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„Ja, ein Geweih“, bestätigte Gurgi, „ein großes Geweih!“ Und ängstlich fügte er hinzu: „Ihr werdet es doch nicht zulassen, daß man dem armen, unglückseligen Gurgi den Kopf abschlägt?“ Er setzte zu einem langgezogenen, schrecklichen Heulen an.

„Langsam verliere ich die Geduld mit dir“, warnte Gwydion. „Wo ist das Schwein?“

„Gurgi hat die furchtbaren Reiter von den Bäumen herab belauscht“, fuhr der Tiermensch fort. „O ja, Gurgi ist leise und vorsichtig. Niemand schert sich um ihn, aber er hat gute Ohren, der schlaue Gurgi! Die fremden Krieger haben erzählt, sie hätten nach Caer Dallben gewollt, aber ein mächtiges Feuer hat sie von dort vertrieben. Nun ärgern sie sich und suchen das weiße Schweinchen im Wald mit Lärmen und Schwärmen.“

„Gurgi!“ wiederholte Gwydion mit fester Stimme. „Wo ist das Schwein?“

„Das weiße Schweinchen? Oh, wie gräßlich der Hunger zwackt! Der bejammernswerte Gurgi kann sich an nichts erinnern. Sein armes, zartes Haupt ist voll Luft, die aus seinem leeren Magen kommt.“

Taran vermochte seine Ungeduld nicht länger zu zügeln. „Wo ist Hen Wen, du dummes, haariges Scheusal?“ platzte er los. „Sag es mir auf der Stelle, sonst kriegst du Hiebe, und zwar auf den Kopf!“

Mit einem Ächzen rollte Gurgi sich auf den Rücken und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

Gwydion wandte sich streng an Taran und sagte: „Überlaß ihn mir, er ist schon verstört genug!“ Dann blickte er auf Gurgi hinab und fragte: „Nun also – wo ist das Schwein?“

„Oh, nicht zornig sein!“ stöhnte Gurgi. „Ein Schweinchen ist übers Wasser gegangen mit Panschen und Planschen.“ Er richtete sich auf und deutete zum Fluß hinüber.

„Wenn du mich angelogen hast, wird sich das bald herausstellen“, sagte Gwydion, „und dann wird mein Zorn dich treffen.“

„Jetzt aber Reißen-und-Beißen!“ bettelte Gurgi. „Reißen-und-Beißen!“ Und mit einem tückischen Blick auf Taran fügte er hinzu: „Kann Gurgi den Kleineren von euch beiden bekommen?“

„Damit dürfte der Hilfsschweinehirt von Caer Dallben schwerlich einverstanden sein“, meinte Gwydion. Er öffnete die Satteltasche und zog ein paar Streifen Dörr fleisch heraus, die er Gurgi zuwarf. „Fort jetzt mit dir! Und daß du uns keinen Ärger machst!“

Gurgi schnappte sich das Fleisch, schob es zwischen die Zähne, kletterte am Stamm einer Ulme empor und verschwand, sich von Baum zu Baum schwingend, im Geäst.

„Welch ein ekliges Biest“, sagte Taran. „Welch ein garstiges, hinterhältiges, ekliges Biest!“

„Im Grund seines Herzens ist er kein schlechter Kerl“, meinte Gwydion. „Er gebärdet sich zwar mit Vorliebe grimmig und blutrünstig, doch es gelingt ihm nicht recht. Und wie er sich selbst bemitleidet, wo er geht und steht! Ich finde, man kann ihm nicht böse sein.“

„Hat er die Wahrheit über Hen Wen gesagt?“ fragte Taran.

„Ich glaube, ja“, sagte Gwydion. „Alles ist so gekommen, wie ich es befürchtet habe. Der Gehörnte König ist nach Caer Dallben geritten.“

„Und hat es niedergebrannt!“ rief Taran. Bisher hatte er wenig Zeit gehabt, an daheim zu denken. Die Vorstellung, Caer Dallben sei in Schutt und Asche gesunken, war unerträglich. Dalibens Bart fiel ihm ein und der Kahlkopf des heldenmütigen Coll. „Ob Dallben und Coll in Gefahr sind?“ fragte er.

„Sicher nicht“, sagte Gwydion. „Dallben ist ein alter Fuchs. Kein Käfer vermag über seine Schwelle zu krabbeln, ohne daß er es weiß. Gewiß war das Feuer eines von seinen Kunststücken, die er für unliebsame Besucher bereithält. – Wenn jemand sich in Gefahr befindet, dann ist es Hen Wen. Auch der Gehörnte König weiß ja nun, daß sie weggelaufen ist, und verfolgt sie.“

„Dann müssen wir ihm zuvorkommen!“ rief Taran.

„Dies“, sagte Gwydion, „war der erste vernünftige Vorschlag, den du bisher gemacht hast.“

4. Die Gwythaints

Sie eilten zu Fuß in die Richtung, die Gurgi ihnen gewiesen hatte. In der Nähe eines gezackten Felsens blieb Gwydion stehen und ließ einen Freudenruf hören. Im lehmigen Boden des Uferhanges zeichneten sich Hen Wens Fußabdrücke so deutlich ab, als habe man sie mit dem Messer hineingeschnitten.

„Gut für Gurgi!“ rief Gwydion aus. „Er hat sich sein Reißen-und-Beißen verdient. Hätte ich geahnt, wie sehr er uns nützen würde – ich hätte ihm zweimal soviel gegeben. – Hen Wen hat den Fluß an dieser Stelle überquert, wir werden ein Gleiches tun.“

Der Fürst führte Melyngar am Zügel zum Fluß hinab. Die Luft wurde plötzlich kalt und feucht. Ruhelos flossen die grauen Wasser des Avren an ihnen vorbei. Taran hielt sich an Melyngars Sattelknauf fest, ihm war nicht sehr wohl zumute.

Gwydion schritt geradewegs ins Wasser hinein. Taran hingegen zögerte den Augenblick des Naßwerdens hinaus, so lang es ihm möglich war. Doch auf einmal schoß Melyngar vorwärts und schleppte ihn mit. Der Junge strauchelte, und die eisigen Wellen spritzten ihm bis zum Nacken. Die Strömung wurde stärker und immer stärker, sie wand sich wie eine graue Schlange um Tarans Beine. Plötzlich war der Grund unter seinen Füßen weg. Der Junge verlor den Halt, und der Fluß riß mit gierigem Sog an ihm. Melyngar begann zu schwimmen, aber die Strömung drehte ihn herum, so daß er mit Taran zusammenstieß und ihn unter Wasser drückte. Gwydion sah, was geschehen war. „Laß den Sattel los!“ schrie er dem Jungen zu. „Schwimm von Melyngar weg!“

Taran hörte und sah nichts mehr. Jedesmal, wenn er nach Luft schnappte, schluckte er Wasser. Gwydion kam herbeigeeilt, packte ihn an den Haaren und zog ihn ans andere Ufer. Taran schüttelte sich wie ein nasser Hund, er spuckte und hustete. Auch Melyngar hatte inzwischen das Ufer erreicht und kam herbeigetrottet.

Gwydion blickte Taran scharf an. „Weshalb bist du nicht weggeschwommen, wie ich es dir befohlen hatte?“ fragte er.

„Ich – kann überhaupt nicht schwimmen“, gestand Taran unter heftigem Zähneklappern.

„Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?“

„Ich glaubte, es sei nicht besonders schwierig. Hätte sich Melyngar nicht auf mich gewälzt, wäre ich glatt hinübergekommen.“

„Du mußt lernen, mit deiner Dummheit fertig zu werden“, sagte Gwydion ärgerlich. „Was Melyngar angeht, so hat er in seinem Pferdekopf mehr Verstand, als du voraussichtlich je erlangen wirst.“ Er schwang sich in den Sattel und zog den triefenden, mit Schlamm beschmierten Jungen zu sich hinauf. Melyngars Hufe klapperten über den Uferkies. Taran zitterte am ganzen Leib vor Kälte. Zufällig blickte er zu den Bergen hinüber. Sich deutlich vom blauen Himmel abhebend, zogen drei große, dunkelgefiederte Vögel über das Firmament.

Auch Gwydion, dessen Augen nichts zu entgehen schien, hatte sie schon erspäht. „Das sind Gwythaints!“ rief er und riß Melyngar scharf nach rechts herum. Taran verlor bei dem plötzlichen Ruck das Gleichgewicht. Die Beine emporgestreckt, kippte er hintenüber vom Pferd und landete auf dem Kies. Gwydion zügelte augenblicklich das Roß. Er packte den Jungen beim Kragen, zog ihn wie einen Mehlsack zu sich empor. Dann trieb er den Schimmel in höchster Eile die Uferböschung hinauf.

Über ihnen schrien die Gwythaints. Bei den ersten Bäumen stieß Gwydion den Jungen vom Pferd und sprang ab. Taran mit sich zerrend, suchte er unter dem weit ausladenden Geäst einer Eiche Deckung. Im Sturzflug schossen die Gwythaints herab. Mächtige Flügel peitschten gegen das Laubwerk. Taran sah Schnäbel und Klauen wie Dolche auf sich gerichtet. Er schrie auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Aber die Gwythaints drehten ab und zogen wieder hoch. In ihrem Sog rauschten die Blätter. Für die Dauer eines Augenblicks schienen die furchtbaren Vögel reglos am Himmel zu stehen. Dann eilten sie in westlicher Richtung davon. Taran war weiß im Gesicht, er getraute sich kaum, den Kopf zu heben. Gwydion schritt zum Fluß hinab und blickte den Gwythaints nach. Zögernd trat Taran an seine Seite.