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Er sah mindestens ein Dutzend Soldaten in den grünen und schwarzen Farben Arnauts, die methodisch alle strohgedeckten Hütten vor den Klostermauern absuchten. Und im selben Moment sah er Marek, der auf die Klostermauern zulief. Er ging gebückt, zog ein Bein nach und hatte einiges Grünzeug in seinen Händen. Die Soldaten hielten ihn auf. Marek verbeugte sich unterwürfig. Seine ganze Gestalt wirkte klein und schwach. Er zeigte den Soldaten, was er in den Händen hatte. Die Soldaten lachten und scheuchten ihn weg. Noch immer gebückt und unterwürfig ging Marek weiter.

Kate sah zu, wie Marek an ihrem ausgebrannten Bauernhaus vorbeiging und hinter der Klostermauer verschwand. Er hatte offensichtlich nicht vor, zu ihnen zurückzukommen, solange Soldaten die Gegend durchstreiften.

Chris war mit schmerzverzerrtem Gesicht unter den Verschlag zurückgekrochen. Seine Schulter schien verletzt zu sein, er hatte getrocknetes Blut auf der Kleidung. Sie half ihm, das Wams aufzuknöpfen, und er verzog das Gesicht und biß sich auf die Unterlippe. Sanft zog sie das kragenlose Leinenunterhemd zur Seite und sah, daß die ganze linke Seite seiner Brust häßlich violett verfärbt war, mit einem gelblich-schwarzen Rand. Das mußte die Stelle sein, wo die Lanze ihn getroffen hatte.

Als er ihr Gesicht sah, flüsterte er: »Ist es schlimm?«

»Ich glaube, es ist nur eine Prellung. Vielleicht ein paar angeknackste

Rippen.«

»Tut verdammt weh.«

Sie zog ihm das Hemd über die Schulter und entdeckte die Pfeilwunde.

Es war ein schräger, fünf Zentimeter langer Schnitt in der Haut,

verklebt mit geronnenem Blut.

»Wie sieht's aus?« fragte er und musterte ihr Gesicht.

»Nur ein Schnitt.«

»Entzündet?«

»Nein, sieht sauber aus.«

Sie zog das Wams noch weiter herunter und sah weitere verfärbte Prellungen auf seinem Rücken, der Flanke und unter dem Arm. Sein ganzer Körper war eine einzige Prellung. Es mußte unglaublich schmerzhaft sein. Sie war erstaunt, daß er nicht mehr jammerte. Schließlich war das noch derselbe Kerl, der einen Anfall bekam, wenn man ihm ein Frühstücksomelett mit getrockneten anstelle von frischen Steinpilzen vorsetzte. Der schmollte, wenn ihm der bestellte Wein nicht zusagte.

Sie fing an, ihm das Wams wieder zuzuknöpfen. Doch er sagte: »Ich schaff das schon.«

»Ich will dir nur helfen ...«

»Ich sagte, ich schaff das schon.«

Sie ließ von ihm ab und hob die Hände. »Okay, okay.«

»Ich muß die Arme sowieso bewegen«, sagte er und verzog bei jedem Knopf das Gesicht. Er machte sie alle selbst zu. Doch danach lehnte er sich wieder an die Wand und schloß, schwitzend vor Anstrengung und Schmerz, die Augen. »Chris...«

Er öffnete die Augen wieder. »Ich bin okay. Wirklich, mach dir um mich keine Sorgen. Es ist wirklich alles in Ordnung.« Und er meinte es ernst.

Sie kam sich fast vor, als würde sie neben einem Fremden sitzen. Als Chris seine Schulter und seine Brust gesehen hatte — sie waren so violett wie getrocknetes Fleisch -, hatte seine eigene Reaktion ihn überrascht. Eigentlich hätte er erwartet, daß er entsetzt oder verängstigt reagierte. Statt dessen aber fühlte er sich plötzlich leicht, beinahe sorglos. Auch wenn der Schmerz ihn nach Luft schnappen ließ, der Schmerz war unwichtig. Er war einfach froh, am Leben zu sein und einen neuen Tag vor sich zu haben. Sein gewohntes Jammern, seine Nörgeleien und Unsicherheiten schienen plötzlich völlig irrelevant. Statt dessen besaß er nun, das spürte er, eine Quelle grenzenloser Energie — eine fast aggressive Vitalität, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Er spürte, wie sie durch seinen Körper strömte, eine Art Hitze. Die Welt um ihn herum erschien ihm so lebensprall, so sinnlich wie noch nie zuvor.

Für ihn bekam der graue Morgen plötzlich eine ursprüngliche Schönheit. Die kühle, feuchte Luft trug den Duft von nassem Gras und feuchter Erde zu ihnen. Die Steine in seinem Rücken stützten ihn. Sogar der Schmerz war nützlich, weil er alle unnötigen Gefühle verdrängte. Er fühlte sich befreit, hellwach und für alles bereit. Es war eine ganz andere Welt mit ganz anderen Regeln. Und zum ersten Mal war er in der Welt. Mittendrin.

Als die Soldaten verschwunden waren, kehrte Marek zurück. »Habt ihr alles verstanden?« fragte er.

»Was?«

»Die Soldaten suchen nach drei Leuten aus Castelgard: zwei Männern und einer Frau.«

»Warum?« »Arnaut will mit ihnen reden.«

»Ist es nicht nett, beliebt zu sein?« sagte Chris mit schiefem Grinsen. »Alle sind hinter uns her.«

Marek gab jedem eine Handvoll nasses Gras und Blätter. »Wildgemüse. Das ist das Frühstück. Eßt auf.« Chris kaute die Pflanzen geräuschvoll. »Köstlich«, sagte er. Er meinte es ernst.

»Die Pflanze mit den gezackten Blättern ist Mutterkraut. Das hilft gegen die Schmerzen. Der weiße Stengel ist Weide. Wirkt abschwellend.« »Danke«, sagte Chris. »Es ist sehr gut.«

Marek starrte ihn ungläubig an. »Ist alles in Ordnung mit ihm?« fragte er Kate.

»Ich glaube, er ist okay.«

»Gut. Eßt auf, und dann gehen wir zum Kloster. Wenn wir an den Wachen vorbeikommen.«

Kate nahm ihre Perücke ab. »Das dürfte kein Problem sein«, sagte sie. »Sie suchen nach zwei Männern und einer Frau. Also, wer hat das schärfste Messer?«

Zum Glück waren ihre Haare bereits kurz, und so brauchte Marek nur ein paar Minuten, um die längeren Strähnen abzuschneiden und ihr eine Männerfrisur zu verpassen. Während er arbeitete, sagte Chris: »Ich habe über gestern nacht nachgedacht.«

»Offensichtlich hat noch jemand einen Ohrstöpsel«, sagte Marek. »Genau«, erwiderte Chris. »Und ich glaube, ich weiß, woher derjenige ihn hat.«

»Von Gomez«, sagte Marek.

Chris nickte. »Das nehme ich an. Du hast ihn ihr nicht abgenommen?« »Nein. Ich habe gar nicht daran gedacht.«

»Ich bin mir sicher, daß ein anderer ihn sich weit genug ins Ohr hineindrücken kann, um etwas zu verstehen, auch wenn er ihm nicht richtig paßt.«

»Ja«, sagte Marek. »Aber die Frage ist, wer? Wir sind im vierzehnten Jahrhundert. Ein fleischfarbener Klumpen, der spricht, ist

Zauberei. Ein furchterregendes Ding für jeden, der es findet. Wer es aufhebt, würde es gleich wieder fallenlassen wie eine heiße Kartoffel — und es dann sofort zertreten. Oder sich aus dem Staub machen.« »Ich weiß«, sagte Chris. »Deshalb komme ich ja, sooft ich drüber nachdenke, immer nur auf eine mögliche Antwort.« Marek nickte. »Diese Mistkerle haben es uns nicht gesagt.« »Was gesagt?« fragte Kate.

»Daß noch jemand hier ist. Jemand aus dem zwanzigsten Jahrhundert.« »Es ist die einzig mögliche Antwort«, sagte Chris. »Aber wer?« fragte Kate.

Chris hatte schon den ganzen Morgen darüber nachgedacht. »De Kere«, sagte er. »Es muß de Kere sein.« Marek schüttelte den Kopf.

»Überleg mal«, sagte Chris. »Er ist erst seit einem Jahr hier, richtig? Niemand weiß, woher er kam, oder? Er hat sich bei Oliver eingeschlichen, und er haßt uns, weil er weiß, daß wir es auch tun könnten, richtig? Er führt seine Soldaten von der Gerberei weg, geht die Straße hoch, bis wir etwas sagen — und dann kommt er sofort zurück.« »Die Sache hat nur einen Haken«, bemerkte Marek. »De Kere spricht fließend Provenzalisch.« »Na ja, du auch.«

»Nein, ich rede schwerfällig wie ein Ausländer. Ihr zwei hört euch die Übersetzungen aus den Ohrstöpseln an. Ich höre mir das an, was die Leute wirklich sagen. De Kere spricht wie ein Einheimischer. Völlig flüssig, und mit einem Akzent wie alle anderen. Und im zwanzigsten Jahrhundert ist Provenzalisch eine tote Sprache. Es ist unmöglich, daß er aus dem zwanzigsten Jahrhundert stammt und so redet. Er muß von hier sein.«