Er knallte mit dem Rücken auf die Erde. Sein Kopf schlug gegen den Helm. Er sah Sterne. Plötzlich hörte er in seinem Ohrstöpseclass="underline" »Jetzt bleib, wo du bist!«
Wie aus weiter Ferne ertönten wieder Posaunen, und dann wurde die Welt um ihn herum schwarz.
Am anderen Ende des Platzes wendete Guy sein Pferd, um sich auf den dritten Angriff vorzubereiten, aber schon kündigten die Posaunen das nächste Ritterpaar an.
Marek senkte die Lanze, spornte sein Pferd an und galoppierte los. Sein Gegner, Sir Charles de Gaune, stürmte auf ihn zu. Er hörte das rhythmische Trappeln der Pferde, das anschwellende Geschrei der Menge - die Leute wußten, daß dies ein guter Kampf werden würde —, während er sein Pferd antrieb. Sein Tier lief unglaublich schnell. Und Sir Charles kam ähnlich schnell auf ihn zu.
Mittelalterlichen Quellen zufolge bestand die eigentliche Schwierigkeit eines Lanzenduells weniger darin, die Lanze richtig zu halten oder sie auf dieses oder jenes Ziel auszurichten. Die Schwierigkeit bestand darin, seine Angriffslinie beizubehalten und nicht vor dem drohenden Aufprall zurückzuschrecken — sich nicht von der Panik überwältigen zu lassen, die fast jeden Reiter erfaßte, wenn er auf seinen Gegner zu galoppierte.
Marek hatte diese alten Texte gelesen, aber jetzt verstand er sie plötzlich: Er fühlte sich zittrig, wie benommen und schwach in den Gliedern, und seine Schenkel bebten, wenn er sein Pferd antrieb. Er zwang sich zur Konzentration, versuchte, sich zu sammeln und seine Lanze auf Sir Charles auszurichten. Aber die Lanzenspitze wippte im Galopp auf und ab. Er hob sie vom Sattelknauf und klemmte sie sich in die Armbeuge. Jetzt lag sie ruhiger. Auch sein Atem kam regelmäßiger. Er spürte, wie seine Kraft zurückkehrte. Er richtete die Lanze aus. Noch achtzig Meter.
Gestreckter Galopp.
Sir Charles neigte seine Lanze ein wenig nach oben. Er zielte also auf den Kopf. Oder war das nur ein Täuschungsmanöver? Es gab Lanzenreiter, die ihr Ziel noch im letzten Augenblick änderten. Würde er es tun? Sechzig Meter.
Den Kopf als Ziel zu nehmen war riskant, wenn nicht beide Reiter auf den Kopf des Gegners zielten. Eine gerade auf den Oberkörper gerichtete Lanze traf Sekundenbruchteile früher auf als eine auf den Kopf gezielte: Es war eine Frage des Winkels. Aber ein geschickter Ritter konnte seine Lanze aus der eingelegten Position nehmen und ein Stückchen weiter vorstrecken, so daß er ein paar zusätzliche Zentimeter und damit den ersten Treffer bekam. Man brauchte enorme Kraft, um die Wucht des Aufpralls abfedern und die Lanze im Zurückschnellen kontrollieren zu können, so daß das Pferd die Hauptlast zu tragen hatte; doch auf diese Art gelang es dem Reiter eher, einen gezielten Treffer des Gegners zu verhindern.
Sir Charles hielt die Lanze noch immer nach oben geneigt. Doch jetzt legte er sie ein und beugte sich im Sattel ein wenig vor. So hatte er die Lanze besser unter Kontrolle. Würde er noch einmal täuschen? Vierzig Meter.
Es war nicht zu sagen. Marek beschloß, auf die Brust zu zielen. Er brachte seine Lanze in Position. Ab jetzt würde er sie nicht mehr bewegen. Dreißig Meter.
Er hörte das Donnern der Hufe, das Brüllen der Menge. Die mittelalterlichen Texte warnten: »Schließe im Augenblick des
Aufpralls nicht die Augen. Behalte sie offen, um deinen Treffer zu landen.«
Zwanzig Meter.
Seine Augen waren offen.
Zehn.
Der Mistkerl hob die Lanze wieder. Er zielte auf den Kopf. Aufprall.
Das Krachen des Holzes klang wie ein Schuß. Marek spürte einen stechenden, nach oben schießenden Schmerz in seiner linken Schulter. Er ritt zum Ende des Platzes, ließ seine zerbrochene Lanze fallen und streckte die Hand nach einer neuen aus. Aber die Knappen starrten nur auf das Turnierfeld in seinem Rücken.
Als er sich umdrehte, sah er, daß Sir Charles auf der Erde lag und sich nicht rührte.
Und dann fiel sein Blick auf Sir Guy, der mit seinem Pferd um den noch immer bewegungslos am Boden liegenden Chris herumtänzelte. Das hatte er also vor, dachte Marek. Er würde Chris zu Tode trampeln. Marek wendete und zog das Schwert. Er hielt es hoch erhoben. Mit einem Wutgeheul spornte Marek sein Pferd an und stürmte los. Die Menge schrie und trommelte auf das Geländer. Sir Guy drehte sich um und sah Marek kommen. Dann schaute er noch einmal zu Chris hinunter und drückte seinem Pferd den Absatz in die Flanke, damit es seitwärts ging und ihn zertrampelte.
»Pfui! Pfui!« schrie die Menge, und sogar Lord Oliver war entsetzt aufgesprungen.
In diesem Moment hatte Marek Sir Guy erreicht. Er konnte nicht anhalten, sondern rauschte an Guy vorbei und schlug ihm, laut »Arschloch« schreiend, mit der Breitseite seines Schwerts auf den Helm. Er wußte, daß das seinem Gegner nicht weh tun würde, aber es war ein beleidigender Schlag, der Guy dazu bringen würde, von Chris abzulassen. Was auch geschah.
Sir Guy wandte sich sofort von Chris ab, als Marek mit erhobenem Schwert wendete. Er zog sein Schwert aus der Scheide und schwang es so heftig, daß die Klinge durch die Luft schwirrte. Klirrend traf es auf Mareks Klinge. Marek spürte, wie sein Schwert beim Aufprall in seiner Hand vibrierte, und holte zu einem Gegenschlag auf den Kopf aus. Guy parierte, die Pferde drehten sich, und immer und immer wieder klirrten die Schwerter aufeinander.
Der Kampf hatte begonnen. Und irgendwo in einem entfernten Winkel seines Bewußtseins war Marek klar, daß es ein Kampf auf Leben und Tod sein würde.
Kate schaute dem Geschehen vom Geländer aus zu. Marek schlug sich tapfer, und an körperlicher Kraft war er seinem Gegner überlegen, aber es war offensichtlich, daß er nicht das technische Können von Sir Guy hatte. Seine Hiebe waren unkontrollierter, seine Körperhaltung weniger sicher. Das schien nicht nur ihm, sondern auch seinem Gegner bewußt zu sein — immer wieder wich Sir Guy mit seinem Pferd ein Stückchen zurück, um Platz für einen vollen Schwung zu haben. Marek dagegen rückte immer sofort nach, er hielt den Abstand klein, fast wie ein Boxer, der den Clinch sucht.
Aber Marek konnte das nicht ewig durchhalten, das sah Kate. Früher oder später würde Guy, vielleicht nur einen Augenblick lang, genug Abstand haben, um ihm einen tödlichen Hieb zu versetzen. Mareks Haare waren triefnaß unter dem Helm. Der Schweiß brannte ihm in den Augen, aber er konnte nichts dagegen tun. Benommen schüttelte er den Kopf, um die Augen klar zu bekommen, aber es half nicht viel.
Bald rang er nach Atem. Durch die Schlitze seines Helms sah er Sir Guys unversöhnliche Miene, er griff unermüdlich an und schwang sein Schwert in sicherem, geübtem Rhythmus. Marek wußte, daß er bald etwas unternehmen mußte, bevor er zu müde wurde. Er mußte den Rhythmus des Ritters durchbrechen.
Seine rechte Hand, mit der er das Schwert hielt, brannte bereits vor Anstrengung. Aber seine linke Hand war stark. Warum nicht auch die einsetzen?
Einen Versuch war es wert.
Marek spornte sein Pferd an und rückte noch näher an Guy heran, bis sie Brust an Brust standen. Er wartete, bis er einen Hieb des Gegners mit seinem Schwert pariert hatte, dann schlug er mit dem Ballen seiner linken Hand von unten gegen Sir Guys Helm. Der Helm kippte nach hinten, er spürte, wie Guys Kopf mit einem befriedigenden Tank gegen die Vorderseite des Helms knallte.
Sofort drehte Marek sein Schwert um und rammte den Knauf seines Schwertgriffs gegen Guys Helm. Es krachte, und Guys Körper machte im Sattel einen Satz. Kurz sackten seine Schultern nach unten. Marek schlug noch einmal, fester, gegen den Helm. Er wußte, daß er ihm weh tat. Aber nicht genug.
Zu spät sah er, daß Guys Schwert in weitem Bogen auf ihn niedersauste. Es traf ihn am Rücken. Marek spürte den Schlag wie einen Peitschenhieb quer über die Schulter. Hatte das Kettenhemd gehalten? War er verletzt? Er konnte seinen Arm noch bewegen. Nun schlug er mit seiner Klinge kräftig gegen die Rückseite von Guys Helm. Guy tat nichts, um den Schlag abzuwehren, und Stahl auf Stahl klirrte hell wie ein Gong. Anscheinend ist er benommen, dachte Marek. Er holte noch einmal aus, wendete dann sein Pferd und schlug aus der Drehbewegung heraus in weitem Bogen nach Guys Hals. Guy parierte den Hieb, aber die Wucht des Aufpralls warf ihn nach hinten. Er schwankte, kippte im Sattel zur Seite, und obwohl er nach dem Knauf griff, konnte er nichts tun, um seinen Sturz zu verhindern. Marek wendete und schwang ein Bein über sein Pferd, um abzusteigen. Die Menge schrie wieder auf; als er sich umdrehte, sah er, daß Guy leichtfüßig wieder aufgesprungen war, offensichtlich hatte er seine Verletzungen nur vorgetäuscht. Er griff Marek an, während der noch im Absteigen begriffen war. Mit einem Fuß im Steigbügel parierte er unbeholfen den Hieb, befreite sich schließlich von seinem Pferd und griff selbst an. Aber Sir Guy war stark und selbstsicher. Marek erkannte, daß seine Lage jetzt noch schlimmer war als zuvor. Er griff wütend an, aber Guy parierte und wich behende zurück, seine Fußarbeit war geübt und schnell. Marek keuchte und schnaufte in seinem Helm, er war sicher, daß Guy es hören konnte und wußte, was es bedeutete.