Der Ritter sagte nur: »Schweigt. Ich habe Euch gesehen.« Er hatte beobachtet, wie Marek aus dem Fenster kletterte und seine Mönchskutte wegwarf. Er brachte Marek in die Kirche, wo er Claire und Arnaut vorfand. Der Erzpriester war in einer mürrischen und gefährlichen Stimmung, aber Claire schien Emfluß auf ihn zu haben, wenn auch nur durch Widerspruch. Claire war es auch gewesen, die Marek befohlen hatte, still im Schatten zu blei-ben, als Chris und Kate hereinkamen. »Wenn Arnaut Zwietracht zwischen Euch und Eure Freunde säen kann, so kann es sein, daß er sowohl Euch als auch sie verschont. Doch wenn Ihr zu dritt vereint gegen ihn auftretet, wird er im Zorn Euch alle töten.« Und Claire hatte mit ihrer Taktik recht behalten. Alles war einigermaßen gut ausgegangen. Bis jetzt.
Nun beäugte Arnaut ihn argwöhnisch. »Eure Freunde wissen also, wo der Geheimgang sich befindet?« »Ja«, sagte Marek. »Ich schwöre es.«
»Auf Euer Wort hin habe ich ihr Leben geschont«, sagte Arnaut. »Auf Eures und das Wort dieser Lady, die sich für Euch verbürgt.« Er verbeugte sich knapp vor Lady Claire, die ein schwaches Lächeln über ihre Lippen huschen ließ.
»Mylord, Ihr seid weise«, sagte Claire, »denn einen Mann zu hängen kann durchaus die Zunge des Freundes, der zusieht, lockern. Sehr oft aber bestärkt es ihn nur in seiner Entschlossenheit, und er nimmt das Geheimnis des Freundes mit ins Grab. Und dieses Geheimnis ist so wichtig, daß Ihr, Mylord, seiner auf alle Fälle habhaft werden müßt.« »Dann wollen wir diesen beiden folgen und sehen, wohin sie uns führen.« Arnaut nickte in Mareks Richtung. »Raimondo, kümmert Euch um ein Pferd für diesen armen Mann und gebt ihm zwei Eurer besten chevaliers als Begleitung mit.«
Der gutaussehende Ritter verbeugte sich. »Mylord, wenn es Euch beliebt, werde ich ihn selbst begleiten.«
»Tut das«, sagte Arnaut, »denn hier kann durchaus noch Arglist lauern.« Und er warf dem Ritter einen bedeutungsvollen Blick zu. Unterdessen war Lady Claire zu Marek gegangen und nahm seine Hand in ihre beiden Hände. Er spürte etwas Kaltes in ihren Fingern und erkannte, daß es ein winziger Dolch war, kaum zehn Zentimeter lang. »Mylady«, sagte er, »ich stehe tief in Eurer Schuld.« »Dann seht zu, daß Ihr mir diese Schuld vergeltet, Ritter«, erwiderte sie und sah ihm in die Augen.
»Das werde ich, Gott ist mein Zeuge.« Er versteckte den Dolch in seiner Kleidung.
»Und ich werde für Euch beten, Ritter«, sagte sie. Sie beugte sich vor und küßte ihn flüchtig auf die Wange. Dabei flüsterte sie: »Euer Begleiter ist Raimondo von Narbonne. Er liebt es, Kehlen aufzuschlitzen. Wenn er das Geheimnis erst einmal kennt, dann gebt acht, daß er Euch nicht die Eure aufschlitzt, und die Eurer Freunde noch dazu.« Sie löste sich von ihm und lächelte.
Marek sagte: »Mylady, Ihr seid zu freundlich. Ich werde mir alle Eure Wünsche zu Herzen nehmen.«
»Guter Ritter, Gott stehe Euch bei und beschütze Euch.« »Mylady, Ihr seid immer in meinen Gedanken.« »Guter Ritter, ich wünschte mir -«
»Genug, genug«, rief Arnaut ungehalten. Dann wandte er sich an Raimondo. »Geht jetzt, Raimondo, denn bei diesem Gefühlsüberschwang hebt sich mir der Magen.« »Mylord.« Der gutaussehende Ritter verbeugte sich. Er führte Marek zur Tür und hinaus ins Sonnenlicht.
Ich will Ihnen sagen, was das verdammte Problem ist«, sagte Robert Doniger und starrte seine Besucher an. »Das Problem ist, die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. Sie real zu machen.« Es waren zwei junge Männer und eine Frau, die da auf der Couch in seinem Büro lümmelten. Alle waren ganz in Schwarz gekleidet und trugen diese schmal geschnittenen Jacketts, die aussahen, als wären sie beim Waschen eingegangen. Die Männer hatten lange Haare und die Frau einen Bürstenschnitt. Das waren die Medienleute, die Kramer angestellt hatte. Aber Doniger fiel auf, daß Kramer ihnen gegenüber saß, wie um sich diskret von ihnen zu distanzieren. Er fragte sich, ob sie ihr Material bereits gesehen hatte.
Das Ganze machte Doniger gereizt. Er mochte Medienleute sowieso nicht. Und das war heute schon sein zweites Treffen mit dieser Meute. Am Vormittag hatte er die PR-Trottel hiergehabt, und jetzt diese Trottel.
»Das Problem«, sagte er, »ist, daß morgen dreißig Topmanager zu meiner Präsentation kommen. Der Titel meiner Präsentation ist: >Das Versprechen der Vergangenheit, aber ich habe kein überzeugendes Bildmaterial, das ich ihnen zeigen kann.«
»Verstanden«, sagte einer der jungen Männer forsch. »Das war genau unser Ausgangspunkt, Mr. Doniger. Der Kunde will die Vergangenheit zum Leben erwecken. Und das wollten wir umsetzen. Mit Ms. Kramers Unterstützung haben wir Ihre eigenen Beobachter gebeten, DemoVideos für uns zusammenzustellen —« »Lassen Sie sehen«, sagte Doniger.
»Ja, Sir. Wenn wir vielleicht das Licht etwas dimmen könnten —« »Lassen Sie das Licht so, wie es ist.«
»Ja, Mr. Doniger.« Der Großbildschirm an der Wand leuchtete blau auf, als das Gerät eingeschaltet wurde. Während sie auf die ersten Bilder warteten, sagte der junge Mann: »Der Grund, warum wir diese erste Szene ausgewählt haben, ist der, daß es sich um ein historisches Ereignis handelt, das von Anfang bis Ende nur zwei Minuten dauert. Wie Sie wissen, laufen viele historische Ereignisse sehr langsam ab, vor allem für moderne Sehgewohnheiten. Das war ein schnelles. Leider passierte es an einem etwas regnerischen Tag.« Der Monitor zeigte ein graues, düsteres Bild, tiefhängende Wolken. Die Kamera schwenkte und fuhr über die Köpfe einer großen Menschenmenge hinweg. Ein hagerer Mann stieg eben auf eine schlichte, unlackierte Holzbühne. »Was ist das? Eine Hinrichtung?«
»Nein«, sagte der Medienmensch. »Das ist Abraham Lincoln, der jetzt gleich seine Gettysburg-Ansprache halten wird.«
»Das soll er sein? Gott, der sieht ja übel aus. Wie eine Leiche. Sein
Anzug ist ganz zerknittert. Und seine Ärmel sind zu kurz.«
»Ja, Sir, aber —«
»Und das soll seine Stimme sein? Die quiekst ja.«
»Ja, Mr. Doniger, kein Mensch hat je Lincolns Stimme gehört, aber das ist seine Original —«
»Haben Sie denn alle den Verstand verloren?« »Nein, Mr. Doniger —«
»O Mann, das kann ich doch nicht verwenden«, sagte Doniger. »Kein Mensch will einen Abraham Lincoln sehen, der klingt wie Betty Boob. Was haben Sie sonst noch?«
»Kommt sofort, Mr. Doniger.« Ungerührt legte der junge Mann eine andere Kassette ein und sagte: »Beim zweiten Video sind wir von einer anderen Prämisse ausgegangen. Wir wollten eine gute Action-Sequenz, aber wiederum ein berühmtes Ereignis, das jeder kennt. Hier also der Weihnachtstag 1778, auf dem Delaware River, wo —« »Ich sehe überhaupt nichts«, sagte Doniger.
»Ja, ich fürchte, es ist ein bißchen dunkel. Es ist eine nächtliche Überfahrt. Aber wir dachten, daß George Washington, wie er gerade den Delaware überquert, ein guter -« »George Washington? Wo ist George Washington?« »Genau hier«, sagte der Mann und deutete auf den Monitor.
»Wo?«
»Dort.«
»Der Kerl, der da hinten im Boot kauert?« »Genau, und —«
»Nein, nein, nein«, sagte Doniger. »Er muß im Bug stehen, wie ein General.«
»Ich weiß, daß er auf Porträts so dargestellt wird. Aber so war es nicht. Hier sehen sie den echten George Washington, wie er wirklich den -« »Er sieht seekrank aus«, sagte Doniger. »Sie wollen, daß ich ein Video von einem seekranken George Washington zeige?« »Aber das ist die Wirklichkeit.«
»Scheiß-Wirklichkeit«, sagte Doniger und warf eine ihrer Videokassetten durchs Zimmer. »Was ist denn los mit Ihnen? Mir ist die Realität scheißegal.
Ich will was Interessantes, was Aufreizendes. Und Sie zeigen mir eine lebende Leiche und einen begossenen Pudel.«
»Na ja, wir können ja noch mal ganz von vorne anfangen -«
»Das Gespräch ist morgen«, sagte Doniger. »Ich habe drei wichtige