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Nachdenklich strich Samantha mit den Fingern darüber.

»Hier«, meinte Sam und nahm die Uhr ab. »Nur zu, sieh sie dir ruhig an. Du kannst sie auch umlegen, wenn du möchtest. Auf der Rückseite steht irgendein cooles Zeug. Ich habe nie herausgefunden, was es bedeutet«, fügte er hinzu und reichte ihr das gute Stück.

Als er ihr die Uhr in die Hand legte, strahlte sie wie ein Kind in einem Süßwarenladen. Langsam drehte sie sie in alle Richtungen und betrachtete sie sorgfältig. Plötzlich riss sie überrascht die Augen auf.

»Was ist denn? Kannst du die Schrift lesen? Ich glaube, es könnte Französisch sein oder so«, sagte er.

»Das ist Latein«, korrigierte sie ihn atemlos.

Aufgeregt starrte sie ihn mit ihren schönen Augen an.

»Das bedeutet: Die Rose und der Dorn treffen sich in Salem.«

28.

Kapitel

Caitlin und Caleb standen im Boston Common auf einem kleinen Hügel und sahen sich prüfend um. Caleb hielt einen Plan des Freedom Trail in der Hand, den er gerade in einem Geschäft erstanden hatte, und fuhr immer wieder mit dem Finger die Route entlang. Caitlin hatte die beiden Hälften der alten Schriftrolle hervorgezogen.

»Lies es noch einmal vor«, forderte er sie auf.

Caitlin kniff die Augen zusammen, um die verblasste Schrift besser lesen zu können, und begann:

»Die vier Reiter reiten auf einem Pfad in die Freiheit.

Sie verlassen das gemeinsame Land,

betreten einen Ring aus Blut,

versammeln sich in dem Haus

und finden die, die sie liebten,

neben der vierten Spitze des Kreuzes.«

»Ein Pfad in die Freiheit«, wiederholte Caleb laut und konzentrierte sich. »Das muss einfach ein Hinweis auf den Freedom Trail sein. Das macht absolut Sinn, er liegt genau zwischen Salem und Martha’s Vineyard. Wir sind in der Mitte.

Und der Hinweis auf ›das gemeinsame Land‹ … Damit kann nur dieser Park hier gemeint sein, in dem wir uns jetzt befinden. Auch das ergibt einen Sinn. An dem Ort, an dem wir gerade stehen, wurden im siebzehnten Jahrhundert die Hexen hingerichtet. Der Ort ist sehr geschichtsträchtig, vor allem für uns Vampire.

In der Schriftrolle heißt es ›sie verlassen das gemeinsame Land‹. Das heißt wohl, wir müssen hier beginnen, aber ich bin nicht sicher, warum. Was den Rest angeht … ›Ring aus Blut‹, ›versammeln sich in dem Haus‹, ›vierte Spitze des Kreuzes‹ … Ich habe nicht die geringste Ahnung, wohin wir von hier aus gehen müssen.«

Erneut blickte Caitlin sich um. Der Blick von hier oben war beeindruckend. Trotz des warmen Wetters lag noch ein wenig Schnee, und einige Kinder fuhren mit ihren Schlitten den Hügel hinunter. Sie kreischten vor Vergnügen, und ihre Eltern freuten sich mit ihnen. Der ganze Park wirkte wunderschön und sehr idyllisch. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, dass hier einmal Hexen gehängt worden waren.

Auf dem Hügel stand nur ein großer Baum. Ansonsten war nichts zu sehen, was als Spur hätte gedeutet werden können.

»Warum heißt es ›die vier Reiter‹?«, fragte sie. »Worum könnte es dabei gehen?«

»Das bezieht sich auf die Apokalypse. Es geht um die vier Reiter der Apokalypse, die in alle vier Himmelsrichtungen reiten. Ich glaube, das soll bedeuten, dass die Welt untergehen wird, falls wir das Schwert nicht finden.«

»Oder vielleicht heißt es auch«, überlegte sie, »dass die Welt untergeht, wenn wir es finden.«

Nachdenklich sah Caleb sie an. »Vielleicht«, erwiderte er leise.

Erneut sah er sich um. »Warum ausrechnet hier?«, fragte er. »Warum dieser Ort?«

Während Caitlin überlegte, hatte sie plötzlich eine Eingebung.

»Vielleicht geht es ja auch gar nicht um diesen Ort«, meinte sie. »Vielleicht geht es darum, diesen Ort zu verlassen – um die Reise an sich.«

»Wie meinst du das?«

»In der Schriftrolle ist die Rede vom Reisen, man verlässt einen Ort und begibt sich an einen anderen. Vielleicht sollen wir einfach diese Orte aufsuchen und die entsprechenden Wege zurücklegen, aber nicht notwendigerweise Dinge finden. Vielleicht geht es einfach nur um den Weg, die Reise

Verwirrt runzelte Caleb die Stirn.

»Wie bei diesen Leuten, die in die Maislabyrinthe gehen«, erklärte sie. »Der Weg ist das Ziel, aus diesem Grund tun sie es. Indem man in bestimmte Richtungen geht und bestimmten Mustern folgt, soll man sich angeblich irgendwie verändern.«

Caleb betrachtete sie anerkennend. Anscheinend gefiel ihm ihre Idee.

»Okay«, sagte er. »Das kann ich nachvollziehen. Aber trotzdem weiß ich nicht, wohin wir gehen sollen.«

»Na ja«, überlegte sie, »hier heißt es, ›sie verlassen das gemeinsame Land‹ und ›betreten einen Ring aus Blut‹. Unser nächster Anlaufpunkt wäre demnach der Ring aus Blut.«

»Und was soll das sein?«

Caitlin stand neben ihm und starrte auf den Plan. Die sechzehn historischen Sehenswürdigkeiten entlang des rund vier Kilometer langen Freedom Trail waren aufgeführt. Der bloße Anblick auf dem Plan überwältigte sie. Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie gehen sollten. Erneut betrachtete sie eine Sehenswürdigkeit nach der anderen, aber keine schien die Form eines Kreises oder eines Rings zu haben. Und ganz sicher gab es keinen Hinweis auf einen Ring aus Blut.

Auch die Bildunterschriften halfen nicht weiter.

Doch dann sah sie es.

Ganz unten auf dem Plan gab es eine Fußnote, unter der Bildunterschrift zum Old State House. Dort hieß es: Direkt vor dem Gebäude auf der Devonshire Street ereignete sich das Massaker von Boston.

»Hier!«, rief sie aufgeregt und zeigte darauf. »Das Massaker von Boston. Es gibt hier zwar keinen Ring, aber zweifellos wurde an dieser Stelle viel Blut vergossen.«

Sie sah Caleb fragend an. »Was meinst du?«

Nachdem er nochmals den Plan studiert hatte, nickte er ihr schließlich zu.

»Lass es uns versuchen.«

***

Caitlin und Caleb verließen den Park, bogen in die Court Street ein und steuerten auf die Bostoner Altstadt zu. Bald kam das Old State House in Sicht. Es war ein großes Backsteingebäude, das in den Anfangsjahren des achtzehnten Jahrhunderts errichtet worden war, mit historischen Sprossenfenstern und einem großen, weißen Turm. Das Bauwerk war in seiner Schlichtheit und Schönheit atemberaubend.

Sie umkreisten das Gebäude auf der Suche nach dem Schauplatz des Massakers von Boston. Als sie um eine Ecke bogen, standen sie plötzlich davor.

Abrupt blieben sie beide stehen.

Es war ein Ring – ein perfekter Kreis.

Die Stelle, die an das Massaker erinnerte, war klein, kaum größer als ein Gullydeckel. Caitlin und Caleb traten näher und betrachteten sie aufmerksam.

Es gab keine besondere Kennzeichnung: Es handelte sich lediglich um einen schlichten Kreis aus kleinen Kopfsteinen, die vor dem Old State House in den Boden eingelassen waren.

»Wir sind definitiv auf der richtigen Spur«, bemerkte Caleb.

»Warum?«

»Wegen des Balkons darüber«, erläuterte er und zeigte auf das Gebäude. »Von diesem Balkon aus wurde die amerikanische Unabhängigkeitserklärung erstmals verlesen.«

Neugierig betrachtete Caitlin den kleinen Balkon.

»Und?«

»Die Gründung des amerikanischen Staatenbundes war in Wahrheit die Gründung eines Vampirstaates. Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Glaubensfreiheit, keine religiösen Verfolgungen mehr. Eine kleine Gruppe von Leuten, die eine riesige und mächtige Nation eroberte. Glaubst du wirklich, eine kleine Gruppe Menschen hätte das bewerkstelligen können?