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»Doch es gibt noch ein weiteres Hindernis für diese Vereinigung. Claire verachtet Guy, weil sie argwöhnt, daß er beim Tod ihres Gatten die Hand im Spiel hatte. Guy wartete Geoffrey zum Zeitpunkt seines Todes auf. Jeder war überrascht von der Plötzlichkeit seines Abtretens von dieser Welt. Geoffrey war ein junger und kräftiger Ritter. Obwohl seine Wunden schwer waren, erholte er sich gut. Niemand kennt die wahren Begebenheiten dieses Tages, aber es gibt Gerüchte — viele Gerüchte —, daß Gift im Spiel gewesen sei.« »Verstehe«, sagte Chris.

»In der Tat? Ich bezweifle es. Denn bedenkt: Lady Claire ist so gut wie eine Gefangene Lord Olivers auf dieser Burg. Sie mag sich allein hinausschleichen, aber sie kann unmöglich ihr ganzes Gefolge heimlich hinausbringen. Wenn sie sich davonschleicht und nach England zurückkehrt - was ihr Wunsch ist —, wird Lord Oliver an mir und anderen ihres Haushalts Rache nehmen. Sie weiß das, und deshalb muß sie bleiben. Lord Oliver will, daß sie heiratet, und Mylady ersinnt Listen, um es hinauszuzögern. Es stimmt zwar, daß sie gerissen ist. Aber Lord Oliver ist kein geduldiger Mann, und er wird die Sache bald erzwingen. Jetzt liegt ihre einzige Hoffnung dort.« Sir Daniel ging zum Fenster und deutete hinaus. Chris kam dazu und sah in die Richtung.

Von diesem hohen Fenster aus hatte er einen Blick über den Burghof und die Zinnen der äußeren Burgmauer. Dahinter sah er die Dächer der Stadt, dann die Stadtmauer mit den Wachen auf der Brustwehr. Und dahinter erstreckten sich Felder und offene Landschaft bis zum Horizont.

Chris sah Sir Daniel fragend an.

Sir Daniel sagte: »Dort, mein scolere. Die Feuer.«

Er deutete in die weite Ferne. Chris kniff die Augen zusammen und konnte gerade noch schwache Rauchsäulen erkennen, die sich im blauen Dunst auflösten. Sein Sehvermögen reichte kaum dazu aus.

»Das ist die Kompanie von Arnaut de Cervole«, sagte Sir Daniel. »Sie lagern nicht mehr als fünfzehn Meilen entfernt. In einem oder höchstens zwei Tagen werden sie hier sein. Alle wissen das.«

»Und Sir Oliver?« Chris kehrte wieder auf seinen Hocker zurück.

»Er weiß, daß diese Schlacht mit Arnaut heftig wird.«

»Und dennoch hält er ein Turnier ab -«

»Das ist eine Frage der Ehre«, erwiderte Sir Daniel. »Und bei der Ehre läßt Sir Oliver nicht mit sich spaßen. Certum, er würde es absagen, wenn er könnte. Aber er wagt es nicht. Und hierin liegt die Gefahr, die Euch droht.« »Die mir droht?«

Sir Daniel seufzte und begann, auf und ab zu gehen. »Kleidet Euch nun an, damit Ihr Mylord Oliver in angemessener Weise die Aufwartung machen könnt. Ich werde versuchen, das drohende Unheil abzuwenden.«

Der alte Mann drehte sich um und verließ das Zimmer. Chris sah den Jungen an. Er hatte aufgehört zu schrubben. »Was für ein Unheil?« fragte er.

33:12:51

In gewisser Hinsicht krankt die heutige Mediavistik daran, daß es keine einzige zeitgenössische Abbildung des Innenraums einer Burg aus dem vierzehnten Jahrhundert gibt. Kein Gemälde, keine Buchillustration, keine Skizze — aus dieser Zeit gibt es überhaupt nichts. Die frühesten Darstellungen des Lebens im vierzehnten Jahrhundert stammen erst aus dem fünfzehnten Jahrhundert, und die dargestellten Interieurs — wie auch das Essen und die Kleidung - waren korrekt für dieses, nicht aber für das vierzehnte Jahrhundert.

Als Folge davon weiß kein moderner Historiker, welche Möbel benutzt wurden, wie die Wände geschmückt waren oder wie die Menschen sich anzogen oder verhielten. Das Informationsdefizit ist so gewaltig, daß nach der Ausgrabung der Gemächer von König Edward I. im Londoner Tower die rekonstruierten Wände nur einen nackten Verputz erhielten, weil niemand sagen konnte, wie sie ausgesehen haben könnten. Das ist auch der Grund, warum Künstlerrekonstruktionen des vierzehnten Jahrhunderts meist ziemlich triste Innenräume zeigen, Zimmer mit nackten Wänden, wenige Möbel - vielleicht ein Stuhl oder eine Truhe — und sonst kaum etwas. Das Fehlen zeitgenössischer Darstellungen wurde interpretiert als ein Hinweis auf die Kargheit des Lebens in dieser Zeit.

Das alles ging Kate Erickson durch den Kopf, als sie den Festsaal der Burg von Castelgard betrat. Was sie nun gleich sehen sollte, hatte kein Historiker je gesehen. Hinter Marek her schlüpfte sie durch die Menge. Und staunte, überwältigt von der Üppigkeit und dem Chaos, die sich vor ihr ausbreiteten.

Der Festsaal funkelte wie ein gigantischer Edelstein. Sonnenlicht strömte durch hohe Fenster auf Wände, auf denen golddurchwirkte Tapisserien leuchteten, so daß die Reflexionen auf der mit Rot und Gold bemalten Decke tanzten. Die eine Wand verdeckte ein riesiges, gemustertes Tuch: silberne Lilien auf dunkelblauem Hintergrund. Gegenüber hing ein Teppich mit der Darstellung einer Schlacht: kämpfende Ritter in vollem Ornat, die Rüstungen silbern, die Überwürfe blau und weiß, rot und gold, die flatternden Banner golddurchwirkt.

Am anderen Ende des Saals befand sich ein riesiger, reich verzierter Kamin, so groß, daß ein Mensch aufrecht hindurchgehen konnte, der geschnitzte Sims vergoldet und schimmernd. Vor dem Feuer stand ein großer Flechtschirm, ebenfalls vergoldet. Und darüber hing eine Tapisserie mit fliegenden Schwänen über einer Wiese mit roten und goldenen Blumen.

Der Saal besaß Eleganz und Schönheit in Anlage und Gestaltung — und wirkte, zumindest für moderne Augen, ziemlich feminin. Doch seine Schönheit und Raffinesse standen in auffälligem Gegensatz zum Verhalten der Leute, das ausgelassen, laut und ungehobelt war. Vor dem Kamin war ein großer Tisch gedeckt, auf weißem Leinen stand goldenes Geschirr, auf dem sich Speisen türmten. Kleine Hunde tollten auf dem Tisch herum und nahmen sich vom Essen, was sie wollten, bis der Mann in der Mitte sie mit Flüchen und kräftigen Schlägen davonjagte.

Lord Oliver de Vannes war etwa dreißig, mit kleinen Augen in einem fleischigen, aufgedunsenen Gesicht. Sein Mund war höhnisch nach unten gebogen, und er hielt die Lippen meist geschlossen, da ihm mehrere Zähne fehlten. Seine Kleidung war so prunkvoll wie der Saaclass="underline" eine Robe in Blau und Gold mit einem hohen goldenen Kragen und ein Pelzhut. Seine Halskette bestand aus blauen Steinen, jeder von der Größe eines Rotkehlcheneis. An mehreren Fingern trug er Ringe, riesige ovale Juwelen in schweren Goldfassungen. Er spießte sich Essen mit dem Messer auf, aß geräuschvoll und unterhielt sich dabei grunzend mit seinen Kumpanen. Doch trotz seines prächtigen Aufzugs vermittelte er den Ein-druck gefährlicher Verdrossenheit - während er aß, huschten seine rotgeränderten Augen umher, als witterte er überall Beleidigungen, und er schien förmlich nach einem Streit zu gieren. Er war nervös und schnell zum Zuschlagen bereit. Als einer der kleinen Hunde sich wieder über die Speisen hermachen wollte, zögerte Oliver nicht lange, sondern stach ihn mit der Spitze seines Messers ins Hinterteil. Das Tier sprang vom Tisch und lief jaulend und blutend aus dem Saal. Lord Oliver lachte, wischte das Hundeblut von seinem Messer und aß weiter.

Die Männer, die bei ihm am Tisch saßen, stimmten in das Gelächter mit ein. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, waren sie alle Soldaten, in Olivers Alter und elegant gekleidet - wenn es auch keiner mit der Pracht ihres Anführers aufnehmen konnte. Drei oder vier Frauen,jung, hübsch und lasziv, mit lose herabhängenden, üppigen Haaren, die kichernd unter dem Tisch herumgrapschten, vervollständigten die Szene.

Kate starrte das Treiben an, und ein Wort kam ihr in den Sinn: Kriegsherr. Oliver war ein mittelalterlicher Kriegsherr, der mit seinen Soldaten und ihren Huren in der Burg saß, die er erobert hatte. Ein Herold klopfte mit seinem hölzernen Stab auf den Boden und rief: »Mylord! Magister Edward de Johnes!« Als Kate sich umdrehte, sah sie, daß Johnston sich durch die Menge schob und zum Tisch ging. Lord Oliver hob den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken Bratensaft vom Mund. »Ich heiße Euch willkommen, Magister Edwardus. Obwohl ich nicht weiß, ob Ihr ein Magister seid oder ein magicien.«