch die Wälder laufe, so irrst du dich.“

„Recht hast du“, pflichtete ihr der Barde bei. „Ich könnte vor Müdigkeit auf der Stelle umfallen, und wenn ich auf Arawns Türschwelle schlafen müßte!“

„Ruhe brauchen wir alle“, sagte Taran. „Aber ich traue Achren nicht einmal im Tode. Außerdem wissen wir nichts von den Kesselkriegern. Daß sie davongekommen sind, dürfte sicher sein. Vielleicht suchen sie schon nach uns! Es wäre ein unverzeihlicher Leichtsinn, wenn wir hier in der Nähe blieben.“