»Mit Arzneien.«
»Woran litt er?«
Der Professor tippte sich ans Ohr und sagte: »Mylord Oliver, wenn Ihr Euch versichern wollt, laßt sofort den Ritter Marek zurückbringen, und er wird Euch sagen, was ich jetzt sage, daß ich seinen Vater rettete, der an der Wassersucht litt, mit dem Kraut Arnika, und daß dies passierte in Hampstead, einem Weiler nahe London, im Herbst des letzten Jahres. Laßt ihn holen, und fragt ihn.« Oliver sagte nichts. Er starrte den Professor nur an.
Das Schweigen wurde unterbrochen von einem Mann in weiß-bepuderter Tracht, der von einer Nebentür her sagte: »Mylord.« Oliver wirbelte herum. »Was ist denn jetzt schon wieder?« »Mylord, eine Raffinesse.« »Eine Raffinesse? Nun gut - aber schnell.«
»Mylord«, sagte der Mann, verbeugte sich und schnippte gleichzeitig mit den Fingern. Zwei Jungen kamen mit einem Tablett auf den Schultern herbeigeeilt.
»Mylord, die erste Raffinesse — Kaldaunen.«
Auf dem Tablett lagen helle Darmschlingen, Hoden und Penis eines großen Tiers. Oliver ging um das Tablett herum und sah sich alles genau an.
»Die Innereien eines Ebers, wie frisch erlegt und geschlachtet«, sagte er nickend. »Sehr überzeugend.« Er wandte sich an den Professor. »Gefällt Euch die Arbeit meiner Küche?«
»Sie gefällt mir sehr, Mylord. Die Raffinesse zeugt von Tradition und handwerklichem Können. Vor allem die Hoden sind sehr gut gemacht.« »Vielen Dank, Sir«, sagte der Koch mit einer Verbeugung. »Sie bestehen aus erhitztem Zucker und Dörrpflaumen, wenn es beliebt. Und der Darm besteht aus aneinandergereihten Früchten mit einer Panade aus Ei und Bier und dann Honig.« »Gut, gut«, sagte Sir Oliver. »Trägst du das vor dein zweiten Gang auf?«
»Das werde ich, Lord Oliver.«
»Und was ist mit der anderen Raffinesse?«
»Marzipan, Mylord, gefärbt mit Löwenzahn und Safran.« Der Koch verbeugte sich und winkte, und zwei andere Jungen kamen mit einem weiteren Tablett herbeigelaufen. Darauf stand ein riesiges Modell der Festung von Castelgard, die Mauern über eineinhalb Meter hoch und von einem hellen Gelb, das der Farbe des realen Vorbilds entsprach. Die Nachbildung war exakt bis ins kleinste Detail, sogar winzige Fahnen wehten auf den zuckrigen Zinnen.
»Elegant! Gut gemacht!« rief Oliver. Er freute sich wie ein kleines Kind und klatschte vor Vergnügen in die Hände. »Ich bin sehr zufrieden.«
Er wandte sich an den Professor und deutete auf das Modell. »Ihr wißt, daß der Schurke Arnaut schnell gegen unsere Burg vorrückt und ich mich gegen ihn verteidigen muß?« Johnston nickte. »Das weiß ich, ja.«
»Was ratet Ihr mir, wie soll ich meine Truppen in Castelgard verteilen?«
»Mylord«, sagte Johnston. »Ich würde Castelgard überhaupt nicht verteidigen.«
»Oh? Warum sagt Ihr das?« Oliver ging zu einem Tisch, nahm einen Kelch und goß sich Wein ein.
»Wie viele Soldaten brauchtet Ihr, um die Burg den Gascognern abzunehmen?«
»Fünfzig oder sechzig, mehr nicht.« »Dann habt Ihr Eure Antwort.«
»Aber wir haben nicht direkt angegriffen. Wir haben List und
Durchtriebenheit benutzt.«
»Und der Erzpriester wird das nicht tun?«
»Er mag es versuchen, aber wir sind darauf gefaßt. Wir werden auf seinen Angriff vorbereitet sein.«
»Vielleicht«, sagte Johnston und drehte sich um. »Vielleicht auch nicht.«
»Dann seid Ihr also doch ein Seher...«
»Nein, Mylord, ich kann nicht in die Zukunft schauen. Diese Fähigkeit habe ich nicht. Ich gebe Euch nur meinen Rat als Mann. Und ich sage Euch, der Erzpriester wird nicht weniger listenreich sein als Ihr.« Oliver runzelte die Stirn und trank in mürrischem Schweigen. Dann schien er plötzlich den Koch und die Jungen mit den Tabletts wieder zu bemerken, die alle stumm dastanden. Er winkte sie davon. Als sie sich entfernten, rief er ihnen nach: »Achtet mir gut auf diese Raffinessen. Es darf ihnen nichts geschehen, bis die Gäste sie sehen.« Gleich darauf waren sie wieder allein. Er wandte sich an Johnston und deutete auf die Wandbehänge. »Und auch dieser Burg nicht.«
»Mylord«, sagte Johnston, »Ihr müßt diese Burg gar nicht verteidigen, da Ihr doch eine andere und viel bessere habt.« »Ha? Ihr sprecht von La Roque? Aber La Roque hat eine Schwäche. Es gibt dort einen Geheimgang, den ich nicht finden kann.« »Und woher wißt Ihr, daß dieser Gang überhaupt existiert?« »Er muß existieren«, sagte Oliver, »weil der alte Laon der Baumeister von La Roque war. Ihr kennt Laon? Nein? Er war der Abt des Klosters vor dem gegenwärtigen Abt. Dieser alte Bischof war sehr gerissen, und immer wenn man ihn beim Umbau einer Stadt, einer Burg oder einer Kirche um Hilfe bat, hinterließ er ein Geheimnis, das nur er kannte. Jede Burg hat einen unbekannten Gang oder eine unbekannte Schwäche, die Laon einem Angreifer verkaufen konnte, falls es nötig sein sollte. Der alte Laon hatte ein scharfes Auge für die Interessen der Mutter Kirche — und noch ein viel schärferes für seine eigenen.« »Und doch«, erwiderte Johnston, »wenn niemand weiß, wo dieser Gang sich befindet, ist es gut möglich, daß er gar nicht existiert. Es gibt auch noch andere Überlegungen, Mylord. Wie viele Soldaten habt Ihr gegenwärtig hier?«
»Zweihundertzwanzig bewaffnete Reiter, zweihundertfünfzig Bogenschützen und zweihundert Pikeniere.«
»Arnaut hat doppelt so viele«, sagte Johnston. »Vielleicht noch mehr.« »Glaubt Ihr?«
»Er ist zwar in der Tat nicht besser als ein gemeiner Dieb, aber jetzt ist er ein berühmter Dieb, weil er gen Avignon marschiert und vom Papst verlangt, daß er mit seinen Männern speise und dann noch zehntausend
Livres zahle, damit er die Stadt nicht zerstöre.«
»Wahrhaftig?« fragte Lord Oliver und machte ein besorgtes Gesicht.
»Das habe ich noch nicht gehört. Natürlich gibt es Gerüchte, daß Arnaut vorhat, gen Avignon zu marschieren, vielleicht schon nächsten Monat.
Und alle glauben, daß er den Papst bedrohen wird. Aber er hat es noch nicht getan.« Er runzelte die Stirn. »Oder doch?«
»Ihr sprecht wahr, Mylord«, erwiderte Johnston sofort. »Ich wollte damit sagen, daß die Kühnheit seines Vorhabens täglich neue Soldaten an seine Seite zieht. Inzwischen hat er eintausend in seiner Kompanie.
Vielleicht schon zweitausend.«
Oliver schnaubte. »Ich fürchte mich nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte Johnston, »aber diese Burg hat einen flachen Graben, nur eine einzige Zugbrücke, nur ein einzelnes Tor, keine Fallgrube und nur ein einziges Fallgitter. Euer Schutzwall im Osten ist niedrig. Lagerplatz für Nahrung und Wasser habt Ihr nur für ein paar Tage. Eure Garnison drängt sich in den kleinen Höfen, und Eure Männer sind nicht leicht zu manövrieren.«
Darauf erwiderte Oliver: »Ich sage Euch, mein Schatz ist hier, und ich werde hier bei ihm bleiben.«
»Und ich rate Euch«, sagte Johnston, »nehmt mit, was Ihr könnt, und brecht auf. La Roque steht auf einer Anhöhe, mit steilen Felshängen auf zwei Seiten. Auf der dritten Seite hat es einen tiefen Graben, und es hat zwei Tore, zwei Fallgitter, zwei Zugbrücken. Auch wenn die Angreifer es schaffen, durch das äußere Tor einzudringen —« »Ich kenne die Vorzüge von La Roque!« Johnston hielt inne.
»Und ich will Eure abscheulichen Belehrungen nicht hören!« »Wie Ihr wollt, Lord Oliver.« Und dann sagte Johnston: »Ah.« »Ah? Ah?«
»Mylord«, sagte Johnston, »ich kann Euch kein Berater sein, wenn Ihr mir ausweicht.«
»Ausweichen? Ich weiche Euch nicht aus, Magister. Ich spreche offen und ehrlich und halte nichts zurück.«
»Wie viele Männer habt Ihr in La Roque?«
Oliver wand sich. »Dreihundert.«
»Dann ist Euer Schatz bereits in La Roque.«
Lord Oliver sah ihn mißtrauisch an. Er sagte nichts, ging um Johnston herum und sah ihn noch einmal argwöhnisch an. Dann sagte er: »Ihr drängt mich, dorthin zu gehen, indem Ihr meine Ängste schürt.« »Das tue ich nicht.«