Lord Oliver rieb sich nachdenklich das Kinn.
Als Sir Daniel seine Unentschlossenheit sah, bekräftigte er seinen
Standpunkt. »Mylord, das Turnier mit einem ungleichen Kampf zu beginnen erhöht den Tag nicht und prägt ihn den Männern auch nicht ein. Ich glaube,
de Marek ist ein ebenbürtiger Gegner.«
Lord Oliver wandte sich wieder an Marek, um zu sehen, was der dazu zu sagen hatte.
»Mylord«, sagte Marek, »wenn mein Freund Christopher ein Spitzel ist, so bin ich auch einer. Indem Sir Guy ihn verleumdet, hat er auch mich verleumdet, und ich bitte Euch, meinen guten Namen verteidigen zu dürfen.« Lord Oliver schien diese neue Komplikation zu belustigen. »Was sagt Ihr, Guy?« »Wohlgemerkt«, sagte der dunkle Ritter, »ich gebe zu, daß dieser de Marek ein guter Sekundant sein könnte, wenn sein Arm so geschickt ist wie seine Zunge. Aber als Sekundant geziemt es sich, daß er gegen meinen Sekundanten kämpft, Sir Charles de Gaune.« Am Ende des Tisches stand ein großer Mann auf. Er hatte ein blasses Gesicht, eine flache Nase, rötliche Augen und eine fatale Ähnlichkeit mit einem Pitbull. Mit verächtlichem Tonfall sagte er: »Es wird mir eine Freude sein zu sekundieren.«
Marek wagte einen letzten Versuch. »Es scheint also«, sagte er, »daß Sir Guy Angst hat, sich mit mir zuerst zu messen.« Nun lächelte Lady Claire Marek ganz offen an. Sie war unübersehbar interessiert an ihm. Und das schien Sir Guy zu verärgern. »Ich fürchte keinen Mann«, sagte Guy. »Und vor allem keinen aus Hainaut. Wenn Ihr meinen Sekundanten überlebt, was ich bezweifle, werde ich danach sehr gerne mit Euch kämpfen und Eurer Dreistigkeit ein Ende setzen.«
»So sei es«, sagte Lord Oliver und wandte sich ab. Sein Ton gab allen deutlich zu verstehen, daß die Diskussion beendet war.
32:16:01
Die Pferde stürmten los und galoppierten auf der weiten Wiese aufeinander zu. Die Erde erzitterte, als die großen Tiere an Marek und Chris vorbeidonnerten, die an dem niederen Absperrgeländer standen und den Übungsläufen zusahen. Auf Chris wirkte der Turnierplatz riesig — etwa so groß wie ein Fußballfeld —, auf zwei Seiten waren Tribünen errichtet, und die Damen nahmen bereits ihre Plätze ein. Ländliche Zuschauer in derber Kleidung drängten sich lärmend am Geländer.
Ein weiteres Reiterpaar stürmte los, und ihre Pferde schnaubten im
Galoppieren. Marek fragte Chris: »Wie gut reitest du?«
Chris zuckte die Achseln. »Ich bin mit Sophie ausgeritten.«
»Dann, glaube ich, kann ich dich am Leben erhalten, Chris«, sagte
Marek. »Aber du mußt genau das tun, was ich dir sage.«
»Okay.«
»Bis jetzt hast du nicht getan, was ich dir gesagt habe«, erinnerte ihn Marek. »Aber diesmal mußt du.« »Schon gut, schon gut.«
»Das Wichtigste ist«, sagte Marek, »daß du lange genug auf dem Pferd bleibst, um Sir Guy einen Treffer landen zu lassen. Wenn er sieht, wie schlecht du reitest, wird ihm gar nichts anderes übrigbleiben, als auf deine Brust zu zielen, weil die Brust bei einem galoppierenden Reiter das größte und unbeweglichste Ziel ist. Sieh zu, daß er dich mit seiner Lanze mitten auf der Brust, auf dem Brustpanzer trifft. Hast du verstanden?«
»Ich sehe zu, daß er mich mit seiner Lanze auf der Brust trifft«, wiederholte Chris und machte dabei ein sehr unglückliches Gesicht.
»Wenn die Lanze dich trifft, laß dich aus dem Sattel heben. Das sollte nicht schwierig sein. Laß dich auf die Erde fallen und rühre dich nicht, damit es so aussieht, als wärst du bewußtlos. Was du durchaus sein kannst. Steh unter keinen Umständen auf. Verstanden?« »Nicht aufstehen.«
»Genau. Egal, was passiert, bleib einfach liegen. Wenn Sir Guy dich aus dem Sattel geholt hat und du bewußtlos bist, ist der Kampf vorüber. Aber wenn du aufstehst, ruft er nach einer zweiten Lanze oder geht zu Fuß mit seinem Breitschwert auf dich los und tötet dich.« »Nicht aufstehen«, wiederholte Chris.
»Genau«, sagte Marek. »Egal, was passiert. Steh nicht auf.« Er klopfte Chris auf die Schulter. »Mit ein wenig Glück kommst du heil aus der Sache wieder raus.« »O Gott«, sagte Chris.
Wieder galoppierten Pferde vorbei, und die Erde erzitterte. Sie verließen die Wiese und gingen zwischen den vielen Zelten hindurch, die am Rand des Turnierplatzes aufgestellt waren. Die Zelte waren klein und rund und bunt gemustert mit Streifen und Zickzacklinien. Über jedem Zelt flatterte ein Wimpel. Davor waren Pferde angebunden. Knappen und Knechte eilten hin und her und schleppten Rüstungen, Sättel, Heu und Wasser. Einige Knappen rollten Fässer über die Erde. Die Fässer machten ein leises rieselndes Geräusch.
»Da ist Sand drin«, erklärte Marek. »Man rollt die Kettenpanzer in Sand, um den Rost zu entfernen.«
»Aha.« Chris versuchte, sich auf solche Details zu konzentrieren, um sich von dem abzulenken, was ihm bevorstand. Aber er kam sich vor, als ginge er zu seiner eigenen Hinrichtung.
Sie betraten ein Zelt, in dem drei Knappen warteten. In einem Winkel brannte ein wärmendes Feuer, auf einer Decke auf dem Boden war eine Rüstung ausgebreitet. Marek untersuchte sie kurz und sagte dann: »Die ist in Ordnung.« Dann wandte er sich zum Gehen. »Wo gehst du hin?«
»In ein anderes Zelt, um meine Rüstung anzuziehen.« »Aber ich weiß nicht, wie —«
»Die Knappen legen sie dir an«, sagte Marek und verließ das Zelt. Chris musterte die Rüstung auf dem Boden, vor allem den Helm, der einen dieser spitzen Schnäbel hatte, so daß er aussah wie eine große Ente. Darüber befand sich nur ein kleiner Schlitz für die Augen. Aber neben diesem Helm lag noch ein anderer, der etwas gewöhnlicher aussah, und Chris dachte, daß —
»Mein guter Squire, wenn es Euch beliebt.« Der Oberknappe, der ein wenig älter und besser gekleidet war als die anderen, redete mit ihm. »Ich bitte Euch, stellt Euch hierher.« Er deutete in die Mitte des Zelts. Chris stellte sich dorthin und spürte, wie viele Hände über seinen Körper huschten. Die Knappen zogen ihn schnell bis zur leinenen Unterwäsche aus, und als sie seinen Körper sahen, erhob sich ein besorgtes Murmeln. »Wart Ihr krank, Squire?« fragte einer. »Äh, nein...«
»Ein Fieber oder ein Leiden, das Euch so geschwächt hat, wie wir Euch jetzt sehen?«
»Nein«, erwiderte Chris und runzelte die Stirn.
Schweigend begannen sie nun, ihm die Rüstung anzulegen. Zuerst dicke Filzbeinlinge und ein gepolstertes, langärmeliges und vorne zu knöpfendes Untergewand. Sie baten ihn, die Arme zu beugen. Er schaffte es kaum, so dick war das Tuch.
»Es ist noch steif vom Waschen, aber das gibt sich«, sagte einer. Chris glaubte nicht so recht daran. O Gott, dachte er, ich kann mich kaum rühren, und sie haben mir noch nicht einmal die Rüstung angelegt. Jetzt schnallten sie ihm Metallplatten auf Oberschenkel, Schienbeine und Knie. Dann kamen die Arme dran. Nach jedem Stück baten sie ihn, das entsprechende Glied zu bewegen, um zu kontrollieren, ob die Riemen nicht zu fest saßen.
Als nächstes wurde ihm ein Kettenhemd über den Kopf gestreift. Es lag ihm schwer auf den Schultern. Während der Brustpanzer umgelegt wurde, stellte ihm der Oberknappe eine Reihe Fragen, die er alle nicht beantworten konnte.
»Sitzt Ihr aufrecht oder an den Hinterzwiesel gelehnt?« »Legt Ihr die Lanze ein oder stützt Ihr sie auf?« »Laßt Ihr Euch am Knauf einhängen oder sitzt Ihr frei?« »Die Steigbügel tief oder nach vorne?«
Chris murmelte nur unverbindlich. Unterdessen wurden ihm weitere
Rüstungsteile angelegt und weitere Fragen gestellt.
»Beweglicher Bärlatsch oder fester?«
»Unterarmschiene oder Seitenplatte?«