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Unsicher kniff er die Augen zusammen.

»Das Muster ist noch nicht ganz fertig, deshalb erkennst du es noch nicht. Schließlich haben wir erst drei Punkte aufgesucht. Aber ein vierter würde es vervollständigen.«

Sie zog eine letzte Linie, um das Muster fertigzustellen.

Die Kinnlade klappte ihm herunter, als er begriff.

»Ein Kreuz«, sagte er leise. »Wir sollten den Konturen eines Kreuzes folgen.«

»Ja«, bekräftigte sie aufgeregt. »Und wenn wir der Linie folgen, wenn wir das Kreuz symmetrisch vervollständigen, kann es nur auf einen Ort hindeuten.«

Mit den Augen verfolgten sie die Linie.

Genau dort am Ende der Linie, an der vierten Spitze des Kreuzes, lag der Friedhof von King’s Chapel.

»›Die, die sie liebten‹«, sagte Caleb. »Der Friedhof.«

»Dort ist er beerdigt«, ergänzte sie.

»Und ich wette, dass sich dort auch das Schwert befindet.«

***

Samantha ließ die Außenbezirke von Boston hinter sich und steuerte den BMW zügig den Highway entlang. Das Ziel hieß Salem. Sam saß auf dem Beifahrersitz. Samantha ärgerte sich immer mehr über die wachsenden Schwierigkeiten bei der Suche nach Sams Dad. Als sie die Nachrichten auf Facebook gesehen hatte, nachdem Sam ihr voller Aufregung erzählt hatte, dass er in Kontakt mit seinem Vater stand, war sie überzeugt gewesen, dass alles ganz leicht werden würde. Sie würde ihn einfach zu seinem Vater bringen, und daraus würde sich der direkte Weg zum Schwert ergeben.

Doch die Dinge hatten sich komplizierter gestaltet. Diesen widerlichen Kerl hatte sie nicht auf der Rechnung gehabt, aber vor allem hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie Gefühle für Sam entwickeln könnte. Das machte die Dinge nur noch komplizierter und trübte ihre Wahrnehmung. Ihr ursprünglicher Plan war so simpel gewesen: Sie wollte seinen Dad finden, beide umbringen und mit dem Schwert zurückkehren. Inzwischen war sie sich nicht mehr sicher, ob sie Sam überhaupt töten wollte. Sie sah die frische Wunde an seiner Wange, eine ständige Erinnerung daran, dass er versucht hatte, sie zu retten.

Mehr als alles andere war sie wütend auf sich selbst, auf ihren Mangel an Selbstdisziplin. Sie hasste Gefühle – sie kamen einem bloß immer in die Quere.

Nachdem seine Uhr sie auf die Spur nach Salem gebracht hatte, hätte sie sich seiner entledigen können. Aber aus irgendeinem verrückten Grund wollte sie ihn bei sich haben – sie verstand sich selbst nicht mehr. Also hatte sie ihm gesagt, sie bräuchte seine Hilfe bei etwas, das ihr wichtig wäre. Dazu müssten sie nach Salem fahren. Ob er dabei wäre? Daraufhin hatte er über das ganze Gesicht gestrahlt. Es war mehr als offensichtlich, dass er keine Lust hatte, in die Schule zurückzukehren.

Außerdem konnte sie ihn weiterhin benutzen, um seinen Dad aufzuspüren. Das mit der Uhr war ein Glücksfall gewesen. Salem war jedoch kein kleiner Ort, und diese alte Gravur konnte alles bedeuten. Daher könnte es sich tatsächlich als nützlich erweisen, ihn dabeizuhaben.

Plötzlich spürte sie etwas und ging abrupt in die Eisen. Kreischend kam der Wagen mitten auf dem Highway zum Stehen.

»Hoppla!«, rief Sam, während er sich mit den Händen am Armaturenbrett abstützte. »Was soll das denn?«

Mehrere Autofahrer mussten ihnen mit quietschenden Reifen ausweichen und hupten empört.

Aber Samantha war das völlig egal. Sie hatte irgendwelche Schwingungen aufgefangen.

Hochkonzentriert reckte sie das Kinn und horchte in sich hinein.

Ja. Da war es wieder. Ganz in der Nähe. Das Signal war unmissverständlich. Bedeutende Vampiraktivitäten fanden statt, und zwar hier in Boston. Sie konnte das Pulsieren der Schwingungen in ihren Adern spüren. Sie strahlten eine gewisse Dringlichkeit aus. Vielleicht hatte das Ganze sogar etwas mit dem Schwert zu tun.

Völlig unvermittelt wendete sie um hundertachtzig Grad und zwang die übrigen Verkehrsteilnehmer damit zu waghalsigen Manövern. Der BMW raste den Storrow Drive in der entgegengesetzten Richtung entlang.

Sam wurde gegen die Tür geschleudert und klammerte sich Halt suchend an den Türgriff.

»Wozu die Eile?«, fragte er überrascht und ein wenig erschrocken.

Nach einigen Hundert Metern bog Samantha quietschend nach links ab und überquerte dabei unerschrocken vier Fahrspuren.

»Eine kleine Planänderung«, erwiderte sie nur.

***

Kyle sprang schon von der Jacht, bevor sie überhaupt angelegt hatte, und landete geschickt auf dem Kopfsteinpflaster Bostons. Kurz darauf stand Sergei neben ihm.

Auf der Überfahrt hatte er mehrmals daran gedacht, den Russen zu töten, doch das hätte ihm nur vorübergehend Freude bereitet und ihm nicht das verschafft, was er so dringend brauchte. Also hatte er beschlossen, ihm eine letzte Chance zu geben.

Wenn Sergei auch in Boston keine Anhaltspunkte fand, wo das Mädchen war, würde er ihn ganz bestimmt umbringen und einen anderen Weg finden. Ungeduldig sah Kyle den Russen an.

Zumindest hatte er noch die große Wunde im Gesicht. Der Gedanke, dass der Sänger eine schöne, große Narbe zurückbehalten würde, gefiel Kyle außerordentlich.

Zum Glück leuchteten die Augen des Russen jetzt auf.

»Sie ist definitiv hier, mein Meister«, sagte er aufgeregt. »Ich spüre sie ganz deutlich. Sie kann nur wenige Blocks entfernt sein.«

Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Kyles Gesicht aus. Diesmal schien es zu stimmen. Ja, er glaubte ihm. Nur wenige Blocks entfernt. Das klang doch fantastisch.

Kyle ging auf eine glänzende neue Limousine zu, deren Fahrer bei laufendem Motor neben der geöffneten Tür stand.

Der Russe öffnete die Beifahrertür und stieg ein.

»He!«, rief der Fahrer.

Doch bevor er überhaupt reagieren konnte, hatte Kyle ihm schon einen kräftigen Fausthieb verpasst, der ihn einige Meter rückwärtsfliegen ließ. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm Kyle auf dem Fahrersitz Platz und fädelte sich in den Verkehr ein.

Dann raste er durch den dichten Bostoner Verkehr, scherte aus, nur weil es ihm Spaß machte, und rammte dabei einen anderen Wagen. Überall um ihn herum wurde kräftig gehupt. Er grinste breit. Jetzt fühlte er sich schon ein bisschen besser.

Innerhalb kürzester Zeit würde das Schwert ihm gehören.

Und dann würde er sie alle töten.

29.

Kapitel

Als Caitlin und Caleb die Meeting House Church verließen und in die School Street einbogen, konnten sie schon den Friedhof der King’s Chapel sehen. Er war nur zwei Blocks entfernt.

Die vierte Spitze des Kreuzes, dachte Caitlin. Es passt alles zusammen.

Beim Gehen dachte sie darüber nach, dass sie die ganze Zeit der Form eines Kreuzes gefolgt waren, als wären sie von einer unsichtbaren Hand geleitet worden.

Ihr Herz schlug immer schneller. Sie war aufgeregt und nervös, endlich ihren Vater zu treffen, wenn er denn noch lebte. Gleichzeitig wappnete sie sich auch dagegen, sein Grab zu sehen, falls er tot sein sollte. So oder so wusste sie nicht, wie sie darauf reagieren würde. Aber sie war auf jeden Fall sehr gespannt, zu erfahren, wer er war, von wem sie abstammte. Endlich würde sie Informationen über ihre Familie erhalten und herausfinden, was das Schicksal für sie bereithielt.

Gleichzeitig machte sie sich Sorgen, dass ihre Beziehung zu Caleb bald zu Ende sein könnte. Was würde passieren, wenn sie das Schwert tatsächlich fänden? Was würde er dann tun? Würde er gehen, um seinen Krieg zu führen und seinen Clan zu retten? Und was würde das für sie bedeuten?

Händchen haltend legten sie die letzten Meter zu dem Friedhof zurück. Sein Griff wurde fester. Vielleicht teilte er ja ihre Gedanken. Was auch immer sie in den nächsten Minuten finden würden, könnte ihrer beider Leben für immer verändern. Caitlin spürte, dass Rose sich tiefer in ihrer Jacke verkroch.

Die Sonne ging gerade unter, als sie den düsteren kleinen Friedhof der King’s Chapel betraten. Es handelte sich um den kleineren der beiden historischen Friedhöfe Bostons, der schon ziemlich in Vergessenheit geraten war. Er war nur etwa dreißig Meter breit und kaum länger. Kleine, bescheidene Grabsteine, Hunderte von Jahren alt, waren auf dem Gelände verteilt.