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„Ich hatte gehofft, daß uns das erspart bleiben würde“, murmelte Gwydion. Seine Miene war düster. „Für diesmal, so scheint es, sind wir davongekommen.“

Taran sagte nichts dazu. Er war im entscheidenden Augenblick vom Pferd gefallen, er hatte sich unter der Eiche wie ein kleines Kind benommen. Nun wartete er auf Gwydions Tadel; aber der Blick des Fürsten blieb auf die dunklen Flecken am Himmel gerichtet.

„Früher oder später hätten sie uns ohnehin aufgespürt“, sagte er. „Sie sind Arawns Späher und Sendboten. Niemand bleibt lang vor ihnen verborgen. Wir können von Glück sagen, daß sie bloß auf Erkundung gewesen sind und nicht auf einer Blutjagd. Nun fliegen sie nach Annuvin zurück, in die eisernen Käfige. Ehe der Abend sinkt, weiß Arawn, wo wir uns befinden. Dann müssen wir auf der Hut sein.“

„Zu dumm, daß sie uns entdeckt haben“, meinte der Junge ärgerlich, als sie dann weiterzogen.

Gwydion erwiderte ihm, daß es keinen Zweck habe, sich über geschehene Dinge zu grämen, und fügte hinzu: „Arawn hätte so oder so erfahren, wo wir uns aufhalten. Er läßt mich beobachten, seit ich von Caer Dathyl aufgebrochen bin. Die Gwythaints sind nicht die einzigen Kreaturen, die er in seine Dienste gezwungen hat.“

„Aber gewiß die schlimmsten!“ sagte Taran, während er sich bemühte, mit Gwydion Schritt zu halten.

„Weit gefehlt!“ entgegnete der Fürst. „Die Gwythaints sind in der Hauptsache Arawns Kundschafter. Dazu werden sie von klein auf ausgebildet. Arawn versteht ihre Sprache und hat sie von dem Augenblick an, da sie das Ei verlassen, in seiner Gewalt. Dennoch sind sie Geschöpfe von Fleisch und Blut, ein Schwertstreich kann sie erledigen. Es gibt andere Knechte Arawns, gegen die alle Schwerter der Erde machtlos sind. – Hast du von den Kesselkriegern gehört?“

„Von den Kesselkriegern?“ fragte Taran erstaunt. „Ich spreche nicht gern davon“, sagte Gwydion. „Es sind Tote, die König Arawn aus den Gräbern geraubt und sich dienstbar gemacht hat. Er siedet sie, heißt es, so lange im Schwarzen Kessel, bis sie zu neuem Leben erwachen. Doch was für ein Leben ist das? Die Kesselkrieger sind, wie die Toten, für ewige Zeiten stumm – und ihr einziges Verlangen besteht darin, andere Menschen ins Unglück zu bringen. Arawn hält sie als seine Leibwächter in Annuvin, denn sobald sie sich von ihrem Herrn und Meister entfernen, beginnt ihre Kraft zu schwinden. Je länger und weiter weg von ihm, desto schwächer werden sie. Trotzdem sendet Arawn von Zeit zu Zeit einige dieser lebenden Toten aus, wenn es irgendwo eine besonders grausame Tat zu vollbringen gilt. Die Kesselkrieger sind gänzlich ohne Erbarmen und Mitleid. Arawn hat in ihnen jede Erinnerung an ihr früheres Menschsein ausgelöscht. Sie wissen nichts mehr von Leid und Freude, von Sorgen und Liebe. Von allen Missetaten Arawns ist dies eine der schrecklichsten.“

Nach langem Suchen entdeckte Gwydion Hen Wens Spur noch einmal. Sie führte über ein Brachfeld zu einer flachen Schlucht. „Hier endet die Fährte“, sagte er stirnrunzelnd. „Doch Hen Wen kann nicht gut in die Erde versunken sein.“

Sorgfältig untersuchte er den Boden auf beiden Seiten der Schlucht. Taran war so müde und niedergeschlagen, daß er sich kaum noch auf den Füßen halten konnte. Er war froh, als die Abenddämmerung seinen Gefährten nötigte, von der weiteren Suche abzulassen. Gwydion band Melyngar im Dickicht fest. Taran ließ sich zu Boden fallen und stützte den Kopf in die Hände.

„Hen Wen ist endgültig verschwunden“, sagte der Fürst und holte etwas von seinen Vorräten aus der Satteltasche. „Mancherlei kann ihr zugestoßen sein. Hoffen wir, daß sie wohlauf ist!“

„Was können wir tun?“ fragte Taran bekümmert.

„Der beste Weg ist nicht immer der kürzeste“, sagte Gwydion. „Am Rande der Adlerberge soll ein uralter Mann hausen, Medwyn mit Namen. Man erzählt sich von ihm, daß er mit allen Tieren Prydains auf vertrautem Fuß lebe. Wenn überhaupt jemand wissen kann, was mit Hen Wen geschehen ist – dann wohl er.“

„Den sollten wir also fragen“, meinte Taran.

„Das wird nicht ganz einfach sein“, sagte Gwydion. „Ich selbst habe Medwyn noch nie zu Gesicht bekommen. Andere haben nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden. Die Hoffnung, ihn aufzuspüren, ist nicht sehr groß.“

Ein Wind hatte sich erhoben und wisperte in den Baumkronen. Aus der Ferne war Hundegebell zu vernehmen. Gwydion richtete sich auf, er wirkte gespannt wie eine Bogensaite.

„Ist das der Gehörnte König?“ fragte der Junge. „Ist er uns auf der Spur?“

Gwydion schüttelte den Kopf. „Keine gewöhnlichen Hunde bellen so“, sagte er. „Dies ist die Meute von Gwym, dem Jäger. Auch er reitet also hier herum…“

„Einer von Arawns Leuten?“ fragte der Junge ängstlich.

„Ich kenne den Herrn nicht, in dessen Diensten er steht“, sagte Gwydion. „Vielleicht dient er einem, der größer ist als Arawn. Du mußt wissen, daß Gwym stets allein durch die Lande reitet. Wo er mit seinen Hunden auftaucht, wird bald eine blutige Schlacht geschlagen. Er ahnt Tod und Gemetzel voraus; und während er den Kampf aus der Ferne beobachtet, bestimmt er die Krieger, die fallen müssen“

Über das Gekläff der Hundemeute hinweg erscholl der langgezogene Ruf eines Jagdhorns. Er traf Taran wie eine eiskalte Klinge mitten ins Herz. Von den Hügeln tönte das Echo hernieder. Es lag eine unsagbar tiefe Trauer in diesem Widerhall – als sei alles, was gut und schön war auf dieser Erde, unwiederbringlich verloren: Vögel und Sonnenlicht, helle Morgen und warme Feuer, Essen und Trinken, Freundschaft und Treue und alle anderen Dinge, für die es sich lohnt zu leben.

Gwydion legte Taran die Hand auf die Schulter. „Gwyms Horn will uns warnen“, sagte er. „Nimm dir die Warnung zu Herzen, wie immer du sie verstehen magst – doch hüte dich vor dem Widerhall! Manch einer hat ihm zu lange nachgelauscht, und nun wandert er ruhelos und verzweifelt von Land zu Land.“ Taran wurde mitten in der Nacht von einem Wiehern Melyngars geweckt. Während Gwydion aufstand und sich dem Schimmel näherte, gewahrte der Junge einen Schatten zwischen den Büschen. Er blickte betroffen hin, Gwydion wandte der Stelle den Rücken zu. Nun bewegte der Schatten sich abermals, im Mondlicht war er gut auszumachen. Taran schluckte seine Furcht hinunter, sprang auf und stürzte sich ins Gebüsch. Dornenranken zerkratzten ihm das Gesicht und die Arme. Dann kriegte er etwas zu fassen, das heftig um sich schlug. Er spürte, daß er einen struppigen Kopf bei den Ohren gepackt hielt. Der Geruch eines feuchten Wolfshundes stieg ihm in die Nase.

„Gurgi!“ schrie Taran wütend. „Was hast du hier in der Nacht herumzuschleichen?“

Gurgi rollte sich zu einer Kugel zusammen, und Taran wollte im Zorn auf ihn einschlagen. Gwydion hinderte ihn daran, er rief:

„Laß das! Merkst du nicht, daß er vor Angst halb tot ist, der arme Kerl?“

„Rettet Euch Euer Leben ein andermal selbst!“ erwiderte Taran patzig, während Gurgi in höchsten Tönen zu jaulen anfing. „Ich hätte mir ja denken können, daß glorreiche Feldherren auf den Beistand von meinesgleichen nicht angewiesen sind.“

„Daß du dich nur nicht irrst“, meinte Gwydion freundlich. „Im Gegensatz zu gewissen Hilfsschweinehirten verachte ich keines Mannes Hilfe, die mir zuteil wird. Aber ein nächstesmal solltest du lieber erst zu ergründen suchen, was dich erwartet, bevor du kopfüber in einen Dornbusch springst…“ Er unterbrach sich und klopfte Taran auf die Schulter. „Nun – immerhin glaubtest du ja mein Leben in Gefahr.“

„Wie konnte ich ahnen, daß es bloß dieser alberne Gurgi war!“

„Nehmen wir den guten Willen für die Tat“, sagte Gwydion. „Du magst alles mögliche sein, Taran von Caer Dallben: ein Feigling, das sehe ich, bist du nicht. Ich spreche dir meinen Dank aus.“

„Und was wird aus dem armen Gurgi?“ heulte Tarans Gefangener auf. „Kein Dank für ihn, nein, o nein! Nichts wie Hiebe von großen Herren! Nicht mal ein wenig Reißen-und-Beißen, als Dank für die Hilfe beim Schweinchensuchen.“