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»Sprecht Ihr mit der Luft? Seid Ihr bei Sinnen?«

»Ja«, sagte Chris. »Ich bin bei Sinnen. Ich wünsche mir nur, daß meine

Gefährten in der Burg zu mir stoßen.«

»Warum?« fragte Marek.

»Ich bin mir gewiß, daß Eure Gefährten zur rechten Zeit zu Euch stoßen werden«, sagte der Junge. »Erzählt mir von Euren Gefährten. Sind auch sie Iren? Sind sie Edle wie Ihr oder Diener?«

In seinem Ohr hörte er Marek sagen: »Warum hast du ihm gesagt, daß du edel bist?«

»Weil es mir entspricht.«

»Chris. >Edel< bedeutet, daß du von Adel bist. Edelmann, Edelfrau. Es bedeutet von hoher Geburt. Damit ziehst du nur die Aufmerksamkeit auf dich und provozierst peinliche Fragen nach deiner Familie, die du nicht beantworten kannst.« »Oh«, sagte Chris.

»Gewiß entspricht es Euch«, sagte der Junge. »Und Euren copains ebenso? Sind sie ebenfalls Edle?«

»Ihr sprecht wahr«, sagte Chris. »Auch meine Gefährten sind Edle.« »Chris, verdammt noch mal«, sagte Marek durch den Ohrstöpsel. »Mach keine Faxen mit Sachen, die du nicht verstehst. Du beschwörst nur Schwierigkeiten herauf. Und wenn du so weitermachst, bekommst du sie auch.«

Marek, der am Rand des Hüttendorfes stand, hörte Chris sagen: »Sucht ihr einfach den Professor, okay?«, und dann stellte der Junge Chris eine andere Frage, die jedoch in statischem Rauschen untergingMarek drehte sich um und schaute über den Fluß zu Castelgard hinüber. Er sah den Jungen, der einige Schritte vor Chris ging. »Chris«, sagte Marek. »Ich kann dich sehen. Kehr um und triff dich hier mit uns. Wir müssen zusammenbleiben.« »Höchst schwierig.« »Warum?« fragte Marek frustriert.

Chris antwortete ihm nicht direkt. »Und wer, guter Knabe, sind wohl die Reiter am anderen Ufer?« Anscheinend redete er mit dem Jungen. Marek drehte den Kopf und entdeckte am Flußufer Reiter, die ihre Pferde saufen ließen und Chris und dem Jungen nachschauten. »Das ist Sir Guy de Malegant, genannt >Guy Tete Noire<. Er steht in den Diensten von Mylord Oliver. Sir Guy ist ein hochberühmter Mann — wegen seiner vielen Gemetzel und Schurkenstreiche.« Kate, die ebenfalls zuhörte, sagte: »Er kann nicht zu uns kommen wegen dieser Reiter.«

»Ihr sprecht wahr«, sagte Chris.

Marek schüttelte den Kopf. »Er hätte überhaupt nie weggehen sollen.« Hinter ihnen knarzte eine Tür, und Marek drehte sich um. Die vertraute Gestalt von Professor Johnston trat durch die Seitentür in der Klosterwand in die Sonne. Er war allein.

35:31:11

Edward Johnston trug ein dunkelblaues Wams und schwarze Beinlinge, schlichte Kleidung mit wenig Verzierung und Stickereien, die ihm ein konservatives, gelehrtes Aussehen gabe. Wirklich wie ein Londoner Schreiber auf einer Pilgerreise, dachte Marek. Wahrscheinlich war Geoffrey Chaucer, ein anderer Schreibern dieser Zeit, auf seiner Pilgerreise ähnlich gekleidet gewesen.

Der Professor trat achtlos in die Morgensonne und taumelte dann ein wenig. Sie stürzten sofort zu ihm und sahen daß er keuchte. Seine ersten Worte waren: »Habt ihr einen Marker?« »Ja«, sagte Marek. »Seid ihr nur zu zweit?«

»Nein, Chris ist auch dabei. Aber er ist nicht hier.« Johnston schüttelte leicht verärgert den Kopf. »Na gut. Ganz schnell die Lage. Oliver ist in Castlegard« - er nickte Richtung der Stadt am anderen Ufer - »aber er will nach La Roque umziehen , bevor Arnaut eintrifft. Seine größten Befürchtungen geltendem Geheimgang, der nach La Roque führt. Oliver will wissen, wo er ist. Jeder hier in der Gegend will ihn unbedingt entdecken, weil sowohl Oliver als auch Arnaut ihn dringend brauchen. Er ist der Schlüssel zu allem. Die Leute hier halten mich für weise. Der Abt hat mich gebeten, in den alten Dokumenten zu forschen, und ich habe herausgefunden-«

Die Tür hinter ihnen öffnete sich, und Soldaten in kastanienbraunen und grauen Überwürfen stürzten auf sie zu. Sie packten Marek und Kate, stießen sie grob in den Staub, und Kate hätte beinahe ihre Perücke verloren. Mit dem Professor dagegen gingen sie sehr behutsam und respektvoll um, sie rührten ihn nicht an, als wollten sie ihm nur Geleitschutz geben. Marek, der wieder aufstand und sich den Staub abklopfte, kam es so vor, als hätten sie den Befehl, ihm kein Haar zu krümmen.

Marek sah schweigend zu, wie Johnston und die Soldaten ihre Pferde bestiegen und auf der Straße davonritten. »Was sollen wir tun?« flüsterte Kate.

Der Professor tippte sich ans Ohr. In einem Singsang, als würde er beten, hörten sie ihn sagen: »Folget mir. Ich will versuchen, uns alle zusammenzubringen. Ihr holt Chris.«

35:25:18

Chris und der Junge erreichten nun den Eingang zu Castelgard: ein Flügeltor, mit starken Eisenbändern verstärkt. Das Tor stand offen und wurde von einem Soldaten mit einem Überwurf in Kastanienbraun und Grau bewacht. Er empfing sie mit den Worten: »Wollt Ihr ein Zelt aufstellen? Ein Tuch auslegen? Kostet Euch fünf Sol, wenn Ihr am Turniertag auf dem Markt was verkaufen wollt.« »Non sumus mercatores«, sagte der Junge. »Wir sind keine Händler.« Chris hörte den Posten antworten: »Anthoubeest, ye schule payen. Quinquesols maintenant, aut decem postea.« Aber die Übersetzung folgte nicht sofort; offenbar sprach der Mann eine merkwürdige Mischung aus Englisch, Französisch und Latein. Dann hörte er: »Wenn Ihr welche seid, müßt Ihr zahlen. Fünf Sol jetzt, oder zehn später.«

Der Junge schüttelte den Kopf. »Seht Ihr irgendwo Waren?«

»Herkle, non.« Im Ohrstöpseclass="underline" »Beim Herkules, nein.«

»Dann nehmt das als Antwort«, erwiderte der Junge.

Trotz seiner Jugend sagte er dies mit scharfer Stimme, als wäre er ans

Befehlen gewöhnt. Der Soldat zuckte nur die Achseln und wandte sich um. Der Junge und Chris traten durch das Tor.

Direkt hinter der Mauer befanden sich einige Bauernhäuser und eingezäunte Grundstücke. Die Gegend roch stark nach Wein. Sie gingen vorbei an strohgedeckten Häusern und Pferchen mit grunzenden Schweinen und stiegen dann Treppen hoch zu einer gewundenen, kopfsteingepflasterten Straße mit steinernen Gebäuden zu beiden Seiten. Jetzt waren sie in der eigentlichen Stadt. Die Straße war schmal und sehr belebt und die Gebäude zwei-stöckig, wobei der obere Stock überhing, so daß kein Sonnenlicht auf die Straße fiel. Alle Gebäude hatten im Erdgeschoß geöffnete Läden: ein Schmied, ein Schreiner, der auch Fässer machte, ein Schneider und ein Fleischer. Der Fleischer, in einer bespritzten Ö1 tuchschürze, schlachtete eben ein quiekendes Schwein auf dem Kopfsteinpflaster vor seinem Geschäft, und sie mußten dem fließenden Blut und den Schlingen blassen Gedärms ausweichen.

Es ging sehr laut her in dieser Straße, und der Gestank war für Chris fast unerträglich. Bald kamen sie zu einem gepflasterten Platz mit einem überdachten Markt in der Mitte. Auf ihrem Ausgrabungsgelände in der Gegenwart war diese Stelle nur eine grasbewachsene Fläche. Er blieb stehen, sah sich um und versuchte, das, was er kannte, mit dem zu vergleichen, was er jetzt sah.

Auf der anderen Seite des Platzes stand ein gutgekleidetes junges Mädchen mit einem Korb voller Gemüse, das nun zu dem Jungen geeilt kam und besorgt sagte: »Mein guter Sir, Eure lange Abwesenheit bekümmert Sir Daniel sehr.«

Der Junge schien nicht sehr erfreut, sie zu sehen. Verärgert erwiderte er: »Dann sag meinem Onkel, ich werde ihn zur gegebenen Zeit aufsuchen.«

»Es wird ihm eine große Freude sein«, sagte das Mädchen und verschwand in einer schmalen Gasse.

Der Junge führte Chris in eine andere Richtung. Er sagte nichts über diese Unterhaltung, sondern murmelte nur im Gehen vor sich hin. Sie kamen nun zu einer freien Fläche direkt vor der Burg. Es war ein lebendiger und farbenfroher Platz, mit vielen Rittern, die, ihre flatternden Banner präsentierend, auf ihren Pferden paradierten. »Viele Besucher heute«, sagte der Junge, »wegen des Turniers.« Direkt vor ihnen lag die Zugbrücke, die in die Burg führte. Chris bestaunte die düster aufragenden Mauern, die hohen Türme. Soldaten patrouillierten auf der Mauerkrone und starrten auf die Menge herunter. Der Junge führte ihn ohne Zögern weiter. Chris hörte seine Schritte hohl über das Holz der Zugbrücke klappern. Am Tor standen zwei Wachen. Chris spürte, wie er sich verkrampfte, als er auf sie zuging.