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Auf allen Seiten von Soldaten umgeben, brachte Kate die nächste halbe Stunde damit zu, sich einen Weg durch Arnauts Troß aus Wagen und Pferden zu bahnen. Ihr Ziel war der Wald im Norden. Arnauts Männer errichteten am Waldrand gerade ein riesiges Zeltlager, von dem aus man freie Sicht über die sanft ansteigende, grasbewachsene Ebene bis zur Burg hatte.

Männer riefen ihr zu, sie solle mithelfen, aber sie konnte nur, auf männliche Art, wie sie hoffte, abwinken und weiterreiten. Schließlich erreichte sie den Waldrand und ritt daran entlang, bis sie den schmalen Pfad entdeckte, der in die Dunkelheit und Einsamkeit führte. Hier hielt sie kurz an, damit ihr Pferd sich erholen und ihr Herz sich beruhigen konnte, bevor sie in den Wald hineinritt.

Hinter ihr auf der Ebene baute eine Gruppe Pioniere in schneller Reihenfolge die Trebuchets auf. Diese Wurfmaschinen sahen plump und unförmig aus — riesige Steinschleudern mit einem Gerüst aus mächtigen Balken, auf dem der Schwenkarm auflag, der mit dicken Hanfseilen gespannt wurde. Wurden diese Seile gelöst, schnellte der Schwenkarm, von einem Gegengewicht gezogen, nach oben und schleuderte seine Last über die Burgmauern.

Eine solche Vorrichtung schien weit über zweihundert Kilo zu wiegen, doch die Männer errichteten sie äußerst schnell, sie arbeiteten koordiniert und gingen dann sofort zur nächsten Maschine. Als Kate dies sah, verstand sie plötzlich, warum in einigen Fällen eine Kirche oder eine Burg in wenigen Jahren hatte errichtet werden können. Die Arbeiter waren so geschickt und selbständig, daß sie kaum Anweisungen brauchten.

Sie wendete ihr Pferd und ritt in den dichten Wald nördlich der Burg hinein.

Der Weg war nur ein schmaler Pfad durch den Wald, der immer dunkler wurde, je tiefer sie in ihn eindrang. Es war unheimlich, allein hier zu sein, sie hörte Eulenschreie und die entfernten Rufe unbekannter Vögel. Sie kam an einem Baum vorbei, auf dessen Ästen ein Dutzend Raben saßen. Als sie sie zählte, fragt sie sich, ob das ein Omen war und was es wohl bedeuten mochte.

Während sie langsam durch den Wald ritt, hatte sie mit einem Mal das Gefühl, in der Zeit rückwärts zu gehen und primitivere Denkweisen anzunehmen. Die Bäume schlossen sich über ihr, der Boden war dunkel wie am späten Abend. Sie fühlte sich beklommen und eingesperrt. Nach zwanzig Minuten kam sie erleichtert aufatmend zu einer sonnenbeschienenen Lichtung mit hohem Gras. Auf der gegenüberliegenden Seite erkannte sie eine Lücke in den Bäumen, dort führte der Pfad also weiter. Sie ritt eben über die Lichtung, als sie links von sich eine Burg bemerkte. Sie konnte sich nicht erinnern, dieses Gebäude je auf einer ihrer Karten gesehen zu haben, dennoch stand es hier. Es war nur eine kleine Burg - eher ein Landhaus - und weiß getüncht, so daß es hell im Sonnenschein leuchtete. Es hatte vier Türmchen und ein blaues Schieferdach. Auf den ersten Blick wirkte es fröhlich, doch dann sah sie, daß alle Fenster vernagelt waren; im Schieferdach klaffte ein Loch und die Nebengebäude waren nur noch Ruinen. Diese Lichtung war einst eine gemähte Wiese vor der Burg gewesen, doch jetzt regierte der Wildwuchs. Ein Gefühl von Stillstand und Verfall beschlich sie. Sie schauderte und spornte ihr Pferd an. Plötzlich fiel ihr auf, daß das Gras vor ihr erst vor kurzem niedergetrampelt worden war -von den Hufen eines Pferdes, das in dieselbe Richtung ging wie sie. Die langen Halme richteten sich langsam wieder auf.

Jemand war erst vor kurzem hier gewesen. Vielleicht erst vor ein paar Minuten. Vorsichtig bewegte sie sich zum anderen Ende der Lichtung. Dunkelheit schloß sich erneut um sie, als sie wieder in den Wald hineinritt. Der Pfad wurde schlammig, und sie konnte deutlich Hufspuren erkennen.

Immer wieder hielt sie an und horchte. Aber von vorne kam überhaupt kein Geräusch. Entweder war der Reiter weit vor ihr, oder er war sehr leise. Ein- oder zweimal glaubte sie, die Geräusche eines Pferds zu hören, aber sie war sich nicht sicher. Wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein.

So ritt sie weiter auf die grüne Kapelle zu. Oder, wie sie in ihren Karten genannt wurde, auf la chapelle verte morte zu. Auf die Kapelle des grünen Todes.

Nach einer Weile stieß sie im dunklen Wald auf eine Gestalt, die erschöpft an einem umgestürzten Baum lehnte. Es war ein verschrumpelter alter Mann mit einer Kapuze auf dem Kopf und einer Holzfälleraxt in der Hand. Als sie vorbeiritt, sagte er: »Ich flehe Euch an, guter Herr, ich flehe Euch an.« Seine Stimme war dünn und röchelnd. »Bitte gebt mir einen kleinen Bissen, denn ich bin arm und habe nichts zu essen.«

Kate glaubte zwar nicht, daß sie Proviant bei sich hatte, doch dann erinnerte sie sich, daß der Ritter ihr ein kleines Bündel hinten an den Sattel gebunden hatte. Sie griff hinein, fand einen Ranken Brot und ein Stück getrocknetes Rindfleisch. Es sah nicht sehr appetitlich aus, vor allem, da es inzwischen stark nach Pferdeschweiß roch. Sie hielt ihm das Essen hin.

Der Mann richtete sich gierig auf und streckte eine knochige

Hand nach dem Essen aus - doch plötzlich packte er mit erstaunlicher Kraft ihr Handgelenk und versuchte, sie mit einem schnellen Ruck vom Pferd zu ziehen. Dabei kicherte er vor Vergnügen, ein abstoßendes Geräusch. Während er so mit ihr kämpfte, rutschte ihm die Kapuze vom Kopf, und sie sah, daß er jünger war, als sie gedacht hatte. Jetzt kamen drei andere Männer aus dem Schatten zu beiden Seiten des Pfads gelaufen, und sie erkannte, daß es godins waren, räuberische Bauern. Kate saß noch im Sattel, aber lange würde sie es nicht mehr aushalten. Sie trat ihrem Pferd in die Flanken, aber es war offenbar müde und reagierte nicht. Der ältere Mann zerrte weiter an ihrem Arm und murmelte dabei die ganze Zeit: »Törichter Junge! Du dummer Junge!« Kate fiel nichts anderes mehr ein, als um Hilfe zu rufen, sie schrie so laut sie konnte, und das schien die Männer zu erschrecken, denn sie hielten einen Augenblick inne, bevor sie weiter auf sie eindrangen. Plötzlich das Donnern eines galoppierenden Pferdes und der Schlachtruf eines Kriegers, und die godins sahen einander an und liefen davon. Alle bis auf den älteren, der Kates Hand nicht loslassen wollte und sie jetzt mit der Axt bedrohte, die er mit seiner freien Hand schwang.

In diesem Augenblick kam - gleich einer Erscheinung - ein blutroter Ritter auf dem Pfad herangestürmt, auf einem schnaubenden, schlammbespritzten Pferd, und der Ritter selbst so grimmig und blutig, daß auch dieser letzte Mann um sein Leben rannte und in der Dunkelheit des Waldes verschwand.

Chris zog die Zügel an und umkreiste sie. Sie spürte eine riesige Erleichterung in sich aufsteigen, denn sie hatte große Angst gehabt. Chris lächelte, er war ganz offensichtlich sehr zufrieden mit sich. »Seid Ihr wohlauf, Ma'am?« fragte er.

»Bist du es?« fragte Kate erstaunt. Chris war buchstäblich mit Blut getränkt; es war auf seinem Gesicht und seinem Körper festgetrocknet, und wenn er lächelte, brach die Kruste an seinen Mundwinkeln auf und zeigte die rosige Haut darunter. Er sah aus, als wäre er in ein Faß mit roter Farbe gefallen.

»Mir geht's gut«, sagte Chris. »Irgend jemand hat mit seinem Schwert das Pferd neben mir getroffen und eine Arterie oder sonst was aufgeschlitzt. Ich war sofort pitschnaß. Blut ist wirklich heiß, hast du das gewußt?«

Kate starrte ihn immer noch an, sie staunte, daß jemand, der so aussah wie er, noch Witze reißen konnte, doch er nahm ihre Zügel und führte sie schnell davon. »Ich glaube«, sagte er, »wir sollten nicht warten, bis sie sich neu formieren. Hat deine Mutter dir denn nicht gesagt, daß du nicht mit Fremden reden darfst, Kate? Vor allem nicht im Wald?« »Eigentlich habe ich immer geglaubt, man muß ihnen was zu essen geben, und dann helfen sie einem.«