»Ich weiß es nicht«, sagte Gordon und starrte die Bildschirme an. »Sieht fast aus wie eine Gra —«
Die Explosion blitzte durch den Transitraum, wuchs wie eine weiße Wolke auf den Bildschirmen und tauchte alles in gleißendes Licht. Im Kontrollraum war das Geräusch merkwürdig verzerrt, es klang eher wie statisches Rauschen. Der Transitraum füllte sich sofort mit hellem Rauch.
»Scheiße«, sagte Gordon und schlug mit der Faust auf die Tischplatte.
Die Techniker im Transitraum schrien. Ein Mann hatte ein blutüberströmtes Gesicht. Im nächsten Augenblick wurde er zu Boden gerissen, denn aus den von Granatsplittern zerstörten Schilden schoß das Wasser heraus. Einen Meter hoch schwappte das Wasser im Transitraum, fast wie eine Brandung. Doch es floß sehr schnell ab, und der nun wieder nackte Boden fing an zu zischen und zu dampfen. »Das sind die Batterien«, sagte Gordon. »Sie verlieren Flußsäure.« Verdeckt von Rauchschwaden liefen Gestalten mit Gasmasken in den Raum und halfen den verletzten Technikern. Von oben krachten Stützbalken herunter und zerstörten die restlichen Wasserschilde. Weitere Balken krachten auf den Boden.
Im Kontrollraum gab jemand Gordon eine Maske und eine andere Stern. Gordon setzte seine auf.
»Wir müssen gehen«, sagte er. »Die Luft ist kontaminiert.« Stern starrte die Bildschirme an. Durch den Rauch konnte er erkennen, daß die anderen Maschinen größtenteils zerstört auf dem Boden lagen und Dampf und hellgrünes Gas herauszischte. Nur eine einzige stand noch etwas abseits, und noch während er hinsah, krachte ein weiterer Balken herunter und zerschmetterte sie. »Es gibt keine Maschinen mehr«, sagte Stern. »Heißt das -« »Ja«, erwiderte Gordon. »Ich fürchte, vorerst sind Ihre Freunde auf sich selbst gestellt.«
36:30:00
Reg dich nicht auf, Chris«, sagte Marek.
»Ich soll mich nicht aufregen?« Chris schrie es beinahe. »Schau doch mal her, um Himmels willen, Andre — ihr Marker ist kaputt. Wir haben keinen Marker. Was bedeutet, wir haben keine Möglichkeit mehr heimzukommen. Was bedeutet, daß wir absolut in der Scheiße sitzen, Andre. Und du willst, daß ich mich nicht aufrege'?« »Genau, Chris«, sagte Marek mit sehr ruhiger, gelassener Stimme. »Genau das will ich. Bitte, reg dich nicht auf. Ich will, daß du dich zusammennimmst.«
»Warum zum Teufel sollte ich das?« fragte Chris. »Wozu? Sieh den Tatsachen ins Auge, Andre: Wir werden hier alle umgebracht. Es gibt für uns keinen Ausweg mehr.« »Doch, den gibt es.«
»Ich meine, wir haben ja nicht mal was zu essen, wir haben rein gar nichts, wir stecken hier in diesem ... diesem Scheißloch fest, ohne irgendwas, und —« Er hielt inne und wandte sich Marek zu. »Was hast du gesagt?«
»Ich habe gesagt, es gibt einen Ausweg.« »Wie?«
»Überleg doch mal. Die andere Maschine ist zurückgekehrt. Nach New
Mexico.«
»Und?«
»Sie werden sehen, in welchem Zustand er ist -«
»Tot, Andre. Sie werden sehen, daß er tot ist.«
»Wichtig ist doch, sie werden merken, daß was nicht stimmt. Und dann kommen sie uns holen. Sie schicken uns eine andere Maschine«, sagte
Marek.
»Woher weißt du das?«
»Weil sie es tun werden.« Marek drehte sich um und ging den Hügel hinunter.
»Wo gehst du hin?«
»Kate suchen. Wir müssen zusammenbleiben.« »Ich rühre mich nicht vom Fleck.« »Wie du willst. Aber dann bleib wirklich hier.« »Keine Angst. Ich bin hier.«
Marek trottete davon und verschwand hinter einer Biegung des Pfads. Chris war allein. Und fast sofort fragte er sich, ob er nicht doch lieber laufen und Marek einholen sollte. Vielleicht war es besser, nicht allein zu sein. Zusammenbleiben, wie Marek gesagt hatte. Er ging ein paar Schritte den Hügel hinunter und blieb dann wieder stehen. Nein, dachte er. Er werde hierbleiben, hatte er gesagt. Nun stand er da und versuchte, seine Atmung zu beruhigen. Als er den Kopf senkte, sah er, daß er auf Gomez' Hand stand. Er trat schnell zur Seite und ging ein Stückchen den Pfad hoch, um eine Stelle zu finden, von wo aus er die Leiche nicht sehen konnte. Seine Atmung wurde wirklich langsamer. Er konnte wieder einen klaren Gedanken fassen. Marek hatte recht. Sie würden eine andere Maschine schicken, und wahrscheinlich schon sehr bald. Ob sie genau hier landen würde? War das ein bekannter Platz für Landungen? Oder würde es nur irgendwo in der weiteren Umgebung sein?
Wie auch immer, Chris war sicher, daß er genau da bleiben sollte, wo er war.
Er schaute den Pfad hinunter, in die Richtung, in der Marek verschwunden war. Wo Kate jetzt wohl war? Vermutlich ein Stückchen weiter unten. Ein paar hundert Meter, vielleicht ein bißchen mehr. O Gott, er wollte nach Hause.
Plötzlich hörte er im Wald rechts von sich ein Krachen. Jemand kam näher.
Er verkrampfte sich, denn ihm wurde bewußt, daß er keine Waffe hatte. Dann erinnerte er sich an den Beutel, der unter seiner Kleidung am Gürtel hing. Er hatte ja diesen Gaskanister. Besser als nichts. Er tastete unter seinem Wams herum, suchte nach dem — »Pst.«
Er drehte sich um.
Ein Junge kam aus dem Wald. Sein Gesicht war glatt und bartlos, und er konnte nicht mehr als zwölf sein, wie Chris erkannte. Der Junge flüsterte: »Arkith.Thou. Earwashmann.«
Chris runzelte die Stirn, weil er nichts verstand, aber kurz darauf hörte er eine blecherne Stimme in seinem Ohr: »He. Ihr da. Irischmann.« Sein Ohrstöpsel übersetzte. »Was?« fragte er.
»Coumen hastealy.« Im Ohr hörte er: »Kommt schnell.« Der Junge winkte ihm, hektisch, eindringlich. »Aber...«
»Kommt. Sir Guy wird bald merken, daß er die Fährte verloren hat.
Und dann kehrt er zurück, um sie wiederaufzunehmen.«
»Aber...«
»Ihr könnt hier nicht bleiben. Er tötet Euch. Kommt!«
»Aber...« Chris deutete hilflos den Pfad hinunter, wo Marek verschwunden war.
»Euer Diener wird Euch finden. Kommt!«
Jetzt hörte er das entfernte Donnern von Pferdehufen, das schnell lauter wurde.
»Seid Ihr dumm?« fragte der Junge und starrte ihn an. »Kommt!« Das Donnern kam immer näher.
Chris stand wie erstarrt da, er wußte nicht, was er tun sollte. Der Junge verlor die Geduld. Mit einem entrüsteten Kopfschütteln drehte er sich um und rannte in den Wald. Im dichten Unterholz war er sofort verschwunden.
Chris stand allein auf dem Pfad. Er schaute den Hügel hinunter. Von
Marek war nichts zu sehen. Dann schaute er den Hügel hoch, in die
Richtung der näher kommenden Pferde. Sein Herz hämmerte wieder.
Er mußte sich entscheiden. Schnell.
»Ich komme«, rief er dem Jungen nach.
Dann drehte er sich um und rannte in den Wald.
Kate saß auf einem umgestürzten Baumstamm und berührte behutsam ihren Kopf, auf dem die Perücke verrutscht war. Sie sah Blut auf ihren Fingerspitzen.
»Bist du verletzt?« fragte Marek, der eben zu ihr stieß. »Ich glaube nicht.« »Laß mal sehen.«
Als Marek ihr die Perücke abnahm, sah er blutverklebte Haare und einen knapp acht Zentimeter langen Riß in der Kopfhaut. Die Wunde blutete nicht mehr stark, das Blut gerann bereits auf dem Netz der Perücke. Die Verletzung sollte eigentlich genäht werden, aber es würde auch ohne gehen.
»Du wirst es überleben.« Er setzte ihr die Perücke wieder auf den Kopf.
»Was ist passiert?« fragte sie.
»Diese beiden anderen sind tot. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt. Chris ist ein bißchen in Panik.«