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Ja, endlich sind wir da, nach unserem Rundgang merken wir, dass wir wirklich angekommen sind, dass wir jetzt da sind, wo unsere Grossmutter ihr Leben verbringt, Mamika, die uns übrigens zweimal an Ostern und einmal an Weihnachten in der Schweiz besucht hat, ansonsten ein einziges Mal im Ausland war, nämlich in Rom, um dem Papst die Hand zu küssen, und Mamika lachte in den Mundwinkeln, als sie uns von ihrer beschwerlichen Busreise zu ihrem geliebten Papst erzählte, von Rom, das ihr so unendlich gross vorkam, dass sie sich ständig an ihrem Stock oder an ihrer Freundin festhalten musste. Meine grossen, kleinen Mädchen, sagt Mamika, als wir uns bei ihr einhängen, uns langsam auf unser Auto zu bewegen, weil Vater gerufen hat, wir sollen ihm beim Ausladen helfen, und erst, als wir unseren voll bepackten Chevrolet plündern, unsere Taschen und Koffer neben den Ziehbrunnen stellen, fällt mir auf, dass die Hitze fast unverändert ist, obwohl es schon längstens Nachmittag geworden ist.

Was für ein Automobil! sagt Mamika und legt die Hände hinter ihrem Rücken ineinander, dass du mit so einem Ding überhaupt fahren kannst, Miklós, siehst du überhaupt, wo's vorne und hinten aufhört? In Amerika fährt jeder so ein Ding, antwortet Vater, Tatsache! meint er, als Mamika ihn mit erhobenen Augenbrauen anschaut, kommen Sie, setzen Sie sich rein, und Vater öffnet die Tür zum Beifahrersitz, fährt über das helle Sitzleder, ist noch angenehmer, als im Bett zu schlafen, und Vater zündet sich eine Zigarette an, Mamika zögert, sagt, ich bin zu grau für so etwas Modernes, und Mutter meint, morgen sei auch noch ein Tag, aber Vater fasst Mamika schon an den Händen, hält sie sanft und sicher, als sie sich bückt, sich hineinsetzt, ihre Beine hebt, um dann auf dem breiten Leder Platz zu nehmen. Vater, der mit einem eleganten Schwung die Tür des Beifahrersitzes schliesst, und Nomi und ich, wir haben uns auf unsere Koffer gesetzt, wir sehen zu, wie Mamika durch die Frontscheibe blickt, zu lächeln versucht, Vater, der sich schon ans Steuerrad gesetzt hat und Mamika jetzt sicher alles erklärt, die automatische Gangschaltung, die Fenster, die auf Knopfdruck reagieren, die Klimaanlage, den Komfort, ein Wort, das Vater falsch betont, aber gern gebraucht.

Nomi, Mutter und ich wissen, dass wir in den nächsten Tagen noch oft ähnliche Spektakel erleben werden, und wenn wir übermorgen bei Onkel Móric vorfahren, um die Hochzeit seines Sohnes Nándor zu feiern, werden sich die Männer in ihren festlichen Anzügen innerhalb kürzester Zeit um unseren Chevrolet versammeln, als wären sie gekommen, um dem Wagen die Ehre zu erweisen und nicht dem Brautpaar; wir sehen sie schon, die Männer, wie sie mit langsamen, denkwürdigen Schritten den Wagen umkreisen, sein glänzendes Metall streicheln, weil jede kleine Berührung damit Glück bringen muss, und irgendeiner, nein, nicht irgendeiner, sondern Nándor, der Bräutigam, darf dann die Kühlerhaube öffnen, die Handlung vollführen, die endlich das Kernstück preisgeben wird, den Motor! und Vater wird ihn starten, und die Männer werden sich bei laufendem Motor unterhalten, sie werden reden, reden, reden, rauchen und auf die wichtigen Einzelheiten zeigen, die es eben braucht, damit es ein Ganzes gibt, ein schönes Ganzes, das nicht nur rollt oder fährt, sondern eben auch ein perfektes Fahrgefühl bietet.

So oder ähnlich wird es ablaufen, und Mutter, Nomi, ich, unsere Tanten und Cousinen, wir werden ein bisschen abseits stehen, auf die Männer zeigen, uns im erlaubten Rahmen über die Ausdauer und Ernsthaftigkeit, mit der sich die Männer der Technik widmen, lustig machen, in solchen Momenten sind wir tatsächlich nichts anderes als blöde Hühner, die ständig gackern, um davon abzulenken, wovor es uns allen graut, dass nämlich das einmütige Schwärmen plötzlich in einen Streit ausartet, weil einer womöglich behauptet, das sozialistische System habe trotz allem seine Vorteile, wir blöde Hühner wissen, dass es einen einzigen Satz braucht, und plötzlich sehen die Hälse der Männer wüst und nackt aus: Ja ja, eine gute Idee, der Kommunismus, auf dem Papier…! Und der Kapitalismus! die Ausbeutung von Menschen durch Menschen…! Wir Plaudertaschen wissen, dass es ein winziger Sprung ist von der Technik zur Politik, von einer Faust zu einem Kiefer — und wenn die Männer ins Politische kippen, dann ist es so, wie wenn man zu kochen anfängt, und man weiss von Anfang an, aus irgendeinem Grund, dass das Essen misslingen wird, zuviel Salz, zu wenig Paprika, angebrannt, ganz egal, das Politische bringt Gift, so Mamika.

In Mamikas Innenhof sieht der Chevrolet irgendwie weltfremd aus, denke ich, als Mutter ihre Hände auf unsere Schultern legt, Nomi und ich auf das Ende des Schauspiels warten, ein Käuzchen, das irgendwo auf einem Baum hockt und uns mit seinem schüchternen Ruf begleitet, wir können unser Gepäck ja schon reintragen, sagt Mutter, ihr wisst ja, das kann länger dauern, und sie packt zwei Taschen, marschiert los, Richtung Haus, aber Nomi und ich, wir bleiben auf unseren Koffern sitzen, streifen unsere Schuhe ab, und die Steine sind so heiss, dass wir sie nur mit den Zehenspitzen antippen können, wahnsinnig heiss, sagt Nomi, ja! und wir schielen zum Chevrolet, zu unserem Vater, der hinter dem Steuerrad hantiert, seine Schneidezähne, die immer wieder scharf hinter der Frontscheibe aufblitzen, und erst später, als wir uns an diese merkwürdige Szene erinnern, wissen wir, warum wir damals auf unseren Koffern sitzengeblieben sind, obwohl es uns unangenehm war zuzusehen, wie hilflos Mamika ihren Kopf drehte, zu Vater und dann wieder zu uns schaute, ihr schwarzes Kopftuch, das ihr tief in die Stirn gerutscht war; wir wären bestimmt rasch aufgestanden, um nicht allzu lange über Mamikas Hilflosigkeit irritiert zu sein, aber Vater, unser Vater? sah trotz seiner Zigarette, seinem undurchdringlichen Schnauz, seinen goldenen Zähnen, seinen Furchen auf Stirn und Wangen, unser Vater sah mit einem Mal um Jahre jünger aus, ein Junge, der mit der hellen Begeisterung eines Kindes seiner Mutter von seiner neuen Errungenschaft erzählt und von ihr ganz dringend ein zärtliches Lob, eine Anerkennung will (und Mamika wird es ihm geben, das Dringende, Notwendige, obwohl sie sich völlig fehl am Platz vorkommt, wird sie merken, was er von ihr braucht) — Nomi und ich, wir bleiben sitzen, weil wir diesem Jungen möglichst lange zuschauen wollen, so lange, dass wir ihn nie mehr vergessen.