Kate runzelte die Stirn. Einige Zeit lang hatte sie sich nun etwas angesehen, was sie als Architektur betrachtete, in Dimensionen der Entsprechung von Form und Funktion: War es nicht faszinierend, daß diese riesigen unterirdischen Konstruktionen eine konzentrische Symmetrie hatten, die ein wenig an mittelalterliche Burgen erinnerte, obwohl diese modernen Gebilde ohne jeden ästhetischen Plan gebaut wurden? Sie waren gebaut worden, einfach nur um ein wissenschaftliches Problem zu lösen. Sie fand das daraus entstandene Erscheinungsbild faszinierend.
Jetzt aber, da sie konfrontiert war mit dem, wozu diese Maschinen tatsächlich benutzt wurden, hatte sie Schwierigkeiten zu begreifen, was ihre Augen eben gesehen hatten. Und ihre Architekturausbildung half ihr da absolut nicht weiter. »Aber diese Methode des, äh, Verkleinerns einer Person, das setzt doch voraus, daß man sie zerlegt —«
»Nein. Wir zerstören sie«, erwiderte Gordon unverblümt. »Man muß das Original zerstören, damit es am anderen Ende wieder aufgebaut werden kann. Das eine ohne das andere geht nicht.«
»Dann ist sie also gestorben?«
»Das würde ich nicht sagen, nein. Sehen Sie —«
»Aber wenn man eine Person an einem Ende zerstört«, sagte Kate, »ist sie dann nicht tot?«
Gordon seufzte. »Das ist mit traditionellen Begriffen schwer zu umschreiben. Da man genau im selben Augenblick, in dem man zerstört wird, wiederaufgebaut wird, wie kann man da sagen, daß man gestorben ist? Man ist nicht gestorben. Man wurde einfach woandershin bewegt.«
Stern war sich sicher — es war ein körperliches Gefühl in der Magengrube —, daß Gordon über diese Technologie nicht ganz die Wahrheit sagte. Allein schon beim Anblick dieser bogenförmigen Wasserschilde und all der verschiedenen Maschinen, die auf dem Boden herumstanden, hatte er den Eindruck, daß hier noch einiges unerklärt geblieben war. Er versuchte es herauszufinden.
»Sie ist jetzt in dem anderen Universum?« fragte er.
»Genau.«
»Sie haben sie übertragen, und sie ist jetzt im anderen Universum angekommen. Wie ein Fax?«
»Genau.«
»Aber um sie wiederaufzubauen, brauchen Sie am anderen Ende ein Faxgerät.«
Gordon schüttelte den Kopf. »Nein, brauchen wir nicht«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Weil sie bereits dort ist.«
Stern runzelte die Stirn. »Sie ist bereits dort? Wie kann das sein?« »Im Augenblick der Übertragung ist die Person bereits im anderen Universum. Und deshalb muß sie von uns nicht mehr aufgebaut werden.«
»Warum?« fragte Stern.
»Für den Augenblick betrachten Sie es einfach als ein Charakteristikum des Multiversums. Wenn Sie wollen, können wir später noch eingehender darüber sprechen. Ich weiß nicht so recht, ob man alle mit diesen Detailproblemen belästigen sollte«, sagte er und nickte zu den anderen.
Da ist wirklich noch mehr, dachte Stern. Etwas, das er uns nicht sagen will. Stern sah sich noch einmal den Übertragungsbereich an. Versuchte, das zu finden, was hier nicht stimmte. Denn er war sich ganz sicher, daß etwas nicht stimmte.
»Haben Sie uns nicht gesagt, daß Sie bis jetzt nur ein paar Leute zurückgeschickt haben?« »Das stimmt, ja.«
»Mehrere gleichzeitig?« . »Fast nie. Ganz selten zwei.«
»Wozu haben Sie dann so viele Maschinen?« fragte Stern. »Ich zähle da draußen acht. Würden zwei nicht reichen?«
»Was Sie hier sehen, sind nur die Resultate unseres
Forschungsprogramms«, sagte Gordon. »Wir versuchen beständig,
unser Design zu verbessern.«
Gordon hatte zwar sehr schlüssig geantwortet, aber Stern war überzeugt, daß er etwas — ein leichtes Unbehagen — in seinen Augen gesehen hatte.
Da steckt auf jeden Fall noch was dahinter.
»Ich hätte mir gedacht«, sagte Stern, »daß Sie Verbesserungen an existierenden Maschinen anbringen.«
Gordon zuckte die Achseln und schwieg.
Auf jeden Fall.
»Was tun denn diese Reparaturmechaniker da drin?« Stern ließ nicht locker. Er deutete zu den Männern, die auf Händen und Knien am
Sockel einer Maschine arbeiteten. »Ich meine bei der Maschine dort in der Ecke. Was genau reparieren die?«
»David«, setzte Gordon an. »Ich glaube wirklich -«
»Ist diese Technologie wirklich sicher!« fragte Stern.
Gordon seufzte. »Sehen Sie es sich selbst an.«
Auf dem großen Bildschirm war eine Reihe schneller Blitze auf dem
Boden des Transitraums zu sehen.
»Da kommt sie wieder«, sagte Gordon.
Die Blitze wurden heller. Dann war das Knattern wieder zu hören, zuerst leise, dann immer lauter. Und dann stand der Käfig wieder in voller Größe da, das Summen verstummte, weißer Dunst waberte über den Boden, und die Frau trat heraus und winkte den Zuschauern zu. Stern musterte sie. Sie schien völlig in Ordnung zu sein. Ihr Aussehen war genauso wie zuvor.
Gordon schaute ihn an. »Glauben Sie mir«, sagte er. »Es ist vollkommen sicher.« Er drehte sich zum Monitor. »Wie sieht's dort aus, Sue?«
»Ausgezeichnet«, antwortete sie. »Der Landeplatz liegt an der Nordseite des Flusses. Abgeschiedene Stelle, mitten im Wald. Und das Wetter ist ziemlich gut, für April.« Sie sah auf die Uhr. »Machen Sie IhrTeam fertig, Dr. Gordon. Ich brenne jetzt den Ersatzmarker. Und dann gehen wir zurück und holen den alten Knaben raus, bevor jemand ihm was tun kann.«
Bitte legen Sie sich auf die linke Seite.« Kate drehte sich auf dem Untersuchungstisch und sah mit leichtem Unbehagen zu, wie ein älterer Mann im weißen Labormantel etwas hob, das aussah wie eine Kleberpistole, und über ihr Ohr hielt. »Das fühlt sich jetzt etwas warm an.«
Warm? Sie spürte ein heftiges Brennen im Ohr. »Was ist das?« »Es ist ein organisches Polymer«, sagte der Mann. »Ungiftig und nicht allergen. Bleiben Sie acht Sekunden so. Gut, und jetzt machen Sie bitte Kaubewegungen. Wir wollen, daß es etwas lockerer sitzt. Sehr gut, kauen Sie weiter.«
Kurz darauf war er wieder bei ihr. Er bat sie, sich umzudrehen und injizierte ihr das Polymer ins andere Ohr. Gordon sah von einer Ecke des Zimmers aus zu. Er sagte: »Das ist zwar noch ein bißchen experimentell, aber bis jetzt hat es gut funktioniert. Das Polymer beginnt nach einer Woche, sich biologisch abzubauen.«
Etwas später ließ der Mann sie alle aufstehen und zog ihnen mit geschickten Fingern die Plastikimplantate aus den Ohren.
Kate sagte zu Gordon: »Mein Gehör ist sehr gut, ich brauche kein
Hörgerät.«
»Das ist kein Hörgerät«, sagte Gordon. Am anderen Ende des Zimmers bohrte der Mann Löcher in die Plastikohrstöpsel und baute Elektronik hinein. Er arbeitete überraschend schnell. Danach verschloß er die Löcher wieder mit Polymer.
»Es ist ein Sprachübersetzungscomputer und ein Funkmikrofon. Für den Fall, daß Sie verstehen müssen, was die Leute zu Ihnen sagen.« »Aber auch wenn ich verstehe, was sie sagen«, fragte Kate, »wie kann ich Ihnen antworten?«
Marek stieß sie an. »Mach dir keine Gedanken. Ich spreche Pro-venzalisch. Und Mittelfranzösisch.«
»Ach, dann ist es ja gut«, erwiderte sie sarkastisch. »Wirst du es mir in den nächsten fünfzehn Minuten beibringen?« Sie war nervös; gleich würde sie zerstört oder vaporisiert werden oder was immer die mit dieser Maschine machten, und die Worte sprudelten einfach aus ihr heraus.