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Ein schmaler, gepflasterter Weg wand sich zwischen den Gräbern hindurch. Caitlin setzte Rose auf dem Boden ab, damit sie neben ihnen herlaufen konnte. Während sie jeden einzelnen Grabstein musterten und jede Inschrift lasen, klopfte Caitlins Herz heftig. Konnte das hier das Grab ihres Vaters sein? Oder das dort drüben?

Sie begannen ihre Suche ganz hinten in der letzten Reihe, gingen von Stein zu Stein und hielten nach einem Hinweis Ausschau. Bald stellte Caitlin fest, dass sie sich zu den größeren Grabmälern hingezogen fühlte – sie hoffte, dass ihr Vater eine bedeutende Persönlichkeit gewesen war und deshalb einen großen Grabstein bekommen hatte.

Doch sie konnten seinen Namen nirgendwo finden.

Als sie ihre Suche beendet hatten und wieder am Eingang gelandet waren, entdeckte Caitlin auf einmal, dass noch eine letzte Grabreihe übrig war. Sie lag direkt an der Straße, ganz dicht beim Eingang. Langsam schritten sie die Gräber ab.

Schließlich fanden sie es – ganz am Ende.

Auf dem Grabstein stand: Elizabeth Paine, gestorben 1692.

Es handelte sich um dieselbe Elizabeth Paine, auf die sie bereits in Salem gestoßen waren. Die Frau aus Hawthornes Der scharlachrote Buchstabe. Die Frau, die eine Beziehung mit einem Vampir eingegangen war, wie Caleb ihr erzählt hatte. Die Frau, die Caitlins Nachnamen trug. Hier war sie begraben.

War sie es, der sie die ganze Zeit auf der Spur gewesen waren? Hatte Caitlin nicht ihren Vater, sondern ihre Mutter gesucht?

Oder war Elizabeths Ehemann der Vampir gewesen?

Caleb kniete sich mit Caitlin neben das Grab. Auch Rose ließ sich nieder und starrte den Grabstein an.

»Das ist der Ort«, sagte er voller Ehrfurcht. »Hierher sollten wir kommen. Das ist ihre letzte Ruhestätte. Sie ist deine Vorfahrin.«

Caitlin war verwirrt. »Dann haben wir also die ganze Zeit nach meiner Mom gesucht?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Caleb. »Es könnte sein, dass sie der Vampir war. Oder der Mann, den sie geheiratet hat.«

»Aber«, warf Caitlin ein, »heißt das, dass sie tot sind? Oder leben sie noch?«

Langsam schüttelte Caleb den Kopf. »Ich habe keine Ahnung«, gab er schließlich zu.

Erneut las er den Text auf der Schriftrolle: »… und finden die, die sie liebten, neben der vierten Spitze des Kreuzes.« Er ließ seinen Blick über den ganzen Friedhof schweifen. »Das muss der richtige Ort sein. Das hier sind ›die, die sie liebten‹. Das muss die vierte Spitze des Kreuzes sein. Es gibt sonst keine andere Möglichkeit«, sagte er nachdenklich. »Trotzdem sehe ich nichts, was auf das Versteck des Schwertes hindeutet. Du?«

Auch Caitlin sah sich erneut auf dem kleinen Gelände um, das inzwischen von der untergehenden Sonne rot angestrahlt wurde. Dann seufzte sie. Nein. Es gab keine einzige Spur.

Doch dann hatte sie plötzlich wieder eine Eingebung.

»Lies es noch einmal vor«, forderte sie. »Ganz langsam.«

»Und finden die, die sie liebten, neben der vierten Spitze des Kreuzes.«

»Neben«, wiederholte sie mit leuchtenden Augen.

»Was?«

»Es heißt neben der vierten Spitze des Kreuzes. Nicht an, sondern neben«, sprudelte sie hervor.

Gleichzeitig drehten sie sich um und betrachteten das große Steingebäude neben dem Friedhof.

Die King’s Chapel.

***

Als sie die leere Kirche betreten hatten, schloss Caleb das mächtige Portal hinter sich. Es fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Natürlich war die Kirche verschlossen gewesen, doch Caleb hatte das Portal mit seiner enormen Kraft aufgebrochen. Jetzt hatten sie die Kirche für sich.

In der wunderschönen kleinen Kapelle strömte das Sonnenlicht durch die bunten Fenster. Sofort war Caitlin von Ruhe und Frieden erfüllt. Der Innenraum war anheimelnd und elegant, die Kirchenbänke waren jeweils in einzelne Bereiche für Familien unterteilt und mit rotem Samt bezogen. Alles war sehr gut in Schuss, und sie fühlte sich, als wäre sie in einem anderen Jahrhundert gelandet.

Caleb trat neben sie, und gemeinsam sahen sie sich um. In der Luft lag eine ganz besondere Stille.

»Es ist hier«, sagte er. »Ich kann es fühlen.«

Und zum ersten Mal konnte auch Caitlin es spüren.

Nach und nach hatte sich ihre Wahrnehmung geschärft, und jetzt spürte sie deutlich die Anwesenheit des Schwertes. Sie war wie elektrisiert. Dabei wusste sie gar nicht, was sie aufregender fand: die Tatsache, dass das Schwert hier war, oder dass sie es jetzt auch spüren konnte.

Caitlin setzte Rose ab, schritt langsam den mit einem Teppich ausgelegten Mittelgang entlang und versuchte, mithilfe ihrer geschärften Sinne herauszufinden, wo das Schwert sein könnte. Ihr Blick blieb an der Kanzel am anderen Ende der Kapelle hängen.

Eine hübsche kleine Wendeltreppe führte zur Kanzel hinauf. Sie sah aus, als wäre von dort aus schon seit Jahrhunderten gepredigt worden. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich zu diesem Ort hingezogen.

»Ich spüre es auch«, sagte Caleb.

Sofort blieb sie stehen und sah ihn an.

»Geh nur«, forderte er sie auf. »Steig hinauf. Schließlich ist es dein Schwert und deine Familie.«

Also ging sie weiter und stieg langsam die Wendeltreppe hinauf. Rose blieb am Fuße der Stufen sitzen. Leise winselnd blickte sie zu Caitlin hinauf und ließ sie nicht aus den Augen.

Endlich erreichte Caitlin die Kanzel, die gerade eben genug Platz für eine Person bot, und musterte die schönen Holzschnitzereien. Nirgends war ein Versteck zu erkennen, es gab nur ein Holzgeländer, das einen Halbkreis formte und ihr bis an die Brust reichte. Das Holz fühlte sich ganz glatt an, abgenutzt über die Jahrhunderte. Aber nirgendwo war ein Fach oder eine Schublade zu sehen.

Doch dann entdeckte sie etwas.

In dem Holz befand sich eine ganz schwache Einbuchtung, die überstrichen worden war. Sie hatte die Form eines winzigen Kreuzes – ungefähr so groß wie das Kreuz an ihrer Halskette.

Als sie an der Einbuchtung kratzte, blätterte ein wenig Farbe ab. Ein Schlüsselloch kam zum Vorschein.

Caitlin nahm ihre Halskette ab und schob das kleine Kreuz in das Schlüsselloch. Es passte tadellos.

Als sie es vorsichtig drehte, klickte es leise.

Dann zog sie daran, aber nichts tat sich. Als sie fester zog, hörte sie, wie noch mehr Farbe abplatzte. Die Scharniere waren komplett übermalt worden. Mit den Fingernägeln versuchte sie, die Farbe wegzukratzen. Dann schob sie die Finger in den schmalen Spalt, der sich nun zeigte, und zog kraftvoll. Inzwischen war der Umriss eines hohen, schmalen Fachs zu erkennen. Wieder zog sie.

Und jetzt öffnete sich das Fach.

Abgestandene Luft und eine Staubwolke quollen daraus hervor.

Als der Staub sich gelegt hatte, riss Caitlin erstaunt die Augen auf.

Da war es. Das Schwert.

Es war schlichtweg atemberaubend. Der Griff war vollständig mit Gold und Juwelen überzogen. Ohne das Schwert berührt zu haben, konnte sie bereits seine Macht spüren.

Vorsichtig griff sie in das Fach und berührte das Schwert voller Ehrfurcht.

Sanft legte sie eine Hand auf den Griff und die andere auf die Schwertscheide. Dann nahm sie es langsam aus dem Fach heraus und hielt es in die Höhe, damit Caleb es ebenfalls sehen konnte.

Sie konnte sehen, wie ihm vor Staunen die Kinnlade herunterklappte.

Nun zog sie das Schwert langsam aus der Scheide, und mit einem leisen Klirren kam die Klinge zum Vorschein. Sie bestand aus einem Metall, das sie nicht kannte, und schimmerte anders als alles, was sie je gesehen hatte.

Die Energie, die das Schwert ausstrahlte, war überwältigend – sie fühlte sich an wie Elektrizität und strömte durch Caitlins Hand und ihren Arm.