Lord Oliver starrte in den stillen Saal. »Setzt Euch und seid fröhlich«, knurrte er, »bevor mir der Geduldsfaden reißt!« Sofort begannen die Musiker zu spielen, und der Lärm der Menge erfüllte den Saal.
Kurz darauf eilte Robert de Kere aus dem Saal, als wollte er hinter dem Professor her. In Mareks Augen verhieß sein Verschwinden nichts Gutes. Er stieß Kate an und bedeutete ihr, sie sollten de Kere folgen. Sie waren bereits kurz vor der Tür, als der Herold wieder mit seinem Stab auf den Boden klopfte —
»Mylord! Die Lady Claire of Eltham und Squire Christopher de Hewes.«
Sie blieben stehen. »Verdammt!« sagte Marek.
Eine wunderschöne junge Frau kam in den Saal, mit Chris Hughes an ihrer Seite. Chris trug jetzt feine, höfische Kleidung. Er sah sehr distinguiert aus — und sehr verwirrt.
Marek, der neben Kate stand, tippte sich ans Ohr und flüsterte: »Chris. Solange du in diesem Saal bist, sag nichts und tu nichts. Verstanden?« Chris nickte leicht.
»Tu so, als würdest du überhaupt nichts verstehen. Dürfte nicht schwer sein.«
Chris und die Frau schritten durch die Menge nach vorne zum Fürstentisch, wo Oliver ihren Auftritt mit offener Verärgerung betrachtete. Die Frau sah es, verbeugte sich tief und blieb so, den Kopf unterwürfig gesenkt.
»Kommt, kommt«, sagte Lord Oliver unwirsch und wedelte mit einem Knochen. »Diese Erniedrigung geziemt Euch nicht.« »Mylord.« Sie erhob sich wieder.
Oliver schnaubte: »Und wen schleppt Ihr da heute wieder an? Noch eine geblendete Eroberung?«
»Wenn es Euch beliebt, Mylord, möchte ich Euch Christopher of Hewes vorstellen, ein Squire aus Eire, der mich heute vor Schurken gerettet hat, die mich entführen wollten oder noch Schlimmeres.« »Was? Schurken? Entführen?« Amüsiert schaute Lord Oliver seine am Tisch versammelten Ritter an. »Sir Guy? Was sagt Ihr dazu?« Ein Mann mit dunklem Gesicht stand wütend auf. Sir Guy de Malegant war völlig in Schwarz gekleidet - schwarzes Kettenhemd und schwarzer Überwurf mit einem schwarzen gestickten Adler auf der Brust. »Mylord, ich fürchte, Mylady erlaubt sich einen Scherz auf unsere Kosten. Sie weiß nur zu gut, daß ich meine Männer aussandte, um sie zu retten, da ich sah, daß sie allein und in Bedrängnis war.« Sir Guy ging auf Chris zu und starrte ihn böse an. »Dieser Mann war es, Mylord, der sie in Lebensgefahr gebracht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie ihn verteidigt, höchstens als Beweis ihres ungewöhnlichen Witzes.«
»Was?« fragte Oliver. »Witz? Mylady Claire, wollt Ihr gewitzt sein?« Die Frau zuckte die Achseln. »Nur der Ungewitzte, Mylord,sieht Witz, wo keiner ist.«
Der dunkle Ritter schnaubte. »Schnelle Worte, um schnell zu verschleiern, was dahintersteckt.« Malegant rückte noch näher an Chris heran, bis die beiden sich, nur Zentimeter voneinander entfernt, Auge in Auge gegenüberstanden. Er starrte Chris unverwandt an, während er langsam und bedächtig anfing, seine Kettenhandschuhe auszuziehen. »Squire Christopher, nennt man Euch so?« Chris sagte nichts, sondern nickte nur.
Chris hatte eine Heidenangst. Gefangen in einer Situation, die er nicht verstand, in einem Saal voller blutrünstiger Soldaten, die kaum besser waren als Straßenräuber, und Auge in Auge mit diesem dunklen, wütenden Mann, dessen Atem nach faulen Zähnen, Knoblauch und Wein stank - er mußte sich sehr zusammennehmen, um keine weichen Knie zu bekommen.
In seinem Ohrstöpsel hörte er Marek sagen: »Sag nichts — egal, was passiert.«
Sir Guy blickte ihn argwöhnisch an. »Ich habe Euch eine Frage gestellt, Squire. Wollt Ihr mir antworten?« Er zog noch immer seinen Handschuh aus, und Chris war überzeugt, daß er ihn gleich mit der bloßen Faust schlagen würde.
»Sag nichts«, schärfte ihm Marek ein.
Chris befolgte diesen Rat nur zu gern. Er atmete tief ein und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Seine Beine zitterten und fühlten sich an wie Gummi. Schon glaubte er, vor diesem Mann gleich zusammenzubrechen, aber er konnte sich gerade noch beherrschen. Noch ein tiefer Atemzug.
Sir Guy wandte sich an die Frau. »Madame, spricht er auch, Euer Retter? Oder seufzt er nur?«
»Wenn es Euch beliebt, Sir Guy, er kommt aus fernen Ländern und versteht oft unsere Sprache nicht.«
»Die mihi nomen tuum, scutari.« Nennt mir Euren Namen.
»Ich furchte, er spricht auch kein Latein, Sir Guy.«
Malegant machte ein angewidertes Gesicht. »Commodissime. Höchst passend, dieser stumme Squire, denn wir können ihn nicht fragen, wie er hierherkommt und zu welchem Zweck. Dieser irische Squire ist weit weg von zu Hause. Und doch ist er kein Pilger. Er steht in niemandes
Diensten. Was ist er? Warum ist er hier? Seht Ihr, wie er zittert? Was hat er zu fürchten? Von uns nichts.
Mylord — außer er ist eine Kreatur dieses Arnaut, die hier ist, um zu kundschaften. Dies würde ihn wahrlich stumm machen. Ein Feigling wagt nicht zu sprechen.« Marek flüsterte: »Nicht antworten...«
Malegant stieß Chris hart vor die Brust. »Nun, feiger Squire, ich nenne Euch Spitzel und Halunke und nicht Manns genug, Eure wahren Absichten zu erklären. Ich hätte Verachtung für Euch, wäre das nicht unter meiner Würde.«
Der Ritter zog seinen Handschuh nun ganz aus und warf ihn mit angewidertem Kopfschütteln zu Boden. Der Kettenhandschuh landete klirrend auf Chris' Zehen. Sir Guy wandte sich mit stolz erhobenem Kopf ab und kehrte zum Tisch zurück. Jeder im Saal starrte Chris an.
Claire, die hinter ihm stand, flüsterte: »Der Handschuh...« Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Der Handschuh!«
Was ist mit dem Handschuh? fragte er sich, bückte sich aber und hob ihn auf. Er lag schwer in seiner Hand. Chris hielt ihn Claire hin, aber die hatte sich bereits abgewandt und sagte: »Ritter, der Squire hat Eure Herausforderung angenommen.« Was für eine Herausforderung, dachte Chris.
Unverzüglich erwiderte Sir Guy: »Drei Lanzen ohne Schutz, a outrance.«
Marek sagte: »Du armer Trottel. Weißt du, was du eben getan hast?« Sir Guy wandte sich an Lord Oliver am Fürstentisch: »Mylord, ich bitte Euch, laßt das heutige Turnier mit unserem Duell beginnen.« »So sei es«, sagte Oliver.
Sir Daniel zwängte sich durch die Menge nach vorne und verbeugte sich. »Mylord Oliver, meine Nichte treibt diesen Scherz zu weit und zu einem unwürdigen Ausgang. Es mag sie belustigen, daß Sir Guy, ein Ritter besten Leumunds, sich zu einem Duell mit einem Gegner hinreißen läßt, der nichts ist als ein Squire. Aber Sir Guy erweist sich selbst und seiner Ehre einen schlechten Dienst, wenn er sich auf ihre Ränke einläßt.«
»Ist das so?« fragte Lord Oliver und sah den dunklen Ritter an.
Sir Guy Malegant spuckte auf den Boden. »Ein Squire? Fürwahr, das ist kein Squire, das ist ein Ritter in Verkleidung, ein Schurke und ein Spitzel. Er wird den Lohn für seinen Betrug bekommen. Ich werde noch heute gegen ihn antreten.«
Sir Daniel sagte: »Wenn es Mylord beliebt, ich glaube, das geziemt sich nicht. Denn er ist wahrlich nur ein Squire, an Waffen kaum geübt und so kein Gegner für Euren würdigen Ritter.«
Chris versuchte immer noch zu verstehen, worum es hier eigentlich ging, als Marek vortrat und flüssig in einer Sprache redete, die ein bißchen klang wie Französisch, aber nicht genau. Chris nahm an, daß es Provenzalisch war. Er hörte die Übersetzung in seinem Ohrstöpsel.
»Mein Lord«, sagte Marek und verbeugte sich elegant, »dieser würdige Herr spricht die Wahrheit. Squire Christopher ist mein Gefährte, doch er ist kein Krieger. Um der Gerechtigkeit willen bitte ich Euch, Christopher zu gestatten, einen Vertreter zu benennen, der an seiner Stelle die Herausforderung annimmt.«
»Was? Vertreter? Was für einen Vertreter? Ich kenne Euch nicht.«
Chris sah, daß Lady Claire Marek mit unverhülltem Interesse anstarrte. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er Oliver antwortete. »Wenns Euch beliebt, Mylord, ich bin Sir Andre de Marek, soeben aus Hainaut hier eingetroffen. Ich biete mich selbst als seine Vertretung an und werde, so Gott will, diesem edlen Ritter einen würdigen Kampf bieten.«