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Kate war gerade mit dem Anziehen fertig, als Susan Gomez, die junge Frau, die eben die Reise bereits gemacht hatte, in den Umkleideraum trat. Gomez trug Kleidung der damaligen Zeit und eine Perücke. Eine zweite warf sie Kate zu. Kate verzog das Gesicht.

»Sie müssen sie tragen«, sagte Gomez. »Kurze Haare bei einer Frau sind ein Zeichen von Schande oder von Ketzerei. Sie dürfen nie irgend jemand da drüben Ihre echte Haarlänge sehen lassen.«

Kate zog die Perücke über, dunkelblonde Haare, die ihr bis zu den

Schultern reichten. Sie drehte sich zum Spiegel und sah das Gesicht einer Fremden. Sie sah jünger aus, weicher. Schwächer.

»Entweder die Perücke«, sagte Gomez, »oder Sie schneiden Ihre Haare ganz kurz, wie ein Mann. Ihre Entscheidung.«

»Ich trage die Perücke«, sagte Kate.

Diane Kramer sah Victor Baretto an und sagte: »Aber das ist schon immer die Vorschrift gewesen, Victor. Sie wissen das.« »Ja, aber das Problem ist«, sagte Baretto, »daß Sie uns jetzt mit einer neuen Mission beauftragen.« Baretto war ein schlanker, hart und zäh wirkender Mann, ein Ex-Ranger, der seit zwei Jahren für die Firma arbeitete. In dieser Zeit hatte er sich einen Ruf als kompetenter, allerdings auch etwas kapriziöser Sicherheitsmann erworben. »Jetzt verlangen Sie von uns, daß wir die Welt betreten, aber Sie lassen uns keine Waffen mitnehmen.«

»Das ist richtig, Victor. Keine Anachronismen. Keine modernen Gegenstände auf einer Reise in die Vergangenheit. Das war die Vorschrift von Anfang an.« Kramer versuchte, ihren Ärger zu verbergen. Diese militärischen Typen waren schwierig, vor allem die Männer. Frauen, wie Gomez, waren ganz okay. Aber die Männer versuchten auf den Reisen in die Vergangenheit immer »ihre Ausbildung anzuwenden«, wie sie es nannten,und das funktionierte nie richtig. Insgeheim dachte Kramer, daß die Männer hinter diesem Getue nur ihre Angst versteckten, aber so etwas durfte sie natürlich nie sagen. Es war schwierig genug für diese Männer, Befehle von einer Frau wie ihr entgegenzunehmen.

Die Männer hatten auch mehr Probleme damit, ihre Arbeit geheimzuhalten. Den Frauen fiel das leichter, aber die Männer wollten mit ihren Reisen in die Vergangenheit prahlen. Natürlich war ihnen das vertraglich strengstens verboten, aber nach ein paar Drinks in einer Bar konnte man Verträge schon einmal vergessen. Das war der Grund, warum Kramer sie alle von der Existenz von gewissen, speziell gebrannten Navigationsmarkern unterrich-tet hatte. Diese Marker waren in die Mythologie der Firma eingegangen, einschließlich ihrer Namen: Tunguska, Vesuv, Tokio. Der Vesuv-Marker brachte einen in die Bucht von Neapel am 35. August des Jahres 79 nach Christus um sieben Uhr morgens, kurz bevor glühende Asche alle tötete. Tunguska setzte einen in Sibirien 1908 ab, kurz bevor der riesige Meteor einschlug und eine Druckwelle auslöste, die im Umkreis von mehreren hundert Kilometern alles Leben auslöschte. Tokio brachte einen im Jahr 1923 in diese Stadt, kurz bevor das Beben sie dem Erdboden gleichmachte. Es ging das Gerücht, falls etwas über das Projekt an die Öffentlichkeit gelangte, könne es passieren, daß man für die nächste Reise einen falschen Marker ausgehändigt bekam. Aber keiner der Ex-Militärs wußte, ob etwas Wahres daran war oder ob es sich nur um eine Firmenlegende handelte. Und genauso wollte Kramer es auch haben.

»Das ist eine neue Mission«, sagte Baretto noch einmal, als hätte sie ihn zuvor nicht gehört. »Sie verlangen von uns, daß wir die Welt betreten — hinter die feindlichen Linien gehen, sozusagen —, und zwar ohne jede Bewaffnung.«

»Aber Sie sind doch alle im Nahkampf ausgebildet. Sie, Gomez, Sie alle.«

»Ich glaube nicht, daß das reicht.« »Victor.«

»Bei allem Respekt, Ms. Kramer, aber ich glaube nicht, daß Sie den Ernst der Lage hier begreifen«, sagte Baretto stur. »Sie haben bereits zwei Personen verloren. Drei, wenn Sie Traub mitrechnen.« »Nein, Victor. Wir haben nie jemanden verloren.« »Traub auf jeden Fall.«

»Wir haben Traub nicht verloren«, entgegnete sie. »Traub reiste aus eigener Entscheidung, und Traub hatte Depressionen.« »Sie nehmen an, daß er Depressionen hatte.« »Wir wissen es, Victor. Nach dem Tod seiner Frau war er sehr depressiv und selbstmordgefährdet. Und obwohl er sein Reiselimit bereits überschritten hatte, wollte er noch einmal gehen, um zu sehen, ob er die Technologie noch verbessern könnte. Er hatte eine Idee, wie er die Maschine so modifizieren könnte, daß sie weniger Transkriptionsfehler produziert. Aber anscheinend war seine Idee falsch. Das war der Grund, warum er in der Wüste von Arizona endete. Ich persönlich glaube ja, daß er gar nicht wirklich die Absicht hatte zurückzukehren. Ich glaube, es war Selbstmord.« »Und Sie haben Rob verloren«, sagte Baretto. »Das war verdammt noch mal kein Selbstmord.«

Kramer seufzte. Rob Deckard war einer der ersten Beobachter gewesen, die zurückgegangen waren, damals vor fast zwei Jahren. Und er war einer der ersten, die Transkriptionsfehler zeigten. »Das war viel früher im Projekt, Victor. Die Technologie war nicht so ausgereift. Und Sie wissen, was passiert ist. Nachdem Rob einige Reisen gemacht hatte, zeigten sich bei ihm gewisse kleinere Auswirkungen. Er bestand darauf weiterzumachen. Aber wir haben ihn nicht verloren.« »Er ging und kam nie mehr zurück«, sagte Baretto. »Um das geht's.« »Robert wußte genau, was er tat.« »Und jetzt der Professor.«

»Wir haben den Professor nicht verloren«, sagte sie. »Er ist noch am Leben.«

»Das hoffen Sie. Aber Sie wissen nicht, warum er nicht mehr zurückgekommen ist.« »Victor —«

»Ich will damit nur sagen«, warf Baretto dazwischen, »daß in diesem

Fall die Logistik nicht dem Anforderungsprofil der Mission entspricht.

Sie verlangen von uns, daß wir unnötige Risiken eingehen.«

»Sie müssen ja nicht gehen«, entgegnete Kramer sanft.

»Nein, verdammt. Das habe ich nie gemeint.«

»Sie müssen nicht.«

»Natürlich gehe ich.«

»Na gut, und das sind die Vorschriften. Keine moderne Technologie kommt in diese Welt. Verstanden?«

»Verstanden.«

»Und kein Wort von all dem zu den Akademikern.« »Nein, nein. Verdammt, ich bin Profi.« »Okay«, sagte Kramer.

Sie sah ihm nach. Er schmollte zwar, aber er fügte sich. Am Ende taten sie das immer. Und die Vorschrift ist wichtig, dachte sie. Obwohl Doniger immer wieder gerne darüber dozierte, daß man die Vergangenheit nicht ändern könne, wußte es niemand so ganz genau — und niemand wollte es riskieren. Sie wollten nicht, daß moderne Waffen oder Artefakte, vor allem aus Plastik, in die Vergangenheit gelangten.

Und bis jetzt war es auch noch nicht passiert.

Stern saß mit den anderen auf harten Stühlen in einem Zimmer mit Karten. Susan Gomez, die Frau, die eben mit der Maschine zurückgekehrt war, redete auf eine forsche, schnelle Art, die Stern übertrieben fand.

»Wir reisen«, sagte sie, »zum Kloster Sainte Mere, am Fluß Dor-dogne im Südwesten Frankreichs. Wir werden am Donnerstag, dem 7. April 1357, um acht Uhr vier dort eintreffen — das ist der Tag der Nachricht des Professors. Wir haben Glück, weil an diesem Tag in Castelgard ein Turnier stattfindet, das die Leute in Scharen aus der Umgebung anzieht, das heißt, man wird uns nicht bemerken.«

Sie klopfte auf eine Karte. »Nur zur Orientierung, hier ist das Kloster. Castelgard ist dort, am anderen Flußufer. Und die Festung von La Roque befindet sich auf diesem Steilufer hier, oberhalb des Klosters. Irgendwelche Fragen?« Sie schüttelten den Kopf.

»Na gut. Die Situation in diesem Gebiet ist ein bißchen unsicher. Wie Sie wissen, bedeutet April 1357, daß seit gut zwanzig Jahren der Hundertjährige Krieg herrscht. Es ist sieben Monate nach dem Sieg der Engländer bei Poitiers, bei dem der König von Frankreich gefangengenommen wurde. Der französische König wird nun als Geisel gehalten. Und Frankreich ohne König ist in Aufruhr. Im Augenblick ist Castelgard in den Händen von Sir Oliver de Vannes, einem englischen Ritter, der in Frankreich geboren wurde. Darüber hinaus hat Oliver La Roque eingenommen, wo er jetzt die Verteidigungsanlagen der Festung verstärkt. Sir Oliver ist ein unangenehmer Charakter mit notorisch aufbrausendem Gemüt. Man nennt ihn den Schlächter von Crecy, wegen seiner Exzesse in dieser Schlacht.«